Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

Die Gestaltung der polnischen Staatsmacht und deren Handeln während des Großpolnischen Aufstandes

Andrzej Gulczyński

Die Erlangung der Unabhängigkeit war das Ergebnis langjähriger Bemühungen der Polen, der Nutzung günstiger Umstände und des Treffens eigener Entscheidungen. Alle diese Faktoren wurden bei der Entwicklung des Konzepts des sog. Polnischen Teilsejms (Polski Sejm Dzielnicowy) und des Systems der Volksräte (Rady Ludowe) genutzt. Der sich dem Ende nähernde Krieg, unterschiedliche revolutionäre Tendenzen, die gute Erfahrung mit einem gemeinsamen wirksamen Handeln, die Überzeugung von der Notwendigkeit, die Möglichkeiten, die das Rechtsystem bot, zu nutzen führten zum Entschluss, die geheimen parteiübergreifenden Vereinbarungen bekanntzugeben und sie in offen handelnde Räte und Sejmversammlungen umzugestalten.

Der Autor des Konzepts der Struktur der polnischen Vertretung, die bereit war, die Macht zu übernehmen, war der Pfarrer Stanisław Adamski, seit 1911 Schirmherr des Verbandes der Erwerbsgesellschaften (Związek Spółek Zarobkowych), einst ein enger Mitarbeiter des Pfarrers Piotr Wawrzyniak, später und schon im freien Polen u.a. Professor h. c. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Posen, Abgeordneter und Senator, der Bischof von Katowice. Seine Idee leitete sich vor allem von der Idee der Genossenschaft und von dem katholischen Gemeinschaftsgedanken her und knüpfte an die bisher erfolgreich angewendete Äußerungsformen der polnischen Gesellschaft an: die Bildungs- und Wirtschafts-Sejmiks – ein durch Polen allgemein akzeptiertes und durch die Teilungsmacht zugelassenes Modell.

Die durch Adamski vorgeschlagene Struktur hatte die Form einer Gesellschaft (Genossenschaft): alle Polen, die in dem Gebiet des Deutschen Reiches lebten – waren Mitglieder, den sog. Teilsejm (Polski Sejm Dzielnicowy) – bildete die Delegiertenversammlung, der Oberste Volksrat (Naczelna Rada Ludowa) – war der Aufsichtsrat, das Kommissariat – war die Leitung dieser Vereinigung. Diese Struktur umfasste auch die Landkreis-, Stadt- und Gemeinde-Volksräte.

Als sich in Deutschland die Revolution entwickelte, haben sich die Polen wirksam in das System der Arbeiter- und Soldatenräte eingefügt, und in den polnischen Zentren, solchen wie Warschau, Lemberg, Krakau und Cieszyn entstanden polnische Verwaltungen; und genau zu der Zeit fiel in Posen am 12. November 1918 der Entschluss über die Bekanntgabe des Zentralen Bürgerkomitees. Es bildeten ihn die Abgeordneten des Parlaments des Deutschen Reiches und des preußischen Landtages sowie die Vertreter der polnischen politischen und gesellschaftlichen Organisationen. Diese Institution wurde als Repräsentant der polnischen Bevölkerung im preußischen Teilungsgebiet anerkannt – und pflegte insgeheim Kontakte u.a. mit dem Polnischen Nationalkomitee in Paris, und später auch mit dem Regentschaftsrat. Auf die Initiative der Exekutivabteilung des CKO (Zentralen Bürgerkomitees) entstanden auch lokale Bürgerkomitees.

Mit der Bekanntgabe des CKO wurde eine dreiköpfige Mannschaft mit folgender Besetzung einberufen: Pfarrer Stanisław Adamski, Abgeordneter Wojciech Korfanty und Redakteur Adam Poszwiński, die man das Provisorische Kommissariat des Obersten Volksrates nannte. Ihre wichtigste Aufgabe war die Vertretung der Angelegenheiten aller Polen, die in den Gebieten lebten, die durch die Grenzen des deutschen Staates erfasst waren, und die Bildung des Obersten Volksrates.

Am 14. November 1918 fiel die Entscheidung über die Einberufung des Sejms. In dem an diesem Tag erlassenen Aufruf kündigte das Provisorische Kommissariat von NRL die Notwendigkeit eines zuversichtlichen Abwartens des Ergebnisses des Friedenskongresses und erinnerte an das Recht der Polen, über ihr Schicksal zu bestimmen. Es stellte außerdem fest, dass das Wahlrecht allen zusteht, die das 20. Lebensjahr abgeschlossen haben. Bemerkenswert ist dabei auch der Umstand, dass zum ersten Mal in der Geschichte Polens die Frauen ein passives und aktives Wahlrecht erhalten haben. Die Dekrete der polnischen Regierung in Warschau über die Gleichheit der Wahlrechte wurden erst am 28. November erlassen, und die Wahlen zum Verfassungsgebenden Sejm fanden am 26. Januar statt.

Auf die Anordnung des Provisorischen Kommissariats von NRL begannen die lokalen Bürgerkomitees ihre Tätigkeit bekanntzugeben und Wahlkundgebungen durchzuführen. Die Details legte das Provinz-Wahlkomitee des Großherzogtums Posen fest, das an die Vorsitzenden der Landkreis-Wahlkomitees eine kurze Anleitung adressierte, in der die Einberufung der Wahlkomitees empfohlen wurde, in welchen die Mitglieder der Volksräte und die Delegierten des Polnischen Teilsejms (Polski Sejm Dzielnicowy) gewählt werden sollten.

Während der Wahlkundgebungen wurden ca. 1400 Delegierte gewählt, darunter aus Großpolen 526, aus Königlich Preußen (Ostpommern) 262, aus Herzoglich Preußen (Masuren und Ermland) 47, aus Schlesien ca. 430 und von der Polonia (den Auslandspolen) und aus der Tiefe des Deutschen Reiches 133. Unter den Delegierten befanden sich auch die Abgeordneten des Parlaments des Deutschen Reiches und des preußischen Landtages, und ein Teil von ihnen unterzog sich den Wahlen in ihren bisherigen Wahlkreisen. Es waren unter ihnen die Abgeordneten Stefan Łaszewski aus Grudziądz, Pfarrer Józef Kłos aus Szamotuły und Wojciech Sosiński aus Siemianowice. Unter den Delegierten waren mindestens 140 Frauen und mindestens 90 Pfarrer.

Für einen zügigen Verlauf der Sitzungen sorgten vorangegangene Vorbereitungen und Vereinbarungen. Wenn man zusätzlich noch die Absicht eines demonstrativen, einheitlichen Auftretens der Polen berücksichtigt, dann waren diese schlichtweg unentbehrlich. Vor dem Beginn der Sitzungen fanden daher inoffizielle Gespräche statt. Sie resultierten u.a. aus der Notwendigkeit der Klärung der Zahl der zugeteilten Mandate, und aus Einwänden gegen die Art der Durchführung der Wahlen, sowie aus der Sitzverteilung des leitenden Gremiums des Sejms. Die in Posen angekommenen weiblichen Delegierten trafen sich am Vortag des Beginns der Sitzungen im Gemeinschaftsraum der Gesellschaft der Gutsbesitzerinnen im „Bazar“. Zu scharfen Diskussionen kam es gewiss auch in Zielona Kawiarnia (Grünes Kaffeehaus) in der Wrocławska-Straße, wo sich die Delegierten aus Westfalen und Rheinland sowie die Vertreter der Organisatoren des Sejms versammelten. Hier wurde der Vorwurf geprüft, dass man in einigen Wahlkreisen zu viele Delegierte gewählt hat. Es wurde jedoch festgestellt, dass man im Allgemeinen nicht die Zahl überschritt, die es als eine Auswanderung Einstufen würde. Das Resultat des geschlossenen Kompromisses war die Vereinbarung, dass der Abgeordnete Stanisław Nowicki von der Nationalen Arbeiterpartei Sejmmarschall wird, und dass ein Abgeordneter aus Westfalen stellvertretender Sejmmarschall, und ein Delegierter aus Berlin die Position des Sekretärs übernehmen wird (ihre Namen wurden nicht angegeben). Und so geschah es auch, weil Nowicki Sejmmarschall wurde, Stanisław Piecha aus Westfalen stellvertretender Sejmmarschall, und der Rechtsanwalt Feliks Koszutski aus Berlin Sekretär wurde. Außerdem wurden Józef Rymer aus Schlesien, Abgeordneter Stefan Łaszewski aus Grudziądz, Pfarrer Walenty Barczewski aus Königlich Preußen stellvertretende Sejmmarschällen, und Dr. Antoni Wierusz aus Dolsk, Gräfin Maria Potocka aus Piątkowo, Szczepan Gracz aus Lębork, Franciszek Kurpierz aus Opole und Dobrogost Lossow aus Grabonóg übernahmen die Funktion der Sekretäre.

Für die Tage der Sejmversammlung wurde Posen mit nationalen Symbolen verziert. Besonders prächtig waren die Straßen verziert, durch die der Zug der Delegierten schritt. In den Fenstern wurden die Büsten nationaler Helden ausgestellt, und „die Stadt versank einfach in der Flut weiß-roter Fahnen und Flaggen mit weißem Adler auf rotem Hintergrund“. In der Nähe der St. Martins-Kirche hing eine Girlande an der ein Weißer Adler mit zum Flug erhobenen Flügeln hing, etwas weiter, über der Straße Piekary, direkt vor dem Eingang in den Sitzungssaal hing eine Girlande mit der Aufschrift „Willkommen“. Wie sich Bohdan Hulewicz nach Jahren erinnerte, sagte der die Beratungen des Sejms beobachtende Helmut von Gerlach, Untersekretär im preußischen Innenministerium: „Man sollte sich nichts vormachen. Provinz Posen ist für uns unwiederbringlich verloren“.

Vor dem Beginn der Sitzungen versammelten sich die Delegierten in einer Pfarrkirche, wo der Pfarrer Edmund Dalbor einen Gottesdienst abhielt, und der Abgeordnete Pfarrer Antoni Stychel eine feierliche Rede hielt. Ein großer demonstrativer Zug führte die Delegierten durch die Stadt zum Saal Apollo. Hier versammelte sich der Sejm zu seinen drei Plenarsitzungen, jeweils eine an jedem Sitzungstag.

Der Saal wurde in zwei Hälften geteilt. Auf dem uns aus der Illustration bekannten Podium nahm das Präsidium des Sejms Platz, im Zuschauerraum nahmen die Delegierten und Gäste Platz. Über dem Präsidiumstisch hat man eine Dekoration aufgestellt, die durch einen großen Adler mit zum Flug erhoben Flügeln gekrönt war. Weiter unten an vier Pilastern hat man Adler angebracht, die die vier Landesteile repräsentierten, die am Sejm teilnahmen: Provinz Posen, Pommern, Schlesien, Ermland und Masuren. Auf der Bühne wurden vier Schilder mit Adlern aufgestellt, und zwischen ihnen ein die Auswanderung symbolisierendes Emblem – Schwalben im Nest.

Für die Delegierten wurden entsprechende Sejmunterlagen vorbereitet, die die Gesetzentwürfe enthielten, über die der Sejm abstimmen sollte. Sie wurden zum Teil in Heftform vorgelegt: „Przedłożenia dla Polskiego Sejmu Dzielnicowego w r. 1918” („Einbringungen von Gesetzesentwürfen für den Polnischen Teilsejm im Jahr 1918“) und zum Teil als ein großes Blatt mit dem Titel: „Uchwały mające być wysłane do państw koalicyjnych na ręce Polskiego Komitetu Narodowego w Paryżu” („Beschlüsse, die an die Koalitionsstaaten und an das Polnische Nationalkomitee in Paris zu verschicken sind“) (wobei in dieser letzteren Unterlage noch die „Allgemeinen Resolutionen“ enthalten waren). Über den Verlauf der Sitzungen wurde in der Zeitung „Dziennik sejmowy streszczający przebieg Polskiego Sejmu Dzielnicowego w Poznaniu” (Sejm-Tageszeitung, die den Verlauf des Polnischen Teilsejms in Posen schildert“) berichtet. Es sind vier Ausgaben dieser Zeitschrift erschienen, und am Ende der Sitzungen wurde eine Beschreibung der Sitzungen mit umfangreichen Zitaten aus den Reden und Beiträgen als Broschüre herausgegeben. Das alles zeugte von einer sorgfältigen Vorbereitung des Sejms und der Absicht, ihm tatsächlich den Status und die Dimension eines Parlaments zu verleihen.

Das Fundament für alle Lösungen und Forderungen während der Sitzungen des Sejms bildete die Grundannahme, dass über die Zukunft des polnischen Staates und der Gebiete der preußischen Teilungszone der Friedenskongress entscheiden wird. Wichtige Grundlagen der getroffenen Vereinbarungen waren die nationale Solidarität und das Erzielen von Veränderungen auf evolutivem Wege. Es waren sich jedoch nicht alle in diesem Punkt einig, und haben ihre Proteste auch nach der Beendigung der Sitzungen zum Ausdruck gebracht.

Bei den Diskussionen äußerte man sich allgemein zum strukturellen Konzept des wiedererstehenden Polens. Man betonte die Gleichheit aller vor dem Recht, die Fürsorge um die Bürger und deren Bewahrung vor dem Elend und der Armut. Die Einzelheiten der Staatsform waren jedoch kein Gegenstand von Diskussionen. Einen gewissermaßen konstitutionellen Charakter hatte das durch den Sejm verabschiedete „Gesetz über die politische Organisation der Polen, die innerhalb der bisherigen Grenzen des Deutschen Reiches leben“. Der Sejm realisierte die Bestimmungen dieses Gesetzes durch die Akklamation der Wahl des Obersten Volksrates (Naczelna Rada Ludowa), der zur Hälfte aus Arbeitern, Handwerkern und Bauern bestehen sollte. Er umfasste: aus Provinz Posen – 27 Mitglieder, aus (dem westlichen Preußen) Königlich Preußen – 13, aus Schlesien – 28 Mitglieder. Außerdem wurden in jedem dieser Gebiete jeweils zwei Vertreter gewählt. Weitere Gebiete hatten schon keine Vertreter, sondern ausschließlich Mitglieder: Ermland – 2, Preußisch-Masowien – 3 (Ermland und Preußisch-Masowien wurden auch Ostpreußen genannt), die Auswanderer auf der linken Seite der Elbe – 4, die Auswanderer auf der rechten Seite der Elbe – 3.

Der Rat hat sich zum ersten Mal gleich nach der Beendigung der Sejmsitzungen versammelt. An der Versammlung nahmen 62 Mitglieder teil. Damals wurde das Präsidium gewählt: der Vorsitzende - Dr. Bolesław Krysiewicz (Provinz Posen), der Stellvertreter des Vorsitzenden – Pfarrer Paweł Pośpiech (Schlesien) und Pfarrer Dr. Władysław Wolszlegier (Pommern), die Sekretäre – Dr. Czesław Meissner und Karol Rzepecki (Provinz Posen). Es wurde auch ein Exekutivorgan einberufen – das Kommissariat des Obersten Volksrates. In dieses wurden die Vertreter unterschiedlicher Gebiete des ehemaligen Deutschen Reiches gewählt: Pfarrer Stanisław Adamski (Posen), Wojciech Korfanty (Oberschlesien), Dr. Stefan Łaszewski (Pommern), Redkteur Adam Poszwiński (Kujawien), Józef Rymer (Oberschlesien) und Rechtsanwalt Władysław Seyda (Provinz Posen).

Das Kommissariat von NRL hatte Berechtigungen zur Ausübung seiner Tätigkeit sowohl innerhalb der Vereinigung (d.h. gegenüber allen Polen), sowie zu ihrer Vertretung nach außen. Es unterstanden ihm alle örtlichen (d.h. dörflichen und städtischen) sowie Landkreis-Volksräte, und es war dazu berechtigt, sie mit allerlei Angelegenheiten zu beauftragen und Streitigkeiten zwischen ihnen zu schlichten. Es hatte auch das Recht, eine Sitzung des Obersten Volksrates und des Sejms einzuberufen. Es strebte nach einer friedlichen Eigliederung der polnischen Gebiete in den entstehenden polnischen Staat, schloss allerdings einen bewaffneten Kampf nicht aus. Gleich nach dem Ausbruch des Aufstandes hat es die provisorische Leitung Stanisław Taczak überlassen und Gespräche mit dem Provisorischen Staatsoberhaupt Józef Piłsudski in der Sache des Entsendens nach Posen qualifizierter Offiziere aufgenommen. Unter ihnen befand sich Ende Dezember Anfang Januar Oberstleutnant Julian Stachiewicz, der die Position des Stabschefs der aufständischen Truppen übernahm. Für die Position des Befehlshabers der aufständischen Truppen schlug der Staatschef wiederum zwei Generäle vor: Eugeniusz Michaelis und Józef Dowbor-Muśnicki. Das Kommissariat wählte den letzteren.

Nach dieser Nominierung begann man mit dem Aufbau der Großpolnischen Armee. Am 17. Januar ordnete das Kommissariat von NRL die Einberufung der Einberufenen aus drei Einberufungsjahren an (1897-1899), am 4. März weiterer (1895-1900), und am 24. April weiterer fünf Einberufungsjahre (1891-1901). Die Volkswehr wurde beachtlich ausgebaut, und dann in die Landwehr umgestaltet. Am 25. Mai 1919 wurde das Oberkommando über die Großpolnische Armee (im Sinne einer taktischen, und nicht organisatorischen Unterordnung) Józef Piłsudski überlassen. Die Vereinigung der Großpolnischen Armee mit der Polnischen Armee erfolgte im August 1919.

Zuvor allerdings hat der Oberste Volksrat am 3. Januar die Machtübernahme verkündet, was eine politische Erklärung und eine Ermächtigung des Kommissariats von NRL zum Handeln darstellte. Auf der Grundlage dieser Ermächtigung verkündete dieses am 8. Januar seinerseits eine Machtübernahme und fing damit an, Änderungen an der Verwaltung in dem durch den Aufstand erfassten Gebiet vorzunehmen. Das hat seinen Charakter vollkommen verändert – aus dem Vertreter der dominierenden nationalen Gruppe wurde ein Regierungsorgan. Dieses Organ berief unverzüglich Polen auf die Posten des obersten Verwalters der Provinz, und zugleich des Verwalters des Regierungsbezirks (den Rechtsanwalt Bernard Chrzanowski) und auf den Posten des Polizeipräsidenten (Karol Rzepecki). Zum zweiköpfigen Präsidium der Komisja Kolonizacyjna, sog. Kolonisierungskommission (Königlich Preußische Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen) wurden Rechtsanwalt Zygmunt Rychłowski und Dr. Kazimierz Bajoński berufen. Zu dieser Zeit übernahmen die lokalen Volksräte auch schon die Macht im Gebiet, akzeptierten die zuvor durch die Arbeiter- und Soldatenräte bestimmten Kontrolleure der Behörden oder beriefen neue ein. Am 11. Februar erließ das Kommissariat eine Verordnung in der Sache der Auflösung bisheriger Stadträte und der Durchführung der Wahlen, und am 15. Februar – eine Wahlordnung. Die Wahlen fanden am 23. März statt, wobei man neben der parteilichen Rivalität die Erstellung von parteiübergreifenden, nationalen Listen beobachten konnte: der polnischen, deutschen und jüdischen, was den nationalen Charakter der Volksräte wiederspiegelte. In den neuen Stadträten dominierten die Polen.

Als das Kommissariat die Leitung der polnischen Angelegenheiten im gesamten Gebiet des Deutschen Reiches übernommen hat, bildete es zwei Unterkommissariate: in Bytom (für Schlesien) und in Danzig (für Pommern). Im Mai 1919 verbot es die preußische Obrigkeit beiden Vertretungen weitere Tätigkeit auszuüben. Das Unterkommissariat in Danzig, das als Koordinator der polnischen Bemühungen um die Wiedergewinnung von Pommern fungierte, wurde nach Posen versetzt, wo es im August 1919 seine offizielle Tätigkeit wiederaufnahm. Das Unterkommissariat für Schlesien leitete Józef Rymer (mit Unterstützung der Rechtsanwälte Kazimierz Czapla und Konstanty Wolny), und das Unterkommissariat für Pommern leitete Dr. Stefan Łaszewski. Einen wichtigen Fortschritt in Richtung Erfassung des gesamten ehemaligen preußischen Teilungsgebietes war Ende Juli die Bildung des Unterkommissariats von NRL für den Netzedistrikt mit dem Sitz in Bydgoszcz (die Leitung wurde dem Rechtsanwalt Melchior Wierzbicki überlassen). Im Juli 1919 wurden die Vertreter der Mitglieder des Kommissariats einberufen: Leon Pluciński, Cyryl Ratajski und Dr. Stefan Piechocki, die die Kommissare während ihrer Abwesenheit vertreten sollten.

Alle diese Maßnahmen musste das Kommissariat im Rahmen des weiterhin existierenden deutschen Staates einleiten, obwohl sich das befreite Gebiet stufenweise vergrößerte. Trotz der andauernden Kämpfe und des Wartens auf die Entscheidung der Friedenskonferenz wurde in allen Bereichen die Macht übernommen. Das Kommissariat übernahm die Kompetenzen der preußischen Obrigkeit als des Oberhaupts der lokalen Verwaltung und Selbstverwaltung. Es initiierte auch die Repolonisierungsaktionen. Es wurde eine Verordnung erlassen, die die Entfernung der deutschen Überschriften an den Eisenbahnstationen, auf öffentlichen Gebäuden und bei den Straßennamen anordnete, und es wurde auch der 3. Mai als staatlicher Nationalfeiertag angeordnet. Das Kommissariat erließ am 15. Mai eine Verordnung, die anordnete, im „Tygodnik Urzędowy” (Amtswochenblatt) alle Anzeigen in polnischer Sprache zu publizieren, und führte die Kenntnis der polnischen Sprache als eine Anforderung an alle Beamten ein. Die polnische Sprache wurde zur Amtssprache, und die deutsche Sprache durfte nur eine Hilfsfunktion haben, und zwar bei ausdrücklicher Zustimmung. Man fing auch mit der amtlichen Veränderung der Ortsnamen an.

Es wurde die Steuererhebung beibehalten, aber die gesammelten Mittel verließen nicht das Gebiet, und gleichzeitig regte man zur Zahlung der nationalen Steuer (die noch durch das Provisorische Kommissariat eingeführt und durch den Sejm bewilligt wurde), sowie zu Geldsammlungen für die polnische Armee an. Es wurde auch ein Verbot des Transports des Geldes und der Wertpapiere außerhalb der Grenzen des durch den Aufstand erfassten Gebietes eingeführt. 

Es wurde ein Lebensmittel-Hauptamt (Główny Urząd Żywnościowy) gebildet und es wurde der Export der Lebensmittel verboten. Im Februar wurde das Verteilungsamt (Urząd Rozdzielczy) zum Wirtschaften mit den Waren- und Rohstoffvorräten ins Leben gerufen, und im März eine Abrechnungskammer (Izba Rozrachunkowa) als ein Organ zur finanziellen Kontrolle. Im Juni wurde die preußische Kolonisierungskommission (Komisja Kolonizacyjna) in ein Siedlungsamt (Urząd Osadniczy) umgestaltet. Die Veränderungen in der Verwaltung und in der Gerichtsbarkeit waren mit dem Beginn einer breitangelegten Aktion der Herbeischaffung qualifizierten Personals aus anderen Gebieten verbunden. Das Kommissariat hat auch eine Reihe von Verordnungen erlassen, die die öffentliche Ordnung sicherstellen sollten, sowie auch solche mit sozialem Charakter, darunter die Einführung eines 8-Stunden-Arbeitstages.

 

Die Grundsäule der Politik des Kommissariats bildete die Regel der Integrität aller polnischen Gebiete (mit Wahrung ihrer bestimmter Sonderstellung) sowie deren Unterordnung nach der durch den Friedenskongress getroffenen Entscheidung. Daraus resultierte die Notwendigkeit einer Verhandlung mit der Regierung in Berlin und der Aufrechterhaltung der Kontakte auf internationaler Arena. Das war unerlässlich, um Mitte Februar in Trier einen Waffenstillstand zwischen den Deutschen und den verbündeten Staaten zu schließen, in welchem eine Demarkationslinie festgelegt wurde und die Polen in der Provinz Posen als kämpfende Seite anerkannt wurden. Der Waffenstillstand entschied auch über die Trennung der schlesischen Angelegenheiten von dem Kommissariat von NRL. Um die Bestimmungen des Waffenstillstands auszuführen, kam in Polen eine Interalliierte Mission an, die die Verhandlungen mit den Deutschen führte, zuerst in Warschau, und dann in Krzyż und in der Provinz Posen.

Gleichzeitig unterhielt man enge Kontakte zu der polnischen Regierung in Warschau in der Sache der Teilnahme der Vertreter des ehemaligen preußischen Teilungsgebietes am Verfassungsgebenden Sejm. Obwohl man nach einer breitangelegten Vertretung des preußischen Teilungsgebietes forderte, so fanden sich doch, ohne eine Durchführung der Wahlen, im Verfassungsgebenden Sejm nur 16 Abgeordnete des Deutschen Reiches ein, und einer von ihnen, Wojciech Trąmpczyński, wurde in der ersten Sitzung des Sejms zum Sejmmarschall gewählt. Allerdings wurden gemäß den Vereinbarungen am 1. Juni ergänzende Wahlen in der Provinz Posen durchgeführt.

Die Frage der Zugehörigkeit der polnischen Gebiete, sowohl der bereits durch die Aufständischen befreiten als auch der anderen, wurde im Versailler Vertrag gelöst, der am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde. In Kürze wurde die Zollgrenze zwischen dem ehemaligen preußischen Teilungsgebiet und dem Rest des Landes aufgehoben, und das Kommissariat von NRL tat dies am 1. Juli 1919, die polnische Regierung aber erst am 22. Juli 1919.

Das Kommissariat von NRL, das nach einer Vereinigung strebte, ging von einer Aufrechterhaltung der verwaltungstechnischen Sonderstellung der Provinz wegen des andersartigen Rechtssystems aus, innerhalb dessen die Großzahl der Institutionen besser geregelt war als in den in den anderen Gebieten funktionierenden Systemen. Von den unterschiedlichen möglichen Lösungen (das Kommissariat hat u.a. die Bildung eines kollegialen Organs, einer Regierung, die Berufung eines Hauptdelegierten angeboten) wurde das Ministerium für das ehemalige preußische Teilungsgebiet gewählt – ein Regierungsmitglied mit territorialer Reichweite des Handelns.

Die letzte Sitzung des Obersten Volksrates fand nach der Verabschiedung durch den Verfassungsgebenden Sejm des Gesetzes vom 1. August 1919 über die vorübergehende Organisation einer Verwaltung des ehemaligen preußischen Teilungsgebietes statt. Am 19. August hat der Rat den Beschluss über die Auflösung der politischen Organisation der im Deutschen Reich lebenden Polen und deren Organe gefasst. Die Auflösung des Kommissariats wurde dem Minister des ehemaligen preußischen Teilungsgebietes anvertraut. Für diese Position wurde Władysław Seyda, der Kommissar von NRL berufen, der über eine gewisse Zeit zwei Funktionen innehatte.

Das Kommissariat hat am 6. November 1919 eine Verordnung über die Auflösung eigener Geschäftsstellen und über die Übergabe seiner Rechte dem Minister erlassen. Diese Verordnung krönte die Bemühungen des Kommissariats von NRL um die Aufrechterhaltung des bisherigen Systems und um die Bildung eines Organs, welches bestmöglich die Leitung der Verwaltung des Gebietes übernehmen und die Verwaltung in den den Polen durch den Versailler Vertrag zugesprochenen Gebieten übernehmen konnte. Die Übergabe der Verwaltungsabteilungen erfolgte abschnittsweise, und die endgültige Auflösung des Ministeramtes erfolgte im Jahr 1922.

Im Prozess des Erlangens der Unabhängigkeit spielte die Parallelität der Handlungen eine ungeheuer wichtige Rolle. Unabhängig von den andauernden Kämpfen und vom Warten auf die Entscheidungen der Friedenskonferenz übernahm man stufenweise in allen Bereichen die Macht. Die über alle Gegensätze überbrückende Verständigung (oder zumindest die Zurückhaltung vor der Geltendmachung von Sonderinteressen einzelner Gruppierungen) ermöglichte die Einberufung des Polnischen Teilsejms und die Präsentation im Rahmen des Sejms einer einheitlichen Position der Polen. Der Sejm hat solche Rahmenmöglichkeiten für das Handeln des Obersten Volksrates und des durch ihn gewählten Kommissariats geschaffen, dass diese Organe im Rahmen des deutschen Staates funktionieren konnten. Nach dem Ausbruch des Großpolnischen Aufstandes sorgte das Kommissariat nicht nur für eine effektive Führung, sondern übernahm auch die Macht, und führte dann eine Vereinigung der Gebiete der preußischen Teilungszone mit anderen polnischen Gebieten herbei. Zu dieser Zeit wurden die Verwaltung und das Schulwesen übernommen, und es entstand eine Universität, die anfänglich Wszechnica Piastowska („Universität der Piasten “) genannt wurde, es wurden die Wahlen zu den Stadträten und zum Verfassungsgebenden Sejm durchgeführt. Und das alles geschah während der andauernden Kämpfe der Aufständischen. Und gerade diese Gleichzeitigkeit der Handlungen sorgte für die Erlangung der Unabhängigkeit und für den Aufbau der Grundlagen des polnischen Staates, auch polenweit. Weil nur ein gemeinsames Legen der Ziegelsteine zum Wiedererstehen Polens führen konnte.