Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

Der großpolnische Sieg von 1918/1919

Janusz Karwat

Der Großpolnische Aufstand von 1918-1919 war ein nationaler Aufstand. Er ist eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte Großpolens. Er wurde auch zum Element der patriotischen Tradition der Einwohner dieser Region. Die Großpolen nahmen an allen bewaffneten Handlungen des XIX. Jahrhunderts unter beachtlichen menschlichen und materiellen Verlusten teil. Neben den militärischen Anstrengungen spielte die organische Arbeit eine große Rolle, die starke wirtschaftliche Grundlagen der polnischen Gemeinschaft erschuf. Der Aufstand wurde auch in moralischer Hinsicht vorbereitet, er war nämlich eine natürliche Konsequenz einer beharrlichen patriotisch-nationalen Arbeit. Die Posener vereinten in sich gekonnt Soldaten-Qualitäten mit wirtschaftlichem, organisatorischem Talent und Disziplin. Sie nutzten den günstigen Moment in der Entwicklung der Ereignisse auf der internationalen Arena und haben in einer bewaffneten Aktion den Großteil Großpolens befreit.

Der Weg zum Aufstand

Im November 1918 verhallten die Schüsse an den Fronten des ersten Weltkrieges. Die Niederlage traf die drei Teilungsmächte, was für die Polen ein Wiedererstehen der Rzeczpospolita bedeutete. Euphorische Stimmung herrschte in Krakau, Lublin und Warschau, aber nicht in Posen. Die Großpolen erlebten eine herbe Enttäuschung. Sie hofften nämlich, dass nach der Niederlage Deutschlands die westlichen polnischen Gebiete in Kürze zum Vaterland zurückkehren würden. Das am 11. November in Compiègne unterschriebene Waffenstillstandsabkommen hat hingegen eine Wiederherstellung der Grenzen vom 1. August 1914 vorgesehen. Großpolen blieb weiterhin im deutschen Staat bestehen, und über das Schicksal dieser Region sollte die Friedenskonferenz entscheiden. Es kehrten aber von der Front nach Posen deutsche Abteilungen zurück, die hier seit mehr als hundert Jahren stationierten. Und auch die Großpolen kehrten in ihre Heimat zurück. Ein Teil von ihnen war in geheime oder legale militärische Organisationen eingespannt. Im Allgemeinen besaßen sie große Kriegserfahrung, und behielten ihre Kampfqualitäten bei.

In den revolutionären Wirren, die von Deutschland Besitz ergriffen, waren die Großpolen nicht müßig. Es entstand eine Dreifach-Regierung: es funktionierte immer noch die preußische Verwaltung, und es wurden die Arbeiter- und Soldatenräte sowie die polnischen Volksräte gebildet. Diese letzteren stellten während des Polnischen Teilsejms (Polski Sejm Dzielnicowy) (3.-5.12.1918) ihre eigene Vertretung in Form des Obersten Volksrates (Naczelna Rada Ludowa) auf. Die großpolnischen Politiker, hauptsächlich die Nationaldemokraten, zogen den Ausbruch eines Aufstandes in Betracht, der sogar alle polnischen Gebiete der preußischen Teilungszone erfassen sollte. In diesem Fall rechnete man mit der Hilfe, die durch die Polnische Armee in Frankreich erteilt werden sollte (General Józef Haller) und auf die Armeen der Entente. Sie sollten auf dem Seeweg nach Danzig kommen und sich in Richtung Süden fortbewegen. Nach der Ankunft in Thorn plante man einen Ausbruch des Aufstandes in Posen, Inowrocław und Ostrów Wielkopolski. Anfänglich war eine Landung der Abteilungen auf den 19.12.1918 geplant, später verschob man sie auf Ende Dezember, und schließlich auf Mitte Januar 1919. Die Enttarnung der mit der Polnischen Armee in Frankreich verbundenen Pläne wurde von den Deutschen als ein antipolnisches Argument auf internationaler Arena benutzt. Bereitwillig machten davon die Engländer Gebrauch, die ein Erstarken Polens als eines Verbündeten Frankreichs an der Ostsee vermeiden wollten und somit den Plan der Anreise auf dem Seeweg nach Danzig ablehnten. Sie durchkreuzten wirksam die Pläne von Marschall Ferdinand Foch, Roman Dmowski, Wojciech Korfanty und der Posener Führung.

Die Polen verfügten schon über eigene paramilitärische Streitkräfte. Vor dem Ausbruch des Aufstandes befanden sich in den unterschiedlichen Abteilungen in Großpolen etwa 8-10 Tausend kampfbereite Freiwillige. Die zahlenmäßig größten Formationen, deren Organisationsweise der militärischen angenähert war, existierten in Posen. Es waren legal funktionierende Kompanien der Volkswehr (Straż Ludowa (SL)) und des Wach- und Sicherheitsdienstes (Służby Straży i Bezpieczeństwa (SSiB)), die Ende November 1918 mit Einverständnis der Berliner Regierung gebildet wurden. Diese letzteren sollten nach den Regeln der kaiserlichen Armee den Wachtdienst in den einzelnen Garnisonen übernehmen. Infolge der geschickt durchgeführten Rekrutierungsaktion hatte der SSiB einen rein polnischen Charakter. Obwohl formal der Befehlshaber dieser Formation in Posen ein deutscher Offizier, Oberstleutnant Dobschutz, war, so hatte doch in der Praxis Leutnant Mieczysław Paluch das Kommando über sie inne. Die Posener SSiB-Kompanien zählten am Tag des Aufstandes ca. 2 Tsd. Soldaten. Außer in der Hauptstadt Großpolens wurden sie auch in anderen Garnisonstädten gebildet, u.a. in Jarocin, Kórnik, Pleszew, Środa Wielkopolska, Wielichów und in Września.

Die Volkswehr hatte einen lokalen Charakter und unterstand den örtlichen Volksräten. Die Soldaten der SL wurden hauptsächlich aus den Reihen der Mitglieder des Turnvereins „Sokół” („Falke“) rekrutiert, und das Kommando über sie hatte der Leiter Julian Lange inne. Anfang Dezember 1918 gab es von den 42 Kreisen der Provinz Posen bereits in 30 Abteilungen der SL, wobei ein Teil von ihnen bewaffnet war. Zuerst organisierte man sie dort, wo die polnische Bevölkerung dominierte.

Am radikalsten war die Unabhängigkeitsorganisation, die sich für bewaffnete Lösungen einsetzte, nämlich die Polnische Militärorganisation des Preußischen Teilungsgebietes (Polska Organizacja Wojskowa Zaboru Pruskiego (POWZP)) (Kommandant Wincenty Wierzejewski), die locker mit der POW (der Polnischen Militärorganisation) in Kongresspolen verbunden war. Ihr gehörten größtenteils die Pfadfinder-Deserteure an. Obwohl sie Anfang November 1918 in Posen kaum ca. 200 Mitglieder zählte, trug sie bedeutsam zu den Erfolgen in den ersten Tagen des Aufstandes bei. Und außerdem machten sich für den Aufstand etwa tausend Mitglieder der Pfadfindergruppen, der selbständigen Kampfgruppen und großpolnische Grenzabteilungen bereit, die in Kongresspolen organisiert wurden (so z.B. das Bataillon in Szczypiorno).

 

Die ersten Stunden und Tage waren die wichtigsten

Am 26. Dezember 1918 wurde in Posen enthusiastisch Ignacy Jan Paderewski empfangen. Der nächste Tag brachte dann ziemlich unerwartete Ereignisse für die Anführer der polnischen Unabhängigkeitsbewegung, in deren Plänen eine bewaffnete Aktion für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen war. Die anfänglichen allgemeinen Pläne des Geheimen Militärischen Stabes, der durch Bohdan Hulewicz und Mieczysław Paluch organisiert wurde, haben es nicht geschafft, in das Stadium der Realisierung überzugehen. Als Antwort auf die polnischen Demonstrationen beschlossen die Deutschen, ihre Anwesenheit in Posen zu demonstrieret, indem sie am Nachmittag am 27. Dezember 1918 einen Umzug organisierten. An seiner Spitze standen die Soldaten aus der örtlichen Garnison, die in Richtung „Bazar“ marschierten, wo sich I. J. Paderewski mit der Alliierten-Mission aufhielt. Die alarmierten Kompanien der SL (Volkswehr) und SSiB stellten daraufhin die Ordnung in der Stadt wieder her. Nach dem Bericht des Chefs der britischen militärischen Mission, Oberst Harry Herschel Wade, kam es am 27. Dezember 1918 in Posen zum Abreißen der polnischen Flaggen und der Flaggen der Verbündeten in der Nähe des Hotels „Bazar“, wo sich I. J. Paderewski mit der Alliierten-Mission aufhielt.

Gegen 17 Uhr fielen in der Nähe von „Bazar“ die ersten Schüsse. Bis heute ist es nicht gelungen, eindeutig festzustellen, wer als erster mit dem Schießen angefangen hat; ob es die deutschen Soldaten aus dem 6. Grenadier-Regiment waren, oder Polen, die für den Schutz des Aufenthaltsortes des Ehepaares Paderewski zuständig waren. In den erhaltenen Berichten der Teilnehmer ist von deutschen Teilnehmern des Umzuges, die aus den Revolvern in die Luft schossen, die Rede. Als sich auf dem Wilhelmsplatz (heute Freiheitsplatz) weitere polnische Unterabteilungen einfanden, zogen sich die Deutschen in das Museumsgebäude neben dem „Bazar“ zurück, und dann in Richtung Polizeipräsidium. Spontan, und ohne dass die Aktion der Polen zentral gesteuert wäre, fingen die Unterabteilungen von SSiB und SL und selbständige Kampfgruppen an, die Deutschen aus der Stadtmitte zu verdrängen. Man nahm das Arsenal bei Wielkie Garbary, das Postgebäude, das Regierungsbezirksgebäude und den Hauptbahnhof ein.

In vielen Punkten der Stadt kam es zu einem gegenseitigen Feuerwechsel, so u.a. an der Chwaliszew-Brücke, neben dem städtischen Gaswerk, in der Ogrodowa-Straße, in der Zielona-Straße und beim Versuch der Einnahme der Kasernen des 6. Grenadier-Regiments in der Bukowska-Straße. Die SSiB-Kompanie unter Leutnant Edmund Krause wurde an der Straßenecke der Straßen Berlińska und Rycerska (F. Ratajczaka) durch die Deutschen aus dem am Eingang in das Polizeipräsidium aufgestellten Maschinengewehr angeschossen. Der Chef dieser Kompanie, Feldwebel Franciszek Ratajczak wurde schwer verletzt, und starb während der Operation im Garnisonskrankenhaus.

Die weiß-roten Fahnen auf den Posener Straßen und die zur Ehre der Alliierten ausgehängten französischen, britischen und amerikanischen Flaggen sorgten für Unmut bei den in der Stadt lebenden Deutschen und wurden zum Vorwand des Stiftens von Unruhen. Das Abreißen der polnischen und alliierten Zeichen durch den Deutschen Umzug war der Hauptgrund für den Beginn der Kämpfe im Zentrum Posens. So wurden also die spontanen oder provozierten Handlungen der deutschen Soldaten und Zivilisten schnell und gekonnt durch die Polen unter Kontrolle gebracht. Im Endeffekt zogen sie aber weitere aufständische Handlungen der Großpolen nach sich. In den nächsten Tagen wurden die Zitadelle, die Kasernen des 47. Infanterieregiments, Artillerie-, Pionier, des Tross- und Kavallerie-Kasernen und das Fort Grolman eingenommen. Die Deutschen konnten in dieser Situation keine wirksamen Schritte unternehmen, um den Aufstand zu unterdrücken. Sie wurden durch die Ereignisse überrascht und sie wussten auch nicht, wie zahlreich die polnischen Formationen waren. Die Desorganisation der deutschen Aktion vertiefte noch zusätzlich die Verhaftung des Kommandos des V. Armee-Korps und der höchsten deutschen Beamten. Die Deutschen blieben praktisch ohne militärische und zivile Führung. Noch am 28. Dezember abends ernannte das Kommissariat von NRL nach einer Beratung mit Józef Piłsudski den Hauptmann Stanisław Taczak zum vorübergehenden Befehlshaber des Aufstandes.

Die Besetzung von Posen und der in seiner Nähe liegenden Kasernenobjekte (die Kasernen von Solacz, die Flugstation in Ławica, das Übungslager in Biedrusk), die durch zuvor vorbereitete, organisierte und bewaffnete polnische Abteilungen ausgeführt wurde, war zweifelsohne ein militärischer und moralischer Erfolg. Posen wurde unter nur geringen Verlusten (8 Gefallene und ca. 20 Verletzte) eingenommen.

Der Ausbruch der Kämpfe in Posen wurde zum Stichwort, um eine aufständische Großaktion in Großpolen einzuleiten. Schnell und spontan wurden die ersten Freiwilligen-Abteilungen formiert, die sich vorwiegend aus den Einwohnern der konkreten Orte zusammensetzten. Der Befehlshaber wurde meistens durch eine demokratische Wahl gewählt, und es wurden Organisationsformen übernommen, an die man an der Front, im Dienste der deutschen Armee gewöhnt war. Anfänglich gab es keine Abteilungen, die den Charakter einer konkreten Formation trugen. Es handelte sich um Bataillone und Kompanien mit territorialen Namen, so z.B.: die Gołancz-Kompanie, Stęszew-Kompanie und Powidz-Kompanie, und das Śrem- und Gniezno-Bataillon.

Der Hauptstadt Großpolens eilten die Freiwilligen-Abteilungen zur Hilfe, u.a. das Bataillon aus dem Kreis Posen-West (Leutnant Andrzej Kopa), die Kompanien: Czerniejewo-Kompanie (Feldwebel Franciszek Złotowicz), Kórnik-Kompanie (Leutnant Stanisław Celichowski), Środa-Kompanie (Leutnant Alfred Milewski) und Pleszew-Kompanie (Leutnant Feliks Pamin). Die aufständische Bewegung weitete sich in die östliche und südliche Richtung, bis zur Grenze des ehemaligen russischen Teilungsgebietes aus. Es wurden Września, Gniezno und Witkowo befreit, und die deutschen Expeditionsabteilungen, die aus Bydgoszcz nach Gniezno geschickt wurden (400 Soldaten, eine Artillerie-Batterie und 30 Maschinengewehre), wurden am 30.-31. Dezember bei Łopienno und Zdziechowa angehalten. Der Kampf um Zdziechowa war das erste größere Gefecht der Aufständischen in Feldbedingungen. Er war von Schlüsselbedeutung für die Entwicklung des Aufstandes, und zwar nicht nur im Kreis Gniezno. Die zerschlagene Grenzschutz-Gruppierung könnte im Falle eines Sieges gefährlich für Posen werden. Nach diesem Erfolg haben die Aufständischen aus Gniezno den Plan gefasst, Kujawy und Bydgoszcz einzunehmen. Die Freiwilligen-Abteilung zog am 1. Januar 1919 unter dem Kommando von Leutnant Paweł Cyms los. Die Aktion mobilisierte die Freiwilligen-Abteilungen aus Trzemeszno, Kruszwica, Mogilno und Strzelno. An den blutigen Kämpfen um Inowrocław (5.-6. 1 1919) nahmen mehr als 900 Leute teil – darunter zwei Kompanien der Polnischen Armee, die aus Włocławek dazu stießen. Die Befreiung der Stadt erfolgte bei relativ großen Verlusten: 47 getötete Soldaten und 6 Zivilisten, etwa 120 Verletzte. Die Deutschen hatten 14 Getötete und eine unbekannte Zahl an Verletzten.

Im nördlichen Großpolen weitete sich der Aufstand in mehrere Richtungen aus: von Wągrowiec, Oborniki, Rogoźno nach Kcynia und Chodzież; von Nakło und Gołańcz nach Mrocza, Wysoka und Ślesin. Die Kompanien aus Września und Gniezno zogen nach Żnin und Szubin. Die Kämpfe verliefen mit unterschiedlichem Erfolg. Der erste Angriff der Aufständischen auf Szubin (8.1.1919) endete mit Niederlage und großen Verlusten: 23 Gefallene, über 20 Verletzte, 92 Gefangengenommene. Der Hauptgrund der Niederlage war das Fehlen einer einheitlichen Führung, des Zusammenhalts zwischen den aufständischen Kompanien, aber auch das Fehlen der Fähigkeit der Steuerung des Kampfes bei den Befehlshabern. Die Übernahme der Initiative durch die Deutschen in dieser Region hemmte die bewaffnete Bewegung im nordöstlichen Teil Großpolens. Der Befehlshaber der aufständischen Abteilungen in dieser Richtung, Oberstleutnant Kazimierz Grudzielski, der die zunehmende Gefahr erkannte, wendete sich noch am 8. Januar an das Oberkommando in Posen um Hilfe. Dort wurde nach den Kenntnissen von Major Stanisław Taczak dank den Anstrengungen von Oberstleutnant Juliusz Stachiewicz, Leutnant Mieczysław Paluch und Leutnant Władysław Zakrzewski im Alarmtempo eine Freiwilligen-Angriffszug-Gruppe organisiert. Unter dem Kommando von Oberstleutnant K. Grudzielski befanden sich etwa 2000 Aufständische, d.h. 5 Offiziere, 60 Unteroffiziere mit schweren Maschinengewehren, 8 Kanonen und eine Kavallerie-Schwadron. Diesmal endete die durchgeführte Offensive, der sog. zweite Kampf um Szubin (11.-12.1.1919) mit Erfolg und mit der Vertreibung der Deutschen aus Żnin, Łabiszyn, Szubin und Złotniki Kujawskie. Die Aufständischen befreiten das ganze nordöstliche Großpolen, indem sie die Verteidigung auf der Netze-Linie stützten. Sie unterbrachen die deutschen Verkehrslinien, die aus Bydgoszcz westwärts führten. Es entstand die Möglichkeit, den Angriff in Richtung Pommern weiterzuentwickeln. Allerdings wurde die weitere Offensive in Richtung Norden durch das Kommissariat des NRL und das Oberkommando angehalten. Grund dafür war eine polnisch-deutsche Vereinbarung, die einen Rückzug der Abteilungen aus Weißrussland in die Tiefe Deutschlands ermöglichte.

Im westlichen Großpolen übernahm Grodzisk die Rolle der Einsatzzentrale. Hier wurden Handlungen unternommen, um das Gebiet westlich von Warthe zu befreien. Das dringendste Ziel der Aufständischen unter dem Kommando von Kazimierz Zenkteler war das Erreichen der Obra-Linie und der Bentschener Seen sowie die Durchtrennung der Eisenbahnverbindungen, die aus Berlin nach Krzyż und in die Tiefe Großpolens führten. Es wurden Rakoniewice, Wolsztyn und Nowy Tomyśl eingenommen. Allerdings kämpfte man erfolglos erbitterte Kämpfe um Zbąszyn und Międzychód (4.-5. 1. 1919). Das Oberkommando in Posen hatte es den Aufständischen verboten, die Obra-Linie zu überqueren. Dieser Beschluss wurde auf Druck des Kommissariats des NRL erlassen, der sich durch politische Rücksichten leiten ließ.

Bis zum 30. Dezember 1919 übernahm man die Macht in den Kreisen Kościan und Gostyń. Die Deutschen nutzten die fehlende Entschlossenheit der örtlichen Volksräte zum schnellen Handeln. Sie formierten in Leszno und Rawicz Freiwilligen-Bataillone und erhielten auch Verstärkung aus Wrocław und Głogów. Erst am 6. Januar zog aus Gostyń nach Leszno ein aufständisches Bataillon unter Leutnant Bernard Śliwiński los. Es wurden u.a. Kąkolewo, Osiecznę und Pawłowice besetzt, wodurch man an den Flügeln Verbindungen mit dem westlichen und südlichen Abschnitt erreichte. Im Süden Großpolens initiierte das sog. Grenz-Bataillon aus Szczypiorno, welches sich aus den Freiwilligen aus Ostrów zusammensetzte, die Befreiungshandlungen. Es wurde durch die Freiwilligen-Abteilungen aus Jarocin, Ostrzeszów und Pleszew unterstützt. Der Befehlshaber auf diesem Frontabschnitt war Leutnant Władysław Wawrzyniak. Am 31. Dezember 1918 wurden Krotoszyn und Ostrów Wielkopolski eingenommen. Die Aktion der Aufständischen konzentrierte sich auf Jutrosin und Miejska Górka (Leutnant Ignacy Busza).

Das Kommissariat von NRL versuchte anfangs, mit den Deutschen zu verhandeln. Eine Woche lang versicherte es die Regierung in Berlin, die Situation unter Kontrolle zu haben, indem es behauptete, dass es sich dabei nur um lokale Unruhen handle. Am 3. Januar 1919 beschloss der NRL die Macht in Posen zu übernehmen. Allerdings hat er die deutsche Regierung erst fünf Tage später darüber in Kenntnis gesetzt. Das veränderte die Lage des Oberkommandos (DG), welches bislang geheim arbeitete, d.h. im hinteren Teil des Hotels Royal in der Straße Św. Marcin. Mehr als Dutzend Offiziere dieses Stabes trugen statt Uniformen Zivilkleidung. Erst am 5. Januar hat das Oberkommando seine Tätigkeit bekannt gegeben und erteilte seinen ersten Tagesbefehl. Es teilte das großpolnische Gebiet in 9 Militärische Bezirke (Okręgi Wojskowe) auf. In den ersten zehn Tagen hatten die Handlungen der Freiwilligen-Abteilungen den Charakter irregulärer Handlungen. Sie entwickelten sich spontan, eigenwillig und entsprachen den lokalen Möglichkeiten. Mit den besten Ergebnissen wurden einfache Aktionen durchgeführt.

Die Übernahme der Macht durch die Aufständischen in den Kreisstädten bedeutete im Allgemeinen die Einnahme des gesamten Landkreises. In den Fällen, als die Deutschen Schritte einleiteten, um die Aufständischen zu vertreiben und die Errungenschaften der Polen gefährdeten, kam es zu einer gegenseitigen Hilfestellung aus den benachbarten Zentralen (z.B. Września und Gniezno). Es erfolgte dann eine Versammlung der Abteilungen, und die Befehlshaber unternahmen nach einem provisorisch vorbereiteten Plan Offensivhandlungen, die in gewissem Sinne den Charakter eines Überraschungsangriffs hatten.

Die Handlungen der Aufständischen in den ersten Tagen waren durch großen Temperament und durch Mängel in der Führung gekennzeichnet. Diese Mängel wurden oft durch die Willensstärke und den Patriotismus der Freiwilligen kompensiert. Die auf dem Kampffeld mehrfach begangenen Fehler hatten tragische Konsequenzen. Sie endeten mit dem Tod der Befehlshaber, so u.a. Korneliusz Mann, Edmund Krause und Władysław Wiewiórkowski.

Nach etwa zehn Tagen des Aufstandes bildete sich eine Gruppe der Befehlshaber heraus, die trotz ihrer niedrigen militärischen Dienstgrade (Oberleutnant und Feldwebel) gut in Positionen zurechtkamen, die für Offiziere höherer Dienstgrade bestimmt waren. Zu ihnen gehörten u.a.: Edmund Bartkowski, Paweł Cyms, Konrad Golniewicz, Bohdan Hulewicz, Andrzej Kopa, Włodzimierz Kowalski, Ignacy Mielżyński, Zdzisław Orłowski, Mieczysław Paluch, Edmund Rogalski, Stanisław Siuda, Kazimierz Szcześniak, Bernard Śliwiński und Kazimierz Zenkteler.

In den ersten Wochen des Aufstandes war die zahlenmäßige Zusammensetzung der Freiwilligen-Abteilungen noch sehr fließend. In vielen Dörfern und Städtchen kehrten die Freiwilligen nachdem sie ihre Aufgabe ausgeführt hatten nach Hause zurück. Im Falle einer weiteren Aktion wurden erneut die Freiwilligen rekrutiert. Nach den bislang unvollständigen Schätzungen zählten die Freiwilligen-Formationen an der Front etwa 9-10 Tsd. Aufständische. Mitte Januar 1919 stieg die Zahl dieser Streitkräfte schon auf 14 Tsd. Freiwillige an. Major Stanisław Taczak, der gut die Spezifik der Freiwilligen-Abteilungen verstand, mischte sich nicht in das Innenleben der Abteilungen ein, und die Freiwilligen wählten oft selbst ihre Befehlshaber, indem sie einander als „druh“ (Kamerad) ansprachen, nach dem Vorbild des Turnvereins „Sokół” (Falke).

 

Die Großpolnische Armee und die Verteidigung der Errungenschaften des Aufstandes

Zum Erfolg des Aufstandes und zu militärisch-organisatorischen Errungenschaften trugen im beachtlichen Maße die nachfolgenden Oberbefehlshaber bei: Major Stanisław Taczak, General Józef Dowbor Muśnicki und das Offizierskorps. Gerade S. Taczak erschuf die organisatorischen Grundlagen des Aufstandes und eine das befreite Gebiet schützende Front. General J. Dowbor Muśnicki hat wiederum aus den aufständischen Abteilungen die Anfänge einer regulären Armee entwickelt, die auf einer Pflichteinberufung basierte. Die Grundlage des Offizierskorps bildeten die Berufsoffiziere, und zwar insbesondere seine Unterstellten aus dem ehemaligen I. Korps. Diese Formation umfasste zwei Infanterie-Divisionen, eine Kavallerie-Brigade, drei Artillerie-Brigaden, Luftstreitkräfte, technische Truppen (Pionier-Abteilungen, Telegraphen-Abteilungen, Eisenbahn-Abteilungen, Automobil-Abteilungen), Gendarmerie, und folgende Dienste: Sanitätsdienst, Veterinärdienst, Gerichtsbarkeits- und Seelsorgedienst.

Die großpolnische Verteidigungslinie wurde in vier innere Fronten aufgeteilt (ab dem 19. Februar in drei) und in die ihnen entsprechenden Militärischen Bezirke (Okręgi Wojskowe). Es wurden Inspektorate der einzelnen Arten der Streitkräfte gebildet: der Infanterie – Generalmajor Kazimierz Grudzielski, der Artillerie – Oberst Anatol Kędzierski, der Luftstreitkräfte – Oberst Gustaw Macewicz, der technischen Truppen – Oberst Jan Skoryna, Sanitätsdienst – Generalmajor Ireneusz Wierzejewski und der Landwehr (Obrona Krajowa) – Oberst Julian Bolesław Lange.

Im Rahmen des Kommissariats von NRL funktionierte eine Militärische Abteilung, die die Funktion eines lokalen „Kriegsministeriums“ übernahm. Dieses Organ leitete Generalmajor Kazimierz Raszewski, der ehemalige Oberstleutnant des Husaren-Regiments der preußischen Armee. Als Vertrauter des Obersten Volksrates übernahm er die Funktion eines „Kontrolleurs“ der Vorhaben von Dowbor Muśnicki.

Anfang Februar 1919 gingen die Deutschen auf der gesamten Frontlänge zur Offensive über. Die polnische Führung in dieser Region konzentrierte sich auf die Manöververteidigung. Die Stellen des Angriffs der deutschen Truppen waren unbekannt, daher organisierte man relativ starke Reservetruppen. Die schwersten Kämpfe fanden an der Nord- und Westfront statt. Manche Orte wechselten mehrfach ihren Besitzer (so Rynarzewo). Einen dramatischen Verlauf nahmen die Kämpfe an der Westfront, wo die Deutschen die Aufständischen auf dem Międzychód-Abschnitt angriffen. Den Deutschen gelang es Babimost und Kargowa zu erobern. Nach mehreren Tagen schwerer Kämpfe wurde der deutsche Angriff an der Linie der Bentschener Seen aufgehalten (19. Februar). Trotz der entschiedenen Überlegenheit an Leuten und Ausrüstung gelang es den Deutschen nicht, die gesetzten Ziele zu erreichen.

Die Versuche, der deutschen Offensive an der südlichen Front zuvorzukommen, endeten mit Niederlage. Zwei polnische Angriffe auf Rawicz (3. und 5.-6. Februar) blieben erfolglos. Die Deutschen hatten große Verluste davongetragen. Ihre auf Krotoszyn ausgerichteten Aktionen (10. Februar) führten trotz der vorangegangenen Besetzung von Zduny, nicht zum Erfolg.

Die Intensität der Kämpfe ebbte erst in der zweiten Februarhälfte des Jahres 1919 ab. Dank den Maßnahmen der polnischen Diplomatie, den Anstrengungen des Kommissariats von NRL und der Unterstützung Frankreichs wurden die Deutschen zur Unterbrechung der Kriegshandlungen gezwungen (Abkommen in Trier 16.2.1919).

Am 3. Mai 1919 präsentierte sich die großpolnische Armee der Gesellschaft während der großen Militärschau in Ławica anlässlich des nationalen Feiertages. Es entstand eine starke Armee, die im Juni 1919 ca. 102 Tsd. Soldaten zählte, davon 70 Tsd. in der vordersten Frontlinie. Der Volkswehr (Straż Ludowa) gehörten weitere 100 Tsd. Mitglieder an. Der Ausbau der großpolnischen Streitkräfte war mit der zunehmenden Nachfrage nach Offizieren verbunden. Angesichts ihres Mangels wurden Offiziersschulen gegründet: Infanterie-, Artillerie-, Flieger-, und Luftschifffahrt- (Ballonfahrt-) Schulen sowie Landwehr-Schulen.

Infolge der aufständischen Kämpfe bis Mitte Februar 1919, und später während der Gefechte an der Waffenstillstands-Linie fielen ca. 1800 Soldaten. Die meisten Opfer wurden an der Nordfront registriert, wo 587 Aufständische und Soldaten fielen, und 101 an den erlittenen Verwundungen starben. Die großpolnische Front existierte bis März 1920. Wenn man die Verluste der großpolnischen Abteilungen, die in Ostgalizien und an der Litauisch-Weißrussischen Front kämpften, berücksichtigt, wird sich die Zahl der Gefallenen und der an Verwundungen verstorbenen großpolnischen Soldaten auf ca. 2500 belaufen. Mindestens weitere 5 Tausend fielen während des Krieges gegen das bolschewistische Russland 1919-1920 und während der Oberschlesischen Aufstände.

Ende Januar 1919 wurde eine einheitliche Uniform eingeführt, wobei man die riesigen Vorräte an deutschen Uniformen verwendete. Ein charakteristisches die großpolnischen Soldaten auszeichnendes Element war die hohe Rogatywka („Eckenmütze“) aus fahlgrauem Tuch mit einer Schnur-Schlaufe in Trèfle-Form auf der linken Seite, und weiß-rote Schleifen am Kragen. Anders waren in der Großpolnischen Armee auch die Dienstgradabzeichen, die man an den Ärmeln und an der Rogatywka-Mützen trug. Die durch die Aufständischen und die Soldaten der Großpolnischen Streitkräfte verwendeten nationalen Symbole, bekräftigten sie in ihrer Überzeugung, dass sie ein Teil der wiedererstehenden Polnischen Armee sein werden.

Der Waffenstillstand wurde für sechs Wochen unterzeichnet, indem man ihn später nochmal verlängerte. Nichtsdestotrotz kam es zu lokalem Gefechten, und die Deutschen bereiteten eine weitere Offensive vor, an deren Spitze der in Posen geborene Marschall Paul von Hindenburg stehen sollte. Der Ausbruch des Aufstandes stellte auch eine Korrektur der Pläne der Politiker dar, die gezwungen waren, die Politik der vollendeten Tatsachen zu akzeptieren. Das Kommissariat von NRL spielte eine große Rolle bei diplomatischen Maßnahmen, infolge welcher die Deutschen gezwungen waren, die Waffenstillstandsbedingungen zu unterzeichnen. Dieser Waffenstillstand rettete Großpolen vor der Intervention der deutschen Ober-Ost-Truppen

Bis Ende Mai 1919 funktionierte die großpolnische Front selbständig, und unterstand in operativer Hinsicht nicht dem Oberkommando der Polnischen Armee in Warschau. Angesichts der zunehmenden Gefahr einer deutschen Offensive stellte das Kommissariat von NRL einen Antrag auf den „Zusammenschluss der nationalen Armee“. Am 30. Mai bestätigte der Oberbefehlshaber Józef Piłsudski die operative Unterordnung der großpolnischen Streitkräfte. Die Arbeiten an dem Zusammenschluss dauerten noch bis November dieses Jahres an.

 

Die Bedeutung und Schlussbemerkungen

Am 28. Juni wurde in Versailles der Friedensvertrag unterzeichnet. Auf die Gestalt der polnischen westlichen Grenze hatte der großpolnische Sieg einen riesigen Einfluss gehabt, weil die Grenzlinie die durch die Aufständischen eroberten Gebiete umfasste. Es wurde auch dank der Aktion der polnischen Delegation während der Pariser Konferenz und dem Wohlwollen Frankreichs das Maximum dessen erreicht, was man damals erzielen konnte. Ein ganz wesentlicher Erfolg war die Zuerkennung Polen der noch nicht befreiten Gebiete, u.a. Bydgoszcz, Kępno, Leszno, Rawicz und Zbąszyń.

Obwohl der Großpolnische Aufstand nicht alle Gebiete der preußischen Teilungszone umfasste, beeinflusste er die konspirative Bewegung in Pomorze Gdańskie (Pommerrellen) und in Oberschlesien. Er hatte auch einen riesigen Einfluss auf die Gestaltung der westlichen und nördlichen Grenze der II. Rzeczpospolita. Die großpolnischen Abteilungen kämpften später im östlichen Kleinpolen, an der litauisch-weißrussischen Front, und vor allem während des polnisch-bolschewistischen Krieges im Jahr 1920. Erfahrene Offiziere aus Großpolen trugen zum Sieg des III. Schlesischen Aufstandes im Jahr 1921 bei.

Großpolen leistete einen beachtlichen Beitrag zur Organisation der polnischen Armee des wiedererstehenden Polnischen Staates. Es war nicht nur ein Ausdruck des Patriotismus und des organisatorischen Kompetenz. Die Provinz Posen vermied, im Unterschied zu dem österreichischen und russischen Teilungsgebiet, Zerstörungen während der Kriegshandlungen. Es sollte erwähnt werden, dass Großpolen ein Sechstel der Polnischen Armee organisiert hat. Es wurden ca. 8 % der gesamten Bevölkerung in die Armee einberufen, d.h. jeder 12. Einwohner diente in den Reihen der Großpolnischen Armee. Vor dem Hintergrund der anderen Formationen der Polnischen Armee zeichneten sich die großpolnischen Abteilungen durch gute Kampfausbildung, Ausrüstung und Disziplin aus.

Die Unterhaltung dieser Streitkräfte erforderte beachtliche finanzielle Mittel. Erst im November 1919 gehörte die Großpolnische Armee in finanzieller Hinsicht zum Kompetenzbereich des Ministeriums für Militärische Angelegenheiten. Es wurden zu diesem Zweck die Rücklagen der polnischen Banken und Gesellschaften verwendet, und man wendete sich an die Gesellschaft, um 5 % Pożyczki Odrodzenia Polski (5%-Darlehen zum Wiedererstehen Polens). Bis Ende 1919 hat die polnische Gesellschaft der Provinz Posen 348 Mio. Mark und 12 Mio. Rubel gezeichnet und eingezahlt, man spendete auch Gold und Silber im Wert von 26 Mio. Mark. Im Mai 1919 wurden für die Erhaltung der großpolnischen Front ca. 74 Mio. Mark ausgegeben. Die langen Spender-Listen wurden in der Presse veröffentlicht. General J. Dowbor Muśnicki würdigte die Teilnahme der Gesellschaft an der Bildung der Armee besonders hoch: Ohne die helfende Unterstützung der Gesellschaft würde ich in Polen nicht einmal die Hälfte dessen erreichen, was man eine „Elite-Armee“ nennt.