Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

POLNISCHER TEILSEJM (POLSKI SEJM DZIELNICOWY)

Marek Rezler

Es war eine Versammlung der Vertreter der polnischen Bevölkerung von Provinz Posen, Pomorze Nadwiślańskie (Pommerellen) und Oberschlesien, die vom 3. bis zum 5. in Posen stattfand.

Im Jahr 1916 wurde in Posen ein konspiratives Überparteiliches Komitee (Komitet Międzypartyjny) (ein Zentrales Bürgerliches Komitee (Centralny Komitet Obywatelski)) mit der Überlegenheit der Vertreter der Nationaldemokratischen Partei gegründet. Diese Organisation erhielt den Kontakt mit dem Polnischen Nationalkomitee, das ab dem 15. August 1917 in Lausanne tätig war, aufrecht. Am 11. November 1918 gab dieses Komitee seine Existenz bekannt und nahm gemeinsam mit den Mitgliedern des Polnischen Kreises (Koło Polskie) im Berliner Parlament den Namen Rada Ludowa (Volksrat) an, und drei Tage später Naczelna Rada Ludowa (Oberster Volksrat (NRL)). An der Spitze des Gremiums stand ein aus drei Personen bestehendes Kommissariat des NRL (KNRL): Pfr. Stanisław Adamski, Wojciech Korfanty und Adam Poszwiński. Bis August 1919 war es das Hauptorgan der polnischen Regierung in den polnischen Gebieten, die sich unter der Herrschaft der deutschen Teilungsmacht befanden. In diesen polnischen Gebieten waren lokale Volksräte tätig, die sich aus Mitgliedern der früheren konspirativen Bürgerkomitees zusammensetzten. Ähnliche Räte bildeten nach der Revolution in Deutschland auch deutsche und jüdische Kreise. Parallel dazu wurden die Arbeiter- und Soldatenräte (Rady Robotniczo-Żołnierskie (RRŻ)) gegründet, was in der Region vorübergehend eine Art Doppelherrschaft erschuf, die von der offiziellen deutschen Verwaltung unabhängig war. Jede dieser Organisationen verfügte über eigene militärische Formationen: NRL - Straż Ludowa (Volkswehr), RRŻ – Służbą Straży i Bezpieczeństwa (Wach- und Sicherheitsdienst).

Schon im November 1918 wurden die Wahlen für die lokalen Volksräte durchgeführt. Gleichzeitig begannen die Vorbereitungen zum Polski Sejm Dzielnicow (sog. Polnischer Teilsejm), der traditionell an die Provinz-Sejme der Zeit unter der Herrschaft der Teilungsmächte anknüpfte. Infolge der Verhandlungen machten sich die Vertreter der polnischen Seite das vorübergehende Durcheinander in der Berliner Verwaltung und den Vorteil der Rolle Großpolens als des Lebensmittel-Hauptlieferanten des Deutschen Reiches zunutze. In Anbetracht der Gefahr der Einstellung der Lieferungen in die Tiefe des Landes stimmte der Oberpräsident der Provinz Posen, Hans von Eisenhardt-Rothe, am 29. November 1918 den Versammlungen dieses Gremiums zu. Noch am selben Tag fand in Berlin eine Beratung bei dem II. Vorsitzenden des Rates der Volksbeauftragten, Hugo Haase, mit den Vertretern der Exekutivabteilung des RRŻ in Posen, dem Oberpräsidenten der Provinz Posen, dem Kommandanten des V. Armeekorps und den Vertretern des KNRL statt. Es wurde offiziell festgestellt, dass das Ziel des Sejms die „Besprechung der organisatorischen Angelegenheiten, Festlegung der polnischen Forderungen und der aktuellen Angelegenheiten“ sein wird. Die deutsche Seite hat nur den Einwand zum Ausdruck gebracht, man solle, keine Beschlüsse verabschieden, die eine Trennung der infolge der Teilungen besetzten Gebiete vom deutschen Staat nahelegen.

Die Grundinformationen über den Sejm, das Programm der Sitzungen und die Regeln der Wahl der Delegierten verkündete das Kommissariat von NRL am 14. November 1918. Während der vor den Wahlen stattgefundenen, durch das Provinz-Wahlkomitee des Großherzogtums Posen (Prowincjonalny Komitet Wyborczy na Wielkie Księstwo Poznańskie) organisierten Versammlungen wurde jeweils ein Delegierter für 2500 Personen polnischer Bevölkerung gewählt; wahlberechtigt waren alle Polen ab dem 20. Lebensjahr, ungeachtet des Geschlechts. Die Einzelheiten des Programms und des Prozedere stellte die Exekutivabteilung des Volksrates der Stadt Posen am 29. November 1918 vor. Die Gesamtheit der Wahlaktion wurde durch das Zurückhalten des Geldtransfers finanziert, das bislang nach Berlin zur Unterstützung der militärischen Ziele und zur freiwilligen Besteuerung der polnischen Bevölkerung geschickt wurde. Insgesamt wurden 1399 Abgeordnete gewählt (unter ihnen gab es 129 Frauen und 75 katholische Priester) aus einzelnen Landkreisen: Stadt Posen und Posener Kreise (Osten und Westen – 65), Kreis Babimost: 16, Kreis Bydgoszcz: 25, Kreis Chodzież: 4, Kreis Czarnków: 8, Kreis Gniezno: 12, Kreis Gostyń: 15, Kreis Grodzisk:11, Kreis Inowrocław: 17, Kreis Jarocin: 17, Kreis Kępno: 16, Kreis Kościan: 17, Kreis Koźmin: 10, Kreis Krotoszyn: 11, Kreis Leszno: 6, Kreis Międzychód: 5, Kreis Międzyrzecze: 8, Kreis Mogilno: 14, Kreis Nowy Tomyśl: 9, Kreis Oborniki: 14, Kreis Odolanów: 9, Kreis Ostrowo: 18, Kreis Ostrzeszów: 11, Kreis Pleszew: 12, Kreis Rawicz: 14, Kreis Skwierzyna: 2, Kreis Strzelno: 10, Kreis Szamotuły: 17, Kreis Szubin: 10, Kreis Śmigiel : 10, Kreis Środa: 20, Kreis Śrem: 19, Kreis Wągrowice: 16, Kreis Wieluń: 5, Kreis Witkowice: 10, Kreis Września: 14, Kreis Wschowa: 5, Kreis Wyrzysk: 12, Kreis Żnin: 12. Insgesamt 526. Aus Königlich Preußen: Kreis Bytów: 2, Kreis Chojnica: 20, Kreis Chełmno: 12, Kreis Człuchów: 3, Kreis Gdańsk: 15, Kreis Grudziądz: 12, Kreis Kartuzy: 13, Kreis Kościerzyna: 13, Kreis Kwidzyn: 10, Kreis Lębork: 3, Kreis Lubawa: 17, Kreis Puck 1, Kreis Starogard: 21, Kreis Sztum: 7, Kreis Tuchola: 5, Kreis Sucha: 4, Kreis Świecko: 19, Kreis Tczew: 6,: Kreis Wałcz: 2, Kreis Wąbrzeźno : 10, Kreis Wejherowo: 17, Kreis Toruń: 21, Kreis Złotów: 11. Insgesamt 262. Aus Herzoglich Preußen: Kreis Lejcyński [Lecki] (Giżycko) 1, Kreis Morąg: 1, Landkreis Niborski (Nidzica): 6, Kreis Olsztyn: 18, Kreis Ostróda: 2, Kreis Reszel: 4, Kreis Szczytno: 14, Landkreis Wegeborski [Węgorzewo]: 1. Insgesamt 47. Aus Schlesien: Kreis Byczyna: 2, Kreis Bytom: 44, Kreis Gliwice: 31, Kreis Góra: 2, Kreis Katowice: 47, Kreis Kluczbork: 15, Kreis Kozielski (Kędzierzyn-Koźle): 21, Kreis Królewsko-Hucki [Chorzów]: 11, Kreis Legnica: 2, Kreis Lublin: 17, Kreis Olesno: 18, Kreis Opole: 38, Kreis Namysłów: 4, Kreis Niemodlin: 4, Kreis Prudnik: 11, Kreis Pszczyna: 39, Kreis Racibórz: 7, Kreis Rybnik: 42, Kreis Strzelce Opolskie: 21, Kreis Syców: 11, Kreis Tarnowskie Góry: 9, Wrocław: 3, Zabrze: 31. Insgesamt 431. Aus den polnischen Gemeinden in der Fremde: Berlin (Kreis): 70, Bremen: 3, Dresden: 2, Halle (Saale): 1, Hamburg: 7, Kiel: 3, Ratenberg: 1, Westfalen und Rheinland: 46. Insgesamt 99. Endgültig kamen ca. 1100 Delegierte an.

Die Plenarsitzungen des Sejms fanden in dem (heute nicht mehr existierenden) Lambert-Saal in Piekary und in dem benachbarten Apollo-Saal statt. Die einzelnen Kommissionen (es waren fünf an der Zahl) hatten andere Arbeitsplätze in der Stadt zugeteilt bekommen: die Kommission für politische Angelegenheiten tagte im großen Saal von „Bazar“, die Organisationskommission im Museum der Familie Mielżyński in der Straße Wiktorii [Seweryna Mielżyńskiego] 26/27, die Kommission für dringende soziale und Arbeiter-Angelegenheiten tagte im Sitz des Obersten Volksrates in der św. Marcin-Straße 40, die Kommission für Bildung und Schulwesen tagte im Saal des Hauses der Königin Hedwig in der Kaiser-Wilhelm- [Marcinkowskiego-] Allee 1 und die Kommission für Verwaltung und öffentliche Sicherheit tagte im Saal des Museums der Familie Mielżyński. Das Sekretariat und das Auskunftsbüro befanden sich im Sitz des KNRL in der Straße św. Marcin 40.

Am 29. November hat die Exekutivabteilung des Volksrates der Stadt Posen einen Aufruf erlassen, der die Ordnung in der Stadt während der Beratungen des Sejms regelte. Die Tage vom 3. bis zum 5. Dezember hatten den Charakter polnischer Feiertage in Posen. In der Stadt wurden überall weiß-rote Flaggen und rote Flaggen mit Weißem Adler ausgehängt, an die die deutsche Verwaltung sich zu gewöhnen begann. Die Fenster der polnischen Wohnungen und Vitrinen wurden mit nationaler Symbolik und mit den Bildern der polnischen Nationalhelden geschmückt. Für den Schutz der Abgeordneten und ihrer Versammlungsstätten waren die Pfadfinder und ca. 2 Tsd. Mitglieder der Volkswehr verantwortlich.

Am 3. Dezember um 10:00 begann in der Pfarrei der Gottesdienst, der durch den Erzbischof Edmund Dalbor zelebriert wurde; Pfarrer Prälat Antoni Stychel hielt eine lange patriotische Rede. Die Teilnehmer der Beratungen des Sejms gingen zum Gottesdienst durch die Straßen Jezuicka [Świętosławska], Stary Rynek, Nowa [I. J. Paderewskiego], durch die Kaiser-Wilhelm- [Marcinkowskiego-] Alleen, durch die Straßen św. Marcin und Piekary zum Lambert-Saal, wo die feierliche Eröffnung der Sejmversammlung stattfand. Sie wurde durch den Vorsitzenden des Polnischen Kreises im Parlament des Deutschen Reiches, Władysław Seyda, feierlich eröffnet; der Abgeordnete Stanisław Nowicki aus Posen wurde zum Sejmmarschall bestimmt. Pfr. Stanisław Adamski legte einen Bericht über die bisherige Tätigkeit des KNRL ab, der im Grunde genommen eine Präsentation des politischen Programms der führenden polnischen Kreise der Provinz war, welches im Grunde genommen in einer stufenweisen Machtübernahme und gleichzeitigem Abwarten der Entscheidung der Friedenskonferenz bestand. Der nächste Sprecher, Adam Poszwiński, formulierte die Idee des Volksrates, als einer Vereinigung, die auf der Grundlage von allgemeinen Wahlen alle Polinnen und Polen, die in dem bisherigen Deutschen Reich lebten, vereinigte, um eine einheitliche nationale Vertretung zu bilden. Es wurden auch die Struktur und Kompetenzen des künftigen Volksrates vorgestellt, und das Verhältnis zwischen dem Volksrat und den Arbeiter- und Soldatenräten dargestellt, die als vorübergehende Organe betrachtet wurden.

Um 17:00 Uhr begannen die Arbeiten der einzelnen Kommissionen: der politischen Kommission und der Organisationskommission, und es wurde eine Beratungsordnung des Polnischen Teilsejms festgelegt. Der zweite Tag der Beratungen des Sejms begann mit einer Plenarsitzung. Es wurde die politische Lage der polnischen Gebiete analysiert und es wurden die Referate von den Arbeiten der politischen Kommission, Organisationskommission und der Kommission für soziale und Arbeiterangelegenheiten vorgestellt. Es wurde ein Beschluss in der Sache des Anschlusses der während der Teilungen durch Preußen weggenommen Gebiete an Polen verabschiedet, und es wurde eine Reihe von Resolutionen verabschiedet, die den demokratischen Charakter des polnischen Staates betrafen. Die durch KNRL auferlegte nationale Steuer wurde genehmigt und es wurde die Bildung der Bauernräte in den Dörfern empfohlen. Man berührte dann gesondert das Thema der Lage der Arbeiter und den Schutz der von der Front zurückkehrenden Soldaten gegen Arbeitslosigkeit. Man erwog unterschiedliche Arten von Versicherungen, Renten und Leistungen. Ein gesondertes Thema bildete auch das Problem des Grundeigentums und die Möglichkeit des Erwerbs von Grund nach den Regeln, die durch die Zentrale Landwirtschaftliche Gesellschaft (Centralne Towarzystwo Gospodarcze) festgelegt wurden. Es wurde auch die Notwendigkeit betont, die Angelegenheit einer eventuellen Rückkehr der Emigranten in Bezug auf die Möglichkeit ihrer Beschäftigung zu regeln.

Abends wurde u.a. auf Wunsch der Abgeordneten die Vorführung von „Wesele“ („Die Hochzeit“) im Polnischen Theater wiederholt. Die Arbeiten der Kommissionen begannen um 9:00 Uhr. In der Organisationskommission widmete man sich besonders intensiv dem Thema der polnischen Emigranten. In der Kommission für Bildung und Schulwesen analysierte man Angelegenheiten, die mit der Bildung der polnischen Kinder verbunden waren. An diesem Tag (4. Dezember 1918) nahmen die Abgeordneten u.a. an der Vorführung von „Wesele“ („Die Hochzeit“) von Stanisław Wyspiański im Polnischen Theater teil. Die Gesellschaft der Gutsbesitzerinnen organisierte einen Empfang für die weiblichen Delegierten des Sejms im „Bazar“.

Den dritten Tag der Beratungen, Donnerstag, den 5. Dezember, fing man mit einer Plenarsitzung im Lambert-Saal an. Es wurden hauptsächlich Referate von den Arbeiten der Kommissionen für Verwaltung, Lebensmittel, für Bildung und der Wahlkommission präsentiert. Es wurden die Regeln der Einführung der polnischen Beamten in die Verwaltung und die Problematik ihres Mangels im Verhältnis zum Bedarf vorgestellt; es wird notwendig sein, so stellte man fest, die Deutschen zu behalten, und ihnen Kontrolleure von der polnischen Seite zuzuteilen. Es wurde ein Beschluss in der Sache der Bildung der Volkswehr in jedem Ort gefällt. Die Forderung, den Nahrungstransport in das Deutsche Reich einzustellen, falls man nicht von der ablehnenden und feindlichen Einstellung zur polnischen Bevölkerung absehen würde, wurde nicht gestellt. Die Kommission für Bildungsangelegenheiten, die am zweiten und dritten Tag der Arbeiten tagte, unterstützte die Sache der Konfessionsschulen, mit Religion als wichtigstem Fach. Eine andere Meinung äußerte W. Korfanty, nach dessen Meinung man die polnischen Schüler mit anderer Konfession nicht zu Minderheiten machen sollte. Die Schulen sollten einen allgemeinen Charakter haben, und die Lehrer sollten das Recht beibehalten, eine privilegierte Position in der Bildung zu haben. Es wurde betont, dass es an qualifizierten polnischen Lehrern mangele, die nach dem Anschluss Großpolens an den vereinten Staat, in allen Schulen arbeiten könnten.

Es wurde die Zusammensetzung des Obersten Volksrates festgelegt, mit der Parität der Abgeordneten einzelner Gebiete: Großherzogtum Posen: 27, Königlich Preußen: 13, Ermland: 2, Mazowsze Pruskie (Masowien): 3, Emigranten zur linken Seite der Elbe: 4, Emigranten zur rechten Seite der Elbe: 3, Schlesien: 29 – insgesamt 80. Es wurde ein Beschluss in der Sache der unverzüglichen Gründung einer Universität in Posen verabschiedet. Letztendlich wurden die Arbeiten des Sejms um 14:00 vertagt. Noch am selben Tag fand die erste Sitzung des Obersten Volksrates unter dem Vorsitz von Pfr. Wolszlegier, des Vorsitzenden des Zentralen Wahlkomitees statt. Es wurde ein aus sechs Personen bestehendes Kommissariat gewählt, dem die Repräsentanten der einzelnen Gebiete angehörten: Pfr. S. Adamski und Władysław Seyda (Posen), W. Korfanty und Józef Rymer (Schlesien), A. Poszwiński (Kujawien), Stefan Łaszewski (Pommern). Es wurden auch Unterkommissariate des Obersten Volksrates NRL in Bytom mit J. Rymer an der Spitze, und später mit Kazimierz Czapla an der Spitze, und in Danzig (Stafan Łaszewski) berufen. Die exekutive Gewalt blieb in den Händen von Pfr. S. Adamski. Obwohl die offiziellen Sitzungen des Sejms eingestellt wurden, wurde der Sejm nicht wieder einberufen, ähnlich die NRL (der formal am 19. August aufgelöst wurde); die reale polnische Regierungsgewalt in der Region übernahm das Kommissariat des NRL, welches am 8. Januar 1919 die Übernahme der gesamten politischen und militärischen Macht in den während des Großpolnischen Aufstandes eingenommenen Gebieten verkündete.