Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

Wie und warum es im Dezember 1918 zum Ausbruch des Großpolnischen Aufstandes kam

Marek Rezler

Der großpolnische Aufstand wird meistens unter dem Aspekt des Kampfes analysiert – einer dynamischen, attraktiven, leicht fasslichen und einzuprägenden Erscheinung. Allerdings bilden in der Geschichte alle Ereignisse und Erscheinungen eine einzige Kette in der unendlichen historischen Abfolge, von denen jedes seine Ursache hat und weitere Fakten nach sich zieht. Bevor es nämlich zu dem Ausbruch des Aufstandes in Posen kam, entstand ein spezifischer Hintergrund, auf dem Umstände aufgetreten sind, die die Aufnahme des Kampfes erst ermöglichten. Es ist daher unerlässlich an diese Fakten zu erinnern.

Wir haben uns daran gewöhnt, die polnischen nationalen Aufstände mit (völlig berechtigter) Andacht und Wertschätzung zu behandeln. Es findet nur selten eine Reflexion aus der Sicht der Zeit statt, die einigermaßen sachlich und frei von Emotionen ist, weil die Mehrzahl unserer Aufstände mit Niederlage endete, was ein Gefühl der Machtlosigkeit, Tragödie und Frustration hinterließ. Im Allgemeinen hat man selten nach den Ursachen des Misserfolges auch in den internen Fehlern, in falscher Denkweise, in den Fehlern der Methodik des Freiheitskampfes gesucht. Es gab in unserer Geschichte spontane Aufstände, die sich im falschen Moment ereigneten und schlecht vorbereitet waren, in welchen die Emotionen über die Überlegung und gute Organisation triumphierten. Und es gab da auch einen gut überlegten Aufstand: den Großpolnischen Aufstand aus den Jahren 1918-1919.

 

Vor dem Großen Krieg

 

Bevor der Aufstand in Großpolen ausbrach, gab es bereits eine über hundert Jahre lang dauernde Teilnahme am bewaffneten Kampf – aber auch eine Festlegung des eigenen, ganz spezifischen Weges zur Unabhängigkeit. Die Traditionen der Region reichen hier bis zur Konföderation von Bar von 1768-1772, die in einigen Kreisen als ein bewaffneter Aufstand gegen Russland, und teilweise gegen Preußen betrachtet wird. Die Großpolen nahmen an dem Kościuszko-Aufstand von 1794 teil, der sich in der Region erfolgreich entwickelte, allerdings dann mit der Niederlage bei Maciejowice sieglos enden musste. In den Jahren 1806-1807 ist ein siegreicher Aufstand gegen die Preußen ausgebrochen, der durch Napoleon initiiert wurde, und der mithilfe der Aktivität der Großpolen die endgültige Niederlage der Preußen zu beschleunigen suchte, die in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt besiegt wurden. Nach Posen kamen damals die Generäle Jan Henryk Dąbrowski und Józef Wybicki, die die Einwohner der Region zum Handeln aufriefen. In zwei Wochen wurde Großpolen von den Truppen der Teilungsmacht befreit, und das Echo dieser Ereignisse kann man im X. Buch von Adam Mickiewiczs „Pan Tadeusz” („Herr Thaddäus“) finden, und zwar in der Erzählung von Bartek Prusak (d.h. des aus dem preußischen Gebiet ankommenden Polen) – des Beobachters der Geschehnisse.

Weniger bekannt ist auch ein anderer verkündeter Aufstand – gegen Österreich im Jahr 1809. Dafür hatte die Beteiligung der Freiwilligen aus der Region im Novemberaufstand eine besondere Bedeutung für den Freiheitskampf der Großpolen. Die erlittene Niederlage gab Anlass zu Überlegungen über die Richtigkeit der angenommenen Kampfmethode. Schon nach dem Untergang von Napoleon und der Gründung des Großherzogtums Posen sind Meinungen über die Notwendigkeit, „sich mit Schützengräben zu umgeben“ und eine neue Methode des Vorgehens festzulegen, aufgetreten, weil es unmöglich war, eine geeignete Zeit für den Unabhängigkeitskampf festzulegen. Damals begann Dezydery Chłapowski, der Wegbreiter der modernen Landwirtschaft in Großpolen, seine Tätigkeit. Allerdings haben die ersten Monate nach 1831 den Anfang für eine neue Richtung des Handelns gesetzt: eine organische Arbeit, die aber mit der Bereitschaft zum bewaffneten Kampf verbunden war. Irgendwann müsste es zu diesem Kampf kommen, das war unvermeidlich, aber eine günstige Gelegenheit könnte erst in zehn, fünfzig – oder in hundert Jahren kommen. Die Teilungsmacht wird währenddessen das Volk germanisieren, ihm sein nationales Bewusstsein wegnehmen, und sich um eine Integration der polnischen Gesellschaft in den preußischen Staat (seit 1871 deutschen Staat) bemühen, sie ihrer Identität berauben. Daher war es erforderlich, sich auf eine vielseitige Erziehung der polnischen Gesellschaft zu konzentrieren – nicht aber auf vergebliche Aufstände, die ohne jede Chance auf eine Hilfe von außen scheitern, mit einer Tragödie enden und die Effekte der bisherigen nationalen Tätigkeit zunichtemachen müssten. Die Spezifik des großpolnischen Weges zur Unabhängigkeit bestand in geschickter Nutzung der Vorgehensmethodik und des Potentials der Teilungsmacht, in der Entwicklung konkurrenzfähiger Strukturen, wovon noch die Rede sein wird. Vor dem Hintergrund dieser Methode waren die Ereignisse des großpolnischen Völkerfrühlings von 1848 ein eigenartiger „Unfall bei der Arbeit“ – zwar lobenswert, aber nicht zu dem spontan angenommenen Grundsatz passend, ähnlich wie die Teilnahme der Freiwilligen aus Großpolen an dem Januaraufstand 1863-1864.

Die Jahre 1864-1914 zwischen dem Zusammenbruch des Aufstandes und dem Ausbruch des I. Weltkrieges hatten eine riesige Bedeutung für die Gestaltung neuer politischer Kräfte in Europa und das Bewusstsein der Polen in der Provinz Posen. In dieser Zeit wuchs eine neue Generation heran, die nicht nur im Bewusstsein einer weiteren erlittenen Niederlage aufwuchs, sondern auch im Geiste der organischen Arbeit erzogen wurde – und im Feuer der Ausnahmegesetze gehärtet wurde. Und das alles fand in der Atmosphäre des heranziehenden, unvermeidlichen, großen Konflikts zwischen den europäischen Großmächten jener Zeit statt.

Eine ausdrückliche Intensivierung der Germanisierungsmaßnahmen (nicht nur in polnischen Gebieten, sondern auch in Elsass-Lothringen und in Schleswig-Holstein) erfolgte ab Januar 1871 – seit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Für eine geistige Vereinigung der polnischen Gesellschaft im deutschen Geiste fehlte jedoch die Zeit. Es näherte sich ein unvermeidlicher, großer Konflikt im Zentrum Europas und man sollte sich wenn schon nicht die Loyalität, so doch den Frieden in diesem Teil des Kontinents sichern. Man begann die Methode der Gewalt anzuwenden – was der polnischen Seite gerade recht kam, aber nicht besonders geschickt war. In den achtziger Jahren des XIX. Jahrhunderts und zu Beginn des nächsten Jahrhunderts wird ein Zeitraum einer besonders intensiven Entnationalisierung der Polen in der Provinz Posen und im russischen Teilungsgebiet verzeichnet. Nach 1871 kam im Deutschen Reich eine Zeit von außerordentlichen Ausnahmegesetzen. Schon in den Jahren 1872-1874 hatte man beinahe ganz die polnische Sprache aus den Schulen entfernt, man bemühte sich auch darum, die Zahl der polnischen Lehrer zu senken. 1876 führte man Deutsch als Pflichtsprache in der Gerichtsbarkeit und in den Ämtern ein. 1885 ordnete man ein sofortiges Verlassen des Deutschen Reiches durch die Untergebenen anderer Staaten an. Ein weiterer entschiedener Schritt war die Beaufsichtigung von Landbesitztümern und nach Möglichkeit deren Übergabe in deutsche Hände. Anfänglich war diese Organisation tatsächlich erfolgreich, zumal sie sich die materielle und nicht patriotische Einstellung eines Teils der großpolnischen Gutsbesitzer zunutze machte. Erst der energische Widerstand des Pfarrers Piotr Wawrzyniak hielt diese Tendenz auf.

Für viele Kontroversen sorgte die Gründung des Deutschen Ostmarkenvereins in Posen im Jahr 1894, der ausgehend von den ersten Buchstaben der Nachnamen seiner Gründer „Hakata“ genannt wurde. Diese Organisation war nicht besonders zahlreich (21 tausend Mitglieder im Jahr 1901), sie war aber sehr aktiv und radikal im Propagieren des Deutschtums in den östlichen Randgebieten des Deutschen Reiches. Anfang des XX. Jahrhunderts kam es zu Ereignissen, die damals im besonderen Maße für öffentliches Ärgernis sorgten: es kam zur Einführung des Religionsunterrichts in deutscher Sprache in den Schulen. Bereits früher hat man stufenweise das Recht zur Verwendung polnischer Sprache bei öffentlichen Versammlungen eingeschränkt, und in den Schulen wurden fast alle Fächer in deutscher Sprache unterrichtet. Die Schüler und die Eltern im preußischen Teilungsgebiet erhoben jedoch scharfe Proteste gegen die Einführung dieser Sprache in die letzte Bastion des Polentums in der Schule: in den Religionsunterricht. Man kann deutlich sehen, dass nach einem Vierteljahrhundert die Tendenzen von der Zeit des Kulturkampfes wiederkehren, als Otto von Bismarck, entgegen seinen Absichten, die polnische Gesellschaft, statt sie zu polarisieren, vielmehr zusammenschloss – indem er eine Vereinigung polnischer Kreise um den katholischen Glauben und seiner Geistlichkeit bewirkte.

Eine weitere Phase der Druckausübung auf die polnischen Kreise erfolgte im Jahr 1904, als die Entscheidung für die Errichtung eines neuen Baus vom Gutachten der Verwaltung abhängig gemacht wurde. Damals war das spektakulärste Zeugnis des Irrtums dieser Haltung u.a. die demonstrative Haltung von Michał Drzymała. Der fehlende Humor seitens der deutschen Verwaltung inspirierte wiederum zur Gewaltanwendung, die teilweise zu allen Mitteln griff. Es kam manchmal zu schlimmeren, geradezu grotesken Szenen, die eifrig durch die polnischen nationalen Kreise benutzt wurden, die Drzymała letztlich instrumentalisierten. Zusätzlich stimmte man im Jahr 1908 im Parlament für das sog. Maulkorbgesetz ab, welches den Gebrauch polnischer Sprache auf den Versammlungen in Orten, wo weniger als 60 % der Polen leben, verbot.

Auf den germanisierenden Druck antworteten die polnischen Kreise mit unterschiedlichen Formen des Widerstandes, die jedoch nicht immer in den Grenzen des geltenden Rechts angesiedelt waren. Auf der höchsten Ebene, im preußischen Parlament und im Deutschen Reich war das die Tätigkeit des Polnischen Kreises, welches seine Methoden an die Tendenzen anpasste, die in der aktuellen Berliner Politik verbindlich waren. Mit der Zeit erschienen erfahrene polnische Parlamentarier, die sich ausgezeichnet im Sejm orientierten, die stark und entschlossen für die polnische Sache während des I. Weltkrieges und in den Tagen des Wiedererlangens der Unabhängigkeit durch Polen eintraten.

Die Hauptlast beim Kampf gegen das deutsche Element ruhte jedoch auf den Schultern der Aktivisten der organischen Arbeit.

 

Konspirateure und Politiker

 

Im Zeitraum vor dem Ausbruch des Weltkrieges war in den Gebieten der preußischen Teilungszone bereits die vierte Generation der Aktivisten der organischen Arbeit tätig. Die Beobachtung der Reichweite dieser Arbeit erlaubte die Feststellung, dass sie es im Laufe von nicht ganz hundert Jahren geschafft haben, Strukturen zu erschaffen, die unabhängig von der Berliner Regierung waren, und fast alle empfindlichen Bereiche des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens umfassten.

Die Deutschen, wie man meinen konnte, sind sich der zunehmenden Gefahr erst im Moment der Analyse des Phänomens des Erfolgs der durch den Pfarrer Piotr Wawrzyniak gegründeten und geleiteten Gesellschaften bewusst geworden. Den Anhängern der organischen Arbeit gelang es zwar ein zügig funktionierendes und gegenüber der Teilungsmacht konkurrenzfähiges Wirtschafts- und Organisationssystem zu entwickeln, nichtsdestotrotz waren sie nicht in der Lage, die Mentalitätsveränderungen aufzuhalten, die während eines langjährigen Existierens unter der Herrschaft eines fremden Staates unvermeidlich waren. Wenn der Aufstand ausbrechen sollte, müsste die Gelegenheit dazu schnellstmöglich kommen.

Im Jahr 1918 war die Macht des Deutschen Reiches im Untergang begriffen, und die Großpolen hatten bereits vorbereitete starke Grundlagen für eine zügige Machtübernahme in der Region und für die Steuerung der grundlegenden Wirtschaftszweige – mit Ausnahme der Industrie, zumal die Provinz Posen eine Region war, die die Funktion eines Lebensmittelspeichers innehatte, eines landwirtschaftlichen Stützpunktes. Zu dieser Zeit stand das preußische Teilungsgebiet vor der Wahl, entweder passiv die Entscheidung der Friedenskonferenz abzuwarten und sie mit „unter Vorbehalt der Inventarerrichtung“ zu akzeptieren, oder aber einen bewaffneten Aufstand, eine Demonstration durchzuführen, der diese Entscheidung in die für die polnische Bevölkerung günstige Richtung lenken sollte. In Großpolen war am einflussreichsten die seit 1897 (und eigentlich schon seit 1906) bestehende Nationaldemokratische Partei – eine nationale und konsequent antideutsche Bewegung, die eine bestimmte, ziemlich klare Vision von dem künftigen, unabhängigen Polen hatte. Die Nationale Demokratie (auch „Endecja“ genannt) hatte hier fast keine Konkurrenz, etwa in Form der Sozialisten oder einer Volksbewegung, und viele führende polnische Institutionen, u.a. Związek Spółek Zarobkowych i Gospodarczych (Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften), viele Volksbanken, Towarzystwo Czytelni Ludowych (Gesellschaft der Volksbüchereien), sowie zahlreiche Körperschaften befanden sich in den Händen der, oft mit ihr zusammenarbeitenden, Pfarrer-Aktivisten. Parallel dazu waren auch Gewerkschaften und Kreise des Polnischen Katholischen Arbeitervereins tätig, die mit der Zeit das Fundament für die Begründung der großpolnischen „Chadecja“ – d.h. der Christlichdemokratischen Partei bildeten, die wiederum das Steuer in den polnischen Kreisen in Oberschlesien übernahm. Diese ideologische Homogenität war (insbesondere in der Zeit eines bewaffneten Kampfes um die Freiheit) sehr nützlich, erleichterte der Region aber nicht das Leben in Bedingungen eines unabhängigen Mehrparteistaates.

Unter diesen Bedingungen begann die stark ideologisch und wirtschaftlich ausgebaute gesellschaftliche Bewegung, die sich auf die entschieden antideutschen und auf den Unabhängigkeitskampf eingestellten Kreise stützte, die Konspiration in die Wege zu leiten, insbesondere in den Kreisen der Jugend und in Sekundarschulen. In den slawischen Ländern gewann Towarzystwo Gimnastyczne „Sokół” (Turnverein „Der Falke“), der in der Tschechoslowakei im Jahr 1862 gegründet wurde, an Popularität. Das erste „Nest“ von „Sokół” im preußischen Teilungsgebiet wurde in Inowrocław, im Dezember 1884, auf die Initiative der Kameraden aus Lemberg gegründet. Und in Kürze bedeckte das Netz der „Sokół”-Organisation das gesamte Gebiet Großpolens, indem diese sich hauptsächlich auf die kleinbürgerlichen Kreise stützte, die mit der Volksbewegung verbunden waren.

Schon seit seinen Anfängen war der großpolnische „Sokół” nur hinsichtlich seiner theoretischen Grundsätze und der verwendeten Symbolik ein Verein, der sich mit sportlicher Ertüchtigung befasste. In Wirklichkeit existierte hinter dem Schild dieser sportlichen Organisation ein Verband, der junge Leute zum Militärdienst vorbereitete, eine patriotische Einstellung und Verbundenheit mit nationaler Tradition gestaltete. Die Reichweite seines Handelns umfasste nicht nur das preußische Teilungsgebiet, sondern auch die emigrierten polnischen Kreise, unter anderem in Westfalen und in Rheinland. Insgesamt gab es vor dem Ausbruch des Weltkrieges dreizehn Kreise, die seit Juli 1893 dem Verband der Großpolnischen Falken angehörten, und zwei Jahre später – gab es im Verband der Polnischen Falken im deutschen Staat vor dem Kriegsausbruch 291 „Nester“ (d.h. Kreise), in denen fast 12 tausend Mitglieder versammelt waren.

Mit der Zeit kam die Tendenz auf, auch die Jugend im Teenageralter für die Unabhängigkeitsbewegung zu begeistern, und zwar in den Reihen der damals sehr modischen, und vor allem legalen Pfadfinderbewegung. Die führende Rolle übernahm hier Tomasz Zan-Gesellschaft – die sich formal mit Selbstbildung befasste, in Wirklichkeit aber für die Unabhängigkeitstätigkeit vorbereitete. Einen organsierteren und zielgerichteten Charakter hatte „Zet”, d.h. der Verband der Polnischen Jugend (der durch Zygmunt Balicki in Krakau gegründet wurde und eine internationale Reichweite hatte), der u.a. unter den polnischen Studenten in Berlin, Leipzig und München tätig war. Dort ging es schon um die Vorbereitung des führenden und leitenden Personals. Aber die Idee, die Pfadfinderbewegung in den Gebieten der preußischen Teilungszone zu praktizieren, kam von den Kreisen des Turnvereins „Der Falke“. So dass man, im Jahr 1912 auf die Initiative von Doktor Ksawery Zakrzewski, des stellvertretenden Vorstandes des Posener „Falken“, damit anfing, auch in Großpolen Pfadfindergruppen zu organisieren. Die erste Pfadfindermeute in Großpolen mit dem Namen „Poznań” („Posen“) nahm am 17. Oktober 1912 ihre Tätigkeit auf. Am Ende desselben Jahres war es bereits eine Gruppe, und später eine Pfadfindereinheit „Piast“, die vier Gruppen unter sich vereinigte, deren Schirmherren nach der Nummerierung folgende waren: Bolesław Chrobry (Boleslaw I. „der Tapfere“), Kazimierz Wielki (Kasimir der Große), Mieczysław I und Władysław Jagiełło (Jogaila). In Kürze entstanden in ganz Großpolen Pfadfindergruppen, die, wie man hinzufügen muss: völlig legal tätig waren. Ihre führenden Aktivisten waren u.a.: Cezary Jindra, Wincenty Wierzejewski, Henryk Śniegocki, Antoni Wysocki. Die Pfadfinderinnen, die in gesonderten Gruppen organisiert waren (die weniger zahlreich als die männlichen waren) wurden zur Arbeit der Krankenpflegerinnen vorbereitet. Mit der Zeit hat sich ein Ausbildungsschema für junge Menschen etabliert: von der Pfadfinderbewegung zum „Falken“, und vom „Falken“ in die Armee.

Im Jahr 1914 waren in den Gebieten der preußischen Teilungszone ca. 40 Pfadfindergruppen tätig – d.h. annäherungsweise 900 Kameraden und Kameradinnen. Bereits zwei Jahre früher begann man in den Pfadfinderkreisen konspirierte Polnische Schützengruppen zu bilden, deren Mitglieder nach dem Vorbild ihrer Kollegen aus Galizien heimliche Kampfausbildung absolvierten.

Außerdem gelang es in den Jahren 1864-1914, d.h. in der Zeit zwischen der Niederlage des Januaraufstandes bis zum Ausbruch des Weltkrieges, eine neue Generation junger Polen zu gebären, die nicht durch die Erfahrungen der Niederlage vorbelastet, von Hause aus patriotisch erzogen und im Feuer der Realien des Kulturkampfes, der Ausnahmegesetze, der Entfernung der polnischen Sprache aus der Schule und Verwaltung, der Schulstreiks entsprechend gehärtet waren. Es war daher nur ein natürlicher Lauf der Dinge, wenn in den führenden Sekundarschulen des preußischen Teilungsgebietes konspirative Organisationen gegründet wurden, die sich formal mit der Selbstbildung befassten – in Wirklichkeit aber Unabhängigkeitsorganisationen waren.

Es handelte sich um Konspiration. Aber man darf nicht die große Erziehungsarbeit vergessen, die in allen ausnahmslos polnischen Organisationen im preußischen Teilungsgebiet geleistet wurde. Das resultierte auch aus der Spezifik des Familienlebens und gesellschaftlichen Lebens jener Epoche, in der sich jeder Verein mit handwerklichem, religiösem und sportlichem Charakter sehr intensiv mit der Erziehung der Vereinsmitglieder, mit der Einpflanzung nationalen Bewusstseins, dem Organisieren von Ausflügen, Konzerten, Amateur-Theatervorführungen, Feiern, Picknicken, Festen, feierlichen Integrationstreffen, und nach Möglichkeit auch mit der Verlagstätigkeit befasste.

 

Im Feuer des Krieges


In den Reihen der Armee der Teilungsmächte fanden sich ca. zwei Millionen Soldaten polnischer Nationalität ein, wovon etwa 500 tausend mit der deutschen Armee an der schwierigsten Front – der Westfront kämpften. Es wird angenommen, dass mindestens 148 tausend von ihnen gefallen sind. Vor der Wiedererstehung des Vaterlandes mussten die Polen gegeneinander in feindlichen Uniformen antreten. Sie erlebten auch die veränderte Stimmung in den Reihen, als nach ein paar Monaten die siegreichen Märsche und -Gefechte sich in einen Stellungskrieg verwandelten – der langwierig, operativ fast ausgangslos war und allen Seiten des Konflikts große Verluste einbrachte. Die Soldaten an der Front waren mit ihren Angelegenheiten beschäftigt und konnten nicht allzu sehr auf die Entwicklung der Situation im Land Einfluss nehmen. Die Jugend aber, und jene Mitglieder der konspirativen Organisationen, die nicht an die Front gezogen sind, haben ihre Tätigkeit weitergeführt. Seit 1915 war in gymnasialen Kreisen die Geheime Unabhängigkeitsorganisation tätig. Bereits ein Jahr früher fing man damit an, unter den Pfadfindern „Kampf-Zehner“ zu organisieren, und im Mai 1915 entstand der Sportklub „Unia“, der in Richtung Freizeit und Unabhängigkeitskampf tätig war. Es erschienen auch die führenden Aktivisten dieser Verbände, unter ihnen Stanisław Nogaj und Zenon Kosidowski. Ähnliche Organisationen wurden auch in den anderen Städten Großpolens gegründet. Am 2. April 1916 wurde in Posen das Städtische Pfadfinder-Quartier einberufen, mit Henryk Śniegocki an der Spitze.

Es war nur allzu natürlich, dass die Stimmung unter polnischen Soldaten belebter wurde, denen die Möglichkeit der Wiedererstehung eines freien Vaterlandes klar zu werden begann. Man übte nicht allzu eifrig seinen Dienst aus, Gespräche in polnischer Sprache innerhalb der Reihen waren allgemein verbreitet, und vor allem erwartete man mit großer Sehnsucht das Ende des blutigen Krieges. Es wurde ein System organisiert, das den Desserteuren und Simulanten Hilfe bot und sie mit falschen Dokumenten ausstattete, wobei man die gefährdetsten von ihnen nach Kongresspolen schickte, wo diese zu Verbindungsmännern der dortigen Konspirateure wurden. Besonders wertvoll waren die Waffen mit welchen die Deserteure trotz der Verbote von der Front zurückkamen. So dass in Kürze die Konspirateure aus den Pfadfinderkreisen mit weiterer Tätigkeit begannen: die Waffen in geheimen Lagern zu sammeln.

Die Pfadfinder wurden zu dieser Zeit zu den aktivsten Organisatoren konspirativer und nationaler Arbeit. Schon während des Krieges, insbesondere bis Ende 1916 waren sie für ihre Propagandaaktionen und für die Organisation von patriotischen Demonstrationen bekannt; die spektakulärste von ihnen war die Demonstration zum 100. Todestag von Tadeusz Kościuszko, die im Oktober 1917 unter dem Adam Mickiewicz Denkmal in Posen stattfand.

Die Gymnasiasten bildeten zu dieser Zeit auch ihre eigenen konspirativen Organisationen. Schon im Jahr 1915 entstand im Auguste Victoria-Gymnasium (das nach 1919 in Karol Marcinkowski-Gymnasium umbenannt wurde) ein Verband der Polnischen Jugend „Kościuszko”, der auf der Struktur von „Zet“ basierte und sich auf weitere Sekundarschulen der Stadt erweiterte. Mit den Kreisen der Tomasz-Zan-Gesellschaft war wiederum der geheime Jugendverband für Volksbildung „Sowa“ („Eule“) verbunden, in dessen Struktur ein sog. „Notdienst“ aktiv war, der seine Mitglieder für den Kurierdienst, Schutz des Eigentums und Sanitätsdienst vorbereitete.

 

Vor dem Aufstand

 

Der Herbst 1917 brachte einen Wendepunkt für die Organisation der polnischen konspirativen Aktionen in Posen: man fing damit an, Verbände zu bilden, die sich schon direkt für den bewaffneten Aufstand vorbereiteten. Nach den Konsultationen mit Warschau, mit den Aktivisten der dortigen Militärorganisation beschloss man, einen ähnlichen Verband auch in der Provinz Posen ins Leben zu rufen. Infolgedessen wurde am 15. Februar 1918 der ersten Gruppe der geheimen Polnischen Militärorganisation des Preußischen Teilungsgebietes (POWZP) der Eid abgenommen. Es war eine Berufsorganisation, die Mitte 1918 nicht mehr als 70 Mitglieder zählte. Im Spätherbst 1918 gab es in der Hauptstadt der Region im Rahmen der Konspiration mehr als Dutzend Lager mit Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung. Bereits am 20. Oktober wurde ein interner Aufruf erlassen, in dem direkt dazu aufgefordert wurde, sich auf die militärische Ausbildung zu konzentrieren.

Stufenweise kam die Zeit für die Konkretisierung der Strukturen der konspirativen polnischen Verwaltung im preußischen Teilungsgebiet. In jedem, insbesondere im kleineren Umfeld entwickelt sich stets eine Elite dieser konkreten Gesellschaft. In Großpolen waren das gegen Ende des XIX. Jahrhunderts vorwiegend Personen aus den Kreisen der Verwaltung, der Landgutbesitzer, der Geistlichkeit, der Medizin und Bildung – das heißt insgesamt gebildete Personen, die ein stabiles Ansehen in ihrer Umgebung genossen, mit denen auch die besser betuchten Vertreter aus Handwerk und Handel zusammenarbeiteten. In einer großen Stadt erweiterte sich für gewöhnlich dieser Kreis noch um die Industriellen (falls es sie gab), sowie um die Akademiker, Kunst- und Kulturrepräsentanten und Rechtsanwälte. Diese Elite hatte einen großen Einfluss auf die Gesellschaft, in der sie lebte und arbeitete, und die gescheitesten ihrer Vertreter, wurden, sofern sie sich sog. höheren Ziele setzten – auch patriotische Ziele – leicht zu politischen und nationalen Anführern im gegebenen Ort; und zwar ungeachtet dessen ob es sich um Polen oder Deutsche handelte. Ein Pfarrer, ein Arzt, ein Apotheker, ein Gutsbesitzer, ein Beamter – das waren auch Menschen, die allgemeines Ansehen genossen, oder die man zumindest respektierte. Ihre Meinung war wichtig in ihrem Umfeld. Diese Vertreter lokaler Eliten versammelten sich in ihrem Kreis, die Möglichkeiten, mit der sog. weiten Welt Kontakt aufzunehmen standen ihnen offen, und sie ließen sich oft durch Ziele leiten, die entschieden über ihre familiären, mit ihrer nahesten Umgebung oder diesem konkreten Ort zusammenhängenden Angelegenheiten hinausgingen. Wenn man zu dieser Wirklichkeit noch die in den Familien kultivierten patriotischen Traditionen und die Vision von einem freien Polen hinzudenkt, dann wird es verständlich, dass gerade diesen Kreisen die politischen Anführer der polnischen Unabhängigkeitsbewegung entstammten. Gerade in diesen Kreisen begannen sich im Jahr 1918 lokale, regionale „Schattenkabinette“ zu bilden. Bei geselligen Treffen, in geheimen Beratungen begann der Prozess der Teilung der Aufgaben und Funktionen im gegebenen Gebiet, für den Fall einer Krise oder eines Zusammenbruches des Verwaltungssystems und der deutschen Macht.

Die Taktik der deutschen Obrigkeit gegenüber den polnischen Kreisen erinnerte an die Behandlung der unterlegenen, einheimischen Bevölkerung durch die Kolonisationsmächte. Man nahm an, dass wenn eine Germanisierung der Ämter eintritt, die polnische Sprache aus den Schulen entfernt wird, und man es den Polen erschwert, Schlüsselpositionen in den Provinz- und Landkreisverwaltungen einzunehmen, dass eben damit die Macht gesichert sein wird. Man hat fest damit gerechnet, dass wenn man die Polen der führenden und in der Verwaltung tätigen Schicht beraubt, und sie sich selbst überlassen sein werden – dass dann das Bewusstsein dieser Lage ihnen jegliche Lust rauben wird, sich um Veränderungen zu bemühen. Währenddessen war die polnische Seite sehr wohl in der Lage, die Spitzenpositionen in der Verwaltung und in den Behörden der Region mit ihren Vertretern zu besetzen. Denn es waren ja… die Deutschen selbst, die sie dafür ausbildeten, sei es auch nur im Berliner Parlament. Ähnlich war es auch in der Armee, wo man dachte, dass die Nichtzulassung der Polen zu den höheren Dienstgraden und militärischen Positionen die Möglichkeit der Organisation und zügiger Durchführung eines bewaffneten Aufstandes lahmlegen würde. Man hatte es nicht in Erwägung gezogen, dass einen militärischen Aufstand durchaus auch Unteroffiziere und Offiziere bis hin zum Hauptmann organisieren können. Ganz gewiss zeugten diese Kalkulationen, die sowohl die zivile Verwaltung als auch die Armee betrafen, von einer Unterschätzung der organisatorischen Fähigkeiten und der Flexibilität der polnischen Führungskreise in Großpolen.

Im Sommer 1918 wurde das aus polnischen Eliten bestehende Überparteiliche Bürgerkomitee (Międzypartyjny Komitet Obywatelski) in das Zentrale Bürgerkomitee (CKO) mit seinen Entsprechungen in den Landkreisen und größeren Städten umgestaltet. An die Spitze der siebenköpfigen Exekutive stellte sich der Pfarrer Stanisław Adamski, und der Journalist Adam Poszwiński wurde Sekretär. Im Oktober machte im Parlament des Deutschen Reiches eine Gruppe polnischer Abgeordneter mit Władysław Seyda, Wojciech Korfanty und dem Pfarrer Antoni Stychl an der Spitze die Forderung des Anschlusses der Gebiete der preußischen Teilungszone an das wiedererstehende Polen auf.

Mitte Oktober 1918, während der Beratung der Vertreter der Bürgerkomitees der größten Städte der Region, wurde ein provisorisches Kommando der Bürgerwehr (Straż Obywatelska) mit Julian Lange an der Spitze einberufen. Die Abteilungen dieser Formation begannen mit geheimen militärischen Übungen. Am 11. November 1918 fiel bereits der amtliche, offizielle Beschluss über die paritätische Bildung der Abteilungen der Bürgerwehr, die für Ordnung in ihrem Gebiet sorgen sollte. Die Polen nutzten diese Gelegenheit, um eine weitere militärische Formation zu bilden. Bereits am 27. November übernahm das Kommissariat des Obersten Volksrates die Initiative, und benannte die Bürgerwehr in Großpolen in die Volkswehr (Straż Ludowa) um, in der die deutschen und jüdischen Kreise marginalisiert wurden.

Der Ausbruch der Revolution in Deutschland am 28. Oktober 1918 beschleunigte im hohen Maße die Entwicklung der Ereignisse. Am 11. November wurde in Compiègne der Waffenstillstand geschlossen, der dann tatsächlich die Kämpfe an der Westfront beendete.

Seit dem 11. November 1918 wurde in Posen und in den anderen Städten der Region ein Netzwerk aus Arbeiter- und Soldatenräten (RRiŻ) gebildet – die formal einen revolutionären, in Wirklichkeit aber einen revolutionär-nationalistischen Charakter hatten. Noch am selben Tag hat das Zentrale Bürgerkomitee seine Existenz bekanntgegeben und einen neuen Namen angenommen: eines Provisorischen Obersten Volksrates, mit dem Doktor Czesław Meissner an der Spitze. In zwei Tagen nach seiner Bildung wurde die Exekutive dieses Gremiums einberufen – das Kommissariat von NRL, das aus drei Personen bestand: Stanisław Adamski, Wojciech Korfanty und Adam Poszwiński.

Das Schema des Funktionierens des Provisorischen Obersten Volksrates wurde durch den Pfarrer Stanisław Adamski gezeichnet, einen gesellschaftlichen Aktivisten, der das Verwaltungssystem des Verbandes der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften auf die Regeln der Organisation der polnischen Zentralverwaltung des Teilungsgebietes übertrug.

Die nächste Phase dieser Maßnahmen waren die Sitzungen des sog. Polnischen Teilsejms (Polski Sejm Dzielnicowy) vom 3.-5. Dezember 1918, der sich aus Delegierten aus Pommern, Großpolen und Oberschlesien zusammensetzte. Die Beratungen des Sejms, die in feierlicher, patriotischer Atmosphäre geführt wurden und als ein Feiertag der polnischen Gesellschaft im Teilungsgebiet betrachtet wurden verliefen sehr zügig. Vor allem wurde offiziell bereits ein achtköpfiger Oberster Volksrat mit dem Arzt Bolesław Krysiewicz an der Spitze gewählt. Die personale Besetzung des Kommissariats wurde um sechs weitere Personen erweitert; jeder der Kommissare unabhängig von dem ihm zugeteilten Aufgabenbereich repräsentierte einzelne Bezirke des Teilungsgebietes.

Es wurden auch zwei Unterkommissare der NRL einberufen, in Danzig und in Bytom. Posen wurde zum politischen Zentrum aller Gebiete in der preußischen Teilungszone.

Die politische Macht kann nur mit einer Armee von Bedeutung sein, daher wurde die Formierung der Abteilungen der Volkswehr in den einzelnen Orten in Auftrag gegeben. Die Abteilungen des Wach- und Sicherheitsdienstes (Służba Straży i Bezpieczeństwa) existierten bereits früher, und diese Formationen wurden mit der Zeit zur Stütze des bevorstehenden Aufstandes.

Nach dem Ausbruch der Revolution in Deutschland erfolgte auch eine Wiederbelebung der Polnischen Militärorganisation des Preußischen Teilungsgebietes. Am 11. November 1918 wurde ein leitendes Team der Organisation einberufen, der sog. Elferrat, mit Mieczysław Andrzejewski an der Spitze. Dieses Team organisierte nur zwei Tage später den spektakulären Überfall auf die Sitzung des Posener Arbeiter- und Soldatenrates im Rathaus und verlangte die Aufnahme von mehreren Polen in dessen Reihen; mit der Zeit wurde diese Aktion „Anschlag auf das Rathaus“ genannt. Ab diesem Moment war der Posener Rat tatsächlich in polnischen Händen. Den Soldatenrat leitete Bohdan Hulewicz, und Mieczysław Paluch wurde Bevollmächtigter der Exekutivabteilung des RRiŻ beim Kommando des V. Armeekorps. Die Mitglieder der Polnischen Militärorganisation gewannen also die Kontrolle über die für militärischen Angelegenheiten in der Hauptstadt der Provinz entscheidenden Stellen.

Kurz nach dem Anschlag auf das Rathaus fing POWZP an, in Posen spektakuläre und ebenso riskante Aktionen zu organisieren. Schon am 15. November wurde ein misslungener Versuch, das Fort IX. einzunehmen, und drei Tage später – der Versuch, die militärischen Baracken hinter dem Eichwald Thor (Bramą Dębińską) einzunehmen gemacht. Allerdings gelang dann die tapfere Aktion, direkt aus dem V. Kommando des Armeekorpses 80 Kilo Akten über die neuen deutschen Formationen zu stehlen. Es wurde auch der Abtransport des Goldes aus der Posener Filiale der Bank des Deutschen Reiches vereitelt, und man nahm die Baracken mit militärischer Ausrüstung in der Straße Rycerska (später F. Ratajczaka), die Hauptwache in der Straße Młyńska, und in Jeżyce das Uniform-Amt in der Straße Nollendorfa (Jackowskiego) ein. Eine wertvolle „Anschaffung” war für die Organisation der Funker Stanisław Jóźwiak, der bei der Funkstation in der Zitadelle diente. Seitdem waren die Konspirateure sehr gut über die Korrespondenz zwischen der deutschen Führung in Posen und der Berliner Regierung unterrichtet. Mit der Zeit entstand eine Gruppe der Konspirateure, entschlossener Aktivisten, die sich hauptsächlich um Władysław Zakrzewski, Mieczysław Paluch und Bohdan Hulewicz versammelten, die anfingen, die Möglichkeit der Bildung eines konspirativen Stabes des künftigen Aufstandes in Erwägung zu ziehen. Man nannte sie die Gruppe von Paluch oder den Geheimen Militärstab. In Wirklichkeit hat aber diese Gruppe nicht die Rolle erfüllt, die sie sich zugedacht hat und wurde schnell durch die Kontrolleure von dem Kommissariat des Obersten Volksrates neutralisiert. Generell kann man feststellen, dass dieser „Stab“ nur in den Hoffnungen und in der Vorstellung der Organisatoren existierte. Allerdings kann man Paluch und seinen Mitarbeitern nicht das Erfinderreichtum, die Entschlossenheit und Zielgerichtetheit im Handeln absprechen.

 

Bevor der Aufstand ausgebrochen ist. Der diplomatische Hintergrund

 

Den Großpolnischen Aufstand sollte man auch im Rahmen der diplomatischen Wirklichkeit der Jahre 1918-1919 und im Lichte der Gegebenheiten, die allen polnischen Gebieten zuteilwurden, betrachten. Entgegen den verbreiteten Urteilen und Überzeugungen von der Einmaligkeit der Rolle Polens in Europa waren wir während des I. Weltkrieges nicht Subjekt, sondern Objekt der internationalen Politik, was im großen Maße nicht so sehr aus unseren nationalen Vorzügen, sondern vielmehr aus der geopolitischen Lage resultierte, aufgrund welcher die an der Weichsel und Warthe gelegenen Gebiete in fast alle europäischen Konflikte einbezogen wurden. Zuerst bemühten sich die Teilungsmächte schon im Jahr 1914 die Untergebenen polnischer Nationalität für sich zu gewinnen. Von der russischen Seite war es der Aufruf des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch des Jüngeren, worin er versprach, an Polen zu denken, wenn die Einwohner des Kongresspolens die Romanows und Petersburg unterstützen würden; in Kürze entstand eine Puławy-Legion. Österreich-Ungarn erlaubte die Bildung der Polnischen Legionen (trotz des Misslingens der Mission der 1. Kaderkompanie). Die Deutschen warteten bis zum 5. November und riefen dann gemeinsam mit Wien das Kongresspolen ins Leben, das aus den Russland weggenommenen Gebieten bestand. Es ging hierbei nicht um das wirkliche Wiedererstehen Polens, sondern um die Beschaffung der größtmöglichen Menge an Rekruten. Am beständigsten erwiesen sich die Legionen, die trotz der Eidkrise von Juli 1917 mit der Zeit eine Unabhängigkeitstradition begründeten, die später im wiedererstandenen Polen dominieren sollte (nicht ohne den Einfluss der charismatischen Persönlichkeit von Józef Piłsudski).

Auch während der Kriegshandlungen veränderte sich im Maße der Auskristallisierung der militärischen Lage der Gebiete aller drei Teilungszonen das Verhältnis zur polnischen Sache, und vor allem zu dem polnischen S o l d a t e n, weil es im Grunde genommen unseren Verbündeten am wenigsten um ihn ging. In diesem Sinne wurde erst im Jahr 1917, als in Russland das Zarentum gestürzt wurde und deswegen keine diplomatischen Interventionen aus Petersburg mehr zu befürchten waren, die Formierung einer polnischen Armee in Frankreich erlaubt, deren Befehlshaber General Józef Haller wurde.

Nicht anders war auch die Situation Polens gegen Ende des I. Weltkrieges. Fast ab dem Moment des Abschlusses des Waffenstillstands von Compiègne lebten die alten Konflikte und Vorurteile wieder auf. Unter den Staaten der siegreichen Koalition, die sich zur Eröffnung der Friedenskonferenz vorbereiteten, bildeten sich deutlich zwei Parteien heraus: die britische und die französische. Die Vereinigten Staaten haben die Rolle eines Vermittlers übernommen, der jedoch wirtschaftliche Vorteile nach dem Krieg erwartete, die moralisch durch die Teilnahme der amerikanischen Divisionen im Krieg an der Westfront begründet waren (dafür gab es Gründe, zumal die Amerikaner tatsächlich jene bereits schwankende Front retteten). Die Italiener haben ausdrücklich eine Position eingenommen, die der britischen nahestand, indem sie auf die territorialen Vorteile auf Kosten des Zerfalls von Österreich-Ungarn zählten. Im Endeffekt hatte die polnische Sache nur einen aufrichtigen und zur damaligen Zeit zuverlässigen Verbündeten: Frankreich. Und, man muss dazu hinzufügen: einen Verbündeten, der seine Beziehungen zu Polen nicht auf Sympathie gründete (zumal es ja in der Politik keine Freundschaften gibt, sondern nur gemeinsame Interessen), sondern auf der Notwendigkeit, die aus der eingeschlagenen Politik resultierte. 

Die Wiedererstehung des polnischen Staates wird bei uns oft mit Ehrerbietung und sogar einer eigentümlichen Anerkennung für die polnische Entschlossenheit im Kampf um die Erlangung seiner Unabhängigkeit in Zusammenhang gebracht, in Wirklichkeit war sie aber eine Folge dessen, dass es notwendig war, dass in Mitteleuropa ein recht starker Staat in Erscheinung tritt, der gleichsam wie ein Damm das bolschewistische Russland von dem besiegten Deutschland trennen würde. Und andererseits war das wiedererstandene Polen ein Garant für die Sicherheit des antideutschen Bündnisses, was wichtig war, falls Berlin beschließen sollte, sich für die Niederlage von 1918 zu revanchieren.

Die Posener Politiker gingen im Spätherbst 1918 größtenteils von der Annahme aus, dass das Schaffen vollendeter Tatsachen auf dem Wege eines bewaffneten Aufstandes der polnischen Sache nur schaden könnte. In dem in Paris real vorherrschenden Kräftegleichgewicht könnte jeder unüberlegter Schritt der polnischen Diplomatie, die zwischen den politischen Hammer und Amboss geraten war, einen denkbar schlechten Einfluss sowohl auf die Festlegung der Grenzen als auch auf die politische Lage des wiedererstehenden Staates haben. Die Stichhaltigkeit dieser Befürchtungen sollte sich in Kürze in dem polnisch-bolschewistischen Krieg und in der fast vollständigen Vereinsamung der Rzeczpospolita bestätigen. Allerdings vernahm man in Posen bereits Anfang Dezember Informationen, dass die polnische Sache in Paris sich nicht am allerbesten darstellte. In den Akten von Ignacy Jan Paderewski, die im Archiv der Neuen Akten in Warschau aufbewahrt waren, wurden die Informationen über die geheimen Signale an die Posener Politiker aus Paris festgehalten. Es wurde in ihnen nahegelegt „Maßnahmen einzuleiten, die zur Akzentuierung des Willens der Gesellschaft, was die nationale Zugehörigkeit der gegebenen Gebiete betrifft, beitragen“.

Die Aufnahme eines bewaffneten Kampfes in den polnischen Gebieten, die Teil des Deutschen Reiches waren, war jedoch mit einem großen diplomatischen Risiko verbunden. Das Bekanntwerden dieser Anregungen würde Frankreich in ein sehr schlechtes Licht stellen, und Polen würde wiederum als ein undiszipliniertes Volk dastehen, das nicht den westlichen Großmächten vertraut, welches, kaum dass es die Freiheit erlangt hat – schon versucht, auf die eigene Hand das Aussehen der Karte Mitteleuropas zu gestalten. Um möglichst viel zu erreichen musste man den Aufstand eventuell so schnell wie möglich beginnen, solange die Streitkräfte Deutschlands im revolutionären Chaos waren und die Armee dem Kommando von Ober-Ost weit im Osten unterstand. Die Gesellschaft in den Gebieten der preußischen Teilungszone, insbesondere in Großpolen, war moralisch zum Kampf bereit, aber die Organisationsstufe der Vorbereitungen war noch ungenügend; vor allem fehlte es an ausreichender Anzahl erfahrener Offiziere und es fehlte ein Oberbefehlshaber. Die diplomatischen Befürchtungen, die ausdrücklich auch in Warschau zum Ausdruck gebracht wurden, spiegelten sich in der Haltung wieder, die Ignacy Jan Paderewski zwischen dem 26. Und dem 31. Dezember in Posen einnahm.

In dieser Situation beschloss das Kommissariat des Obersten Volksrates einerseits zu warten und andererseits intensivierte er die militärischen und diplomatischen Kontakte mit Warschau. Der Ausbruch des Aufstandes wurde vorab für Mitte Januar 1919 geplant.

Im Laufe der Zeit wurde die politische Lage der Gebiete in der preußischen Teilungszone fast von Woche zu Woche schwieriger. Die Aktivität der polnischen und großpolnischen Diplomaten entsprach nicht immer deren tatsächlicher Bedeutung in der internationalen Arena – trotz der spektakulären Auftritte, z.B. des hervorragenden Redners und Patrioten Roman Dmowski auf der Friedenskonferenz. Man beabsichtigte die Gebiete der preußischen Teilungszone mithilfe der Armee von Józef Haller zu befreien, die aus Danzig nach Süden zog. Ein solches Vorgehen wäre real im Falle des Ausbruches des polnischen Aufstandes in Pommern. Man dachte auch an die Möglichkeit, in Oberschlesien mit Aktionen zu beginnen. Allerdings erwiesen sich dann gegen Ende des Jahres 1918 diese Pläne als unrealistisch. Nichtsdestotrotz fasste man im Dezember 1918 in Posen den Beschluss, zwei geheime Verbände zu gründen: die Militärorganisation Pommerns und die Polnische Militärorganisation Oberschlesiens. Ähnlich wie POWZP verbanden sie keine dienstlichen Verhältnisse mit der „Warschauer“ POW (Polnischen Militärorganisation).

Die Zeit wirkte sich ungünstig auf die polnischen Unabhängigkeitskreise im preußischen Teilungsgebiet aus. Trotz der Verbindungen mit Warschau konnte man aus politischen Gründen auf keine aktive Unterstützung aus dem ehemaligen Kongresspolen rechnen. Mit dem Ablauf der Zeit ebbte die revolutionäre Welle in Deutschland ab, die militärischen Kreise, die der Situation in der Armee Herr werden wollten und, wenn schon nicht den aussichtslosen Krieg fortsetzen, so doch zumindest die Ordnung im Staat wiederherstellen wollten, dessen Schicksal angesichts der Notwendigkeit der Unterzeichnung des Friedensvertrages alles andere als sicher war, gewannen an Kraft. Langsam ließ die Tendenz des Verlassens der Reihen durch Soldaten nach, man trat gerne in die zahlreichen freiwilligen Formationen ein, die zumindest vorübergehend Sicherheit gegenüber dem ungewissen Los im Zivilleben boten. Die einzelnen Regimenter und Bataillone kehrten von der Front zu ihren Garnisonen zurück und verstärkten damit die streitkräftemäßige Überlegenheit der deutschen Seite. Noch ein paar Tage Verzögerung und es könnte zu spät sein. Andererseits gab es da niemanden, mit dem man einen bewaffneten Kampf führen konnte, weil es zwar in den Reihen der Volkswehr und des Wach- und Sicherheitsdienstes patriotisch gestimmte Freiwillige gab, es aber an qualifizierten Befehlshabern höheren Ranges fehlte. In der Stadt oder im Landkreis konnte man noch Erfolge erzielen – aber das weitere Konzept des Kampfes erwies sich als problematisch. In dieser Lage kommt meistens der Zufall zur Hilfe.

Im Jahr 1914 wies noch nichts auf günstige Umstände hin. Trotz des Kriegsausbruches reduzierte die deutsche Seite nicht den Druck der Germanisierungspolitik, und an der Front gestalteten sich die Verhältnisse zwischen den polnischen und den deutschen Offizieren nicht immer kollegial. Erst im Laufe des Krieges, als sich herausstellte, dass der Konflikt noch lange dauern wird, veränderte sich die Situation allmählich. In der Armee bildete sich eine Waffenbrüderschaft zwischen den Soldaten polnischer und deutscher Abstammung, die jedoch nichts an den nationalen Ansichten der sog. „Kaczmarki“ (wie man die Großpolen nannte) änderte.

Anders war es im Landesinneren, wo im Laufe der Zeit eine Verschlechterung der Lebensbedingungen eintrat und das Bewusstsein einer unwiderruflichen Niederlage des Dritten Reiches zunahm. Seit 1917, und zwar seit der Entfernung Russlands aus dem Krieg und seit den Niederlagen der weiteren deutschen Offensiven an der Westfront begann sich in Großpolen eine Untergrund-Widerstandsbewegung zu gestalten. Immer verbreiteter wurden die sog. „polnischen Urlaube“, aus welchen man nicht wieder an die Front zurückkehrte und Desertionen; in der Region erschienen viele scheinbar Kranke, Deserteure auf – Leute, die allerdings über militärische Ausbildung und Fronterfahrung verfügten, und nicht gewillt waren, für den Kaiser Wilhelm zum Kampf zurückzukehren. Sie warteten die weitere Entwicklung der Situation ab. Das war in der Tat eine häufig anzutreffende Erscheinung, die aber wiederum nicht allzu stark verbreitet war, wie man in den Erinnerungen und Abhandlungen über den Großpolnischen Aufstand nachlesen kann. In den zivilen Kreisen der einzelnen Orte entstanden eigentümliche „Schattenkabinette“ – d.h. geheime polnische Bürgerkomitees, deren Mitglieder für den Fall des Zusammenbruchs der deutschen Obrigkeit unter sich die Funktionen in der Verwaltung und Wirtschaft aufteilten. Die in den deutschen Schulen erworbene Ausbildung genügte vollkommen, um solche Pflichten zu übernehmen – zumindest für den Anfang. Am eifrigsten waren die Kreise der Jugendlichen (hauptsächlich Pfadfinder und Mitglieder des „Falken“) und der Einberufenen, die zwar die militärische Ausbildung absolvierten, aber noch nicht an die Front zogen und noch nicht den Schrecken des Krieges zu spüren bekamen. In diesem Umfeld entstand im Februar 1918 die Polnische Militärorganisation des Preußischen Teilungsgebietes (Polska Organizacja Wojskowa Zaboru Pruskiego) - die jedoch (ähnlich wie die später entstandene Militärorganisation Pommerns) außer ihres Namens nichts mit der „Warschauer“ POW (Polnischen Militärorganisation) gemeinsam hatte.

Im November 1918 und nach dem Ausbruch der Revolution in Deutschland kam es zum Zusammenbruch der Disziplin der deutschen Armee an der Westfront, und in den nächsten Wochen, bis Anfang Frühling 1919, verlor die Berliner Regierung tatsächlich die Kontrolle über die Entwicklung der Ereignisse in der Posener Provinz. Man musste erst mit der Revolution im Inneren des Landes und mit der zunehmenden Befürchtung um die Haltung Großpolens – des Lebensmittelversorgers des Deutschen Reiches fertig werden. Die Polen bekamen die einmalige Gelegenheit zum Kampf um ihre Rechte, deren Zuerkennung in den letzten Jahrzehnten unmöglich war. Es kam zur großen Aktivierung der in der Provinz tätigen polnischen Organisationen, der Bürgerkomitees (vorerst noch auf konspirativer Ebene), und am 11. November entstand in Posen die Exekutivabteilung des Arbeiter- und Soldatenrates, der zwei Tage später durch einen eigenartigen Anschlag durch Polen dominiert wurde. Die Mitglieder der POWZP begannen, Waffen zu sammeln, es entstanden die Abteilungen der Volkswehr und die Wach- und Sicherheitsdienste, formal mit paritätischer Besetzung, in Wirklichkeit aber hauptsächlich polnische. In Ostrów Wielkopolski wurde frühzeitig mit dem Formieren der polnischen Abteilung angefangen, die nach der Intervention des Kommissariats von NRL vorübergehend die Grenze von Kongresspolen überqueren sollte, und die in das Grenzbataillon umgestaltet und in Szczypiorno stationiert wurde.

Die Ereignisse beschleunigten sich in den Tagen vom 3.-5. Dezember 1918 als in Posen die Sitzungen des bereits oben erwähnten Polnischen Teilsejms stattfanden. Es erfolgte eine offizielle Einberufung des Obersten Volksrates mit einer sechsköpfigen Exekutive – dem Kommissariat – an der Spitze. Bei der Passivität und Desorientierung der deutschen Verwaltung, die sich aus dem Fehlen konkreter Richtlinien aus Berlin herleitete, ging die Initiative in Posen und in vielen Orten der Region stufenweise auf die Polen über. Das Kommissariat von NRL hat wiederum immer noch mit den Vertretern aus Berlin verhandelt, und diese Gespräche wurden, mit Unterbrechungen, sogar in den Wochen nach dem Ausbruch des Aufstandes fortgeführt. In der Region nahm die Spannung zu und es herrschte die Atmosphäre der Erwartung auf die Ereignisse, die über das weitere Schicksal von Großpolen entscheiden sollten.

Die Ankunft von Ignacy Jan Paderwski in Posen am Abend, den 26. Dezember und die ostentative Begrüßung des Künstlers führten zur weiteren Steigerung der patriotischen Stimmungen, die geschickt durch die polnischen Unabhängigkeitskreise genährt wurden. Paderewski, der in die großpolnische Hauptstadt kam, um Gespräche in der Sache des weiteren Schicksals der Gebiete in der preußischen Teilungszone nach dem Abschluss des Friedensvertrages und im Rahmen des wiedererstandenen Polens zu führen, hat es bewusst vermieden, dass man seine Person mit den in Posen herrschenden Stimmungen in Verbindung brachte. Er vertrat bereits die Warschauer Regierung, so dass es der polnischen Sache auf der Friedenskonferenz in Paris ernsthaft schaden könnte, wenn man Paderewski mit der Situation in Posen in Verbindung bringen würde. Offiziell erkrankte also der Künstler und verließ bis zum Ende des Jahres nicht das Hotel Bazar, in dem er sich aufhielt.

Am nächsten Tag, am 27. Dezember 1918 fand vor dem Bazar der Feierliche Zug der Schulkinder Paderewski zu Ehren statt. Und die deutsche Seite bereitete ihrerseits ihre eigene Reaktion auf die Ereignisse in der Stadt vor. Am späten Nachmittag marschierte durch die Stadt ein chauvinistischer Zug der deutschen Bevölkerung, dem sich auch einzelne Soldaten aus dem in Jeżyce stationierenden 6. Grenadier-Regiment anschlossen. Sehr aktive Demonstrierende haben polnische Geschäfte mit den ausgehängten Flaggen der Koalitionsstaaten demoliert, und ähnlich verfuhren sie auch mit dem Sitz des Kommissariats von NRL – schließlich gelangten sie zum „Bazar“. Hier wurde der Zug durch den Kordon der polnischen Volkswehr angehalten. In allgemeiner Anspannung und in der Dunkelheit des Abends fiel dann ein Schuss (von dem man nicht weiß, durch wen er abgegeben wurde), der wie ein Funken die weiteren heftigen Ereignisse zündete. Beide Seiten wurden durch die Ereignisse überrascht, mehr aber die Deutschen.

Anfänglich geriet die Situation außer Kontrolle, aber in die Aktion schalteten sich schnell polnische Abteilungen der Volkswehr und des Wehr- und Sicherheitsdienstes ein. Im Laufe der nächsten zwei Tage wurde die Stadtmitte von Posen von den deutschen Abteilungen befreit. Es wurde der Bahnhof unter Kontrolle gebracht und es wurden die militärischen Transporte angehalten, die den Deutschen zur Hilfe eilten. In den polnischen Händen fanden sich die Zitadelle, die die Stadt umgebenden Forts und Kasernen ein – mit Ausnahme der Kasernen des 6. Grenadier-Regiments, die man trotz einiger Attacken nicht erobern konnte (diese Abteilung verließ die Stadt erst auf der Grundlage eines später geschlossenen Vertrages). Zum intensiven Feuerwechsel kam es auch neben dem Gebäude des Polizeipräsidiums, bevor die deutsche Einheit es verlassen hat. Der letzte bewaffnete Akzent in Posen war die Durchführung der organisierten Aktion der Besetzung der Flugstation in Ławica am 6. Januar 1919.

Das Kommissariat des Obersten Volksrates hat anfänglich den Ausbruch des Aufstandes für verfrüht gehalten. Man ging von einem bewaffneten Aufstand aus, aber erst Mitte Januar, als nach Posen aus Warschau ein Offizier von einem entsprechend hohen Rang kommen würde, der das Kommando über die Truppen in Großpolen übernehmen könnte. Es wurden schon seit längerer Zeit Gespräche darüber geführt. Allerdings bewirkte die Plötzlichkeit der Ereignisse, dass es notwendig wurde, die Kontrolle über die sich entwickelnde Bewegung zu übernehmen. Am 28. Dezember übernahm Stanisław Taczak – ein Offizier, der sich zufällig in Posen aufhielt und von Anfang an den vorübergehenden Charakter der Ausübung seiner Pflichten betonte – die Position des Oberbefehlshabers der Streitkräfte im ehemaligen Preußischen Teilungsgebiet. Dieser Offizier organisierte im Laufe der nächsten Wochen das Oberkommando von Grund auf, übernahm die Kontrolle über die Ereignisse außerhalb Posens, legte den Plan weiterer Handlungen fest und setzte den Anfang für die Bildung einer aufständischen Armee.

Die Nachricht über die Ereignisse in Posen vom 27. Dezember erreichte am selben Abend auf telefonischem Wege die weitentferntesten Orte der Region. Es sind sofort mehrere Zentren entstanden, von denen aus sich die aufständische Bewegung auf die Orte in der Umgebung ausbreitete. Es waren vor allem: Czarnków, Gniezno, Gostyń, Grodzisk Wielkopolski, Kościan, Krotoszyn, Ostrów Wielkopolski, Szamotuły, Śrem, Środa Wielkopolski, Wągrowiec und Września. Hier wurde die Macht durch die Landkreis-Volksräte übernommen, und die lokalen Abteilungen der Volkswehr und des Wach- und Sicherheitsdienstes bildeten aufständische Kompanien mit regionalen Namen. In kleineren Zentren wurden die aufständischen Abteilungen spontan formiert und engagierten sich sogleich nach dem Machtwechsel im heimischen Ort für die Befreiung der benachbarten Gegend. Eine wichtige Rolle spielten dabei die polnischen Pfarrer und Gutsbesitzer, gesellschaftliche und nationale Aktivisten. Diese Abteilungen handelten oft planlos, instinktiv, und ihr personaler Bestand war so sehr dynamisch, dass es heute fast unmöglich ist, die vollständige Liste der Teilnehmer des ersten spontanen Zeitraumes des Großpolnischen Aufstandes zu erstellen. Die Freiheit des Handelns der polnischen Freiwilligen war vor allem von der Zahl der polnischen Einwohner abhängig. Je näher zu den Grenzen der Region die Aktionen lokalisiert waren, desto schwieriger gestalteten sie sich, wegen der Aktivität der lokalen Deutschen, die sich hier oft infolge der früheren gezielten Berliner Politik angesiedelt haben. Im Laufe der Zeit gaben sich die örtlichen Abteilungen Heimatschutz-Ost und Grenzschutz zu erkennen, die gemeinsam mit den Soldaten, die gezwungen wurden, ihre Garnisonen zu verlassen, anfingen, Offensivhandlungen vorzubereiten.

Die spontane Phase des großpolnischen Aufstandes dauerte bis Mitte Januar 1919, und im Grunde genommen ist es zu dieser Zeit gelungen den Großteil des Gebietes zu erobern, der unter dem Einfluss des Kommissariats des Obersten Volksrates stand. Es entstand ein spezifischer, großpolnischer aufständischer Staat, der in Wirklichkeit bis zum Moment des Inkrafttretens der Bestimmungen des Versailler Vertrages im Januar 1920 existierte.

Der Großpolnische Aufstand war unvermeidlich, und er war zugleich die Krönung der über hundert Jahre lang dauernden polnischen Vorbereitungen: ruhiger, methodischer und – vernünftiger Vorbereitungen.