Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

Organische Arbeit als Weg zum Großpolnischen Aufstand 1918-1919 und zur Unabhängigkeit Polens

Witold Molik

Unter den Forschern des XIX. Jh. herrscht seit langem Streit über die historische Rolle der organischen Arbeit. Was war sie: einer der Wege, der zu Polens Unabhängigkeit führt, oder nur ein Weg zur Errettung und zum Überdauern des Polentums in der Zeit der Unfreiheit polnischer Nation? Michał Bobrzyński schreibt in Dzieje Polski (Geschichte Polens) „Das polnische Volk strebte auf zwei Wegen nach Unabhängigkeit, auf dem Weg des bewaffneten Aufstandes und auf dem Weg der organischen Arbeit“. Diese Sicht wurde konsequent durch Witold Jakóbczyk, den verdientesten Forscher der organischen Arbeit, abgelehnt. In dem von ihm im Jahr 1951 herausgegebenen ersten Band von Studia nad dziejami Wielkopolski w XIX wieku (Studien zur Geschichte Großpolens im XIX. Jahrhundert) zog er die Schlussfolgerung, dass die Politik der organischen Arbeit „[…] ein eher defensives Programm darstellte und nicht zur Unabhängigkeit führte […]. Sie erleichterte nur die Wahrung der Nationalität und die Umgestaltung der polnischen Gesellschaft von einer feudalen zu einer kapitalistischen […].“ In seinen letzten Arbeiten (die in den achtziger Jahren des XX. Jh. publiziert wurden) betonte er auch, dass die organische Arbeit in der Lage Großpolens im beachtlichen Maße zum Überleben und zur Errettung der polnischen Nation beitrug. Er behauptete, dass er nicht ihre historische Bedeutung maximiert. Stefan Kieniewicz, der in seinen Publikationen aus den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine ähnliche Stellungnahme bezog, veränderte später seine Sicht. Im Artikel Utrata państwowości i drogi jej odzyskania (Verlust des Staates und Wege zu seiner Wiederherstellung) schrieb er, dass im XIX. Jh. unterschiedliche Wege in Betracht gezogen wurden, die zur Unabhängigkeit führen sollten. In seinen weiteren Überlegungen hat er acht typischste Konzepte und Vorgehensweisen, und darunter auch die organische Arbeit, hervorgehoben.

Eine kategorische Klärung der beschriebenen Streitfrage scheint in Bezug auf den gesamten Zeitraum der Unfreiheit polnischer Nation unnötig und unbegründet zu sein. Man sollte aber betonen, dass ein Teil der Vertreter der organischen Arbeit weitreichende Ziele hatte. Sie gingen davon aus, dass sie durch die Einleitung unterschiedlicher Initiativen die polnische Gesellschaft modernisieren und sie stufenweise zum Kampf um die Unabhängigkeit des Vaterlandes vorbereiten werden, wenn der rechte Augenblick kommen wird. Davon zeugt u.a. ein vertraulicher Brief von Gustaw Potworowski, einem führenden Vertreter des Lagers der Anhänger der organischen Arbeit in der Provinz Posen aus dem Jahr 1851 an den Gutsbesitzer Wojciech Lipski, in dem man Folgendes lesen kann: „Irgendwann werden entsprechende Umstände eintreten, aus irgendwelchen Gründen wird für uns die Gelegenheit zum Handeln kommen, und sie darf uns nicht in materieller und moralischer Erstarrung vorfinden.

Denn ich wiederhole nochmal, wenn der Augenblick unserer Befreiung kommen wird […], werden wir alle, ungeachtet unserer früheren Vorlieben dahin gehen, wo die Flagge unserer Befreiung wehen wird, mit einem Blick, der fest auf Polen geheftet ist, mit einem für Polen schlagenden Herzen und mit Waffen, die für Polen kämpfen“.

Die Bezeichnung „organische Arbeiten” wendete zum ersten Mal Jan Koźmian im Jahr 1848 an. In dem damals in „Przegląd Poznański” erschienenen Artikel über die Ereignisse der Revolutionen von 1848/1849 schrieb er: „[…] es liegt an den Polen, den Moment der Auferstehung des Vaterlandes zu beschleunigen oder zu verspäten; der Weg aller Tugenden, der Liebe zu allem, was Heimat ist, der Weg der angemessenen Methoden, der Gemeinschaft, der Aufopferung und der o r g a n i s c h e n A r b e i t e n [hervorgehoben von W.M.], der Aktivität und Ausdauer führt zu Polen“. Etwas später stellte Marceli Motty in seinen Erinnerungen an Karol Marcinkowski fest, dass der Posener Arzt „[…] uns die Notwendigkeit der Vereinigung einzelner, schwacher Kräfte zu einer gemeinsamen, mächtigen Kraft, die Notwendigkeit der ununterbrochenen o r g a n i s c h e n A r b e i t e n [hervorgehoben von W.M.] an dem Aufbau unserer Nationalität, die Notwendigkeit einer gemeinsamen Mitte für die zerstreuten Rädchen des nationalen Lebens gezeigt hat“. Man kann also sagen, dass der Begriff „organische Arbeit“ in der Posener Publizistik zur Zeit der Revolutionen von 1848/1849 (Völkerfrühling) auftrat. Später geriet er allerdings in Vergessenheit. Er erschien erneut in der Posener Presse nach der Niederlage des Januaraufstandes, und zwar in der Propaganda, die zur Verbreitung unterschiedlicher Formen nationaler Selbsthilfe anregte - zum Ausbau des Netzwerks der Industrieverbände, Spar- und Darlehensgesellschaften, landwirtschaftlicher Bauernkreise, Pfarrbibliotheken, Gesangskreise usw. Einer der anonymen Korrespondenten stellte im Jahr 1868 im „Dziennik Poznański” (Posener Tageszeitung) fest: „Heute, wenn die Existenz unseres innigsten Interessenkreises bedroht ist, wenn es uns mit der Zeit an dem nationalen Material der hiesigen Bevölkerung fehlen könnte, braucht man I n s t i t u t i o n e n, braucht man o r g a n i s c h e A r b e i t e n und man braucht eine große moralisch-nationale Werkstatt, deren ununterbrochenes Funktionieren den Mangel an Menschen ersetzen könnte, und dessen dreifache Aufgabe [es ist – ergänzt durch W.M.], aus den unteren Schichten der Nation Elemente herauszuholen, die in den höheren Schichten winzig oder verschwindend klein sind, die nationale Bildung zu verbreiten […] und den nationalen Wohlstand zu vervielfältigen“.

In der Posener Presse der nächsten zwei Jahrzehnte wurde der Begriff organische Arbeiten nicht nur in den Leitartikeln und problembezogenen Artikeln, sondern auch oft in den durch die Leser zugeschickten Briefen und Korrespondenzen verwendet.

Seit der Wiedererlangung durch Polen der Unabhängigkeit im Jahr 1918 bedienten und bedienen sich die Forscher ziemlich frei des Begriffes „organische Arbeit“, abgesehen von den Publizisten und Politikern, die sich berechtigt fühlten, sich zu diesem Thema zu äußern. Seine weit gefasste Formel hat Stefan Kieniewicz angeboten. Er hielt nämlich „diesen Begriff für einen bequemen und geräumigen Sack“, in den man alle Formen nicht politischer, individueller und Gruppenaktivität hineinwerfen kann, die „aus diesem oder jenem Grund“ für das Land nützlich sind, „das heißt etwa Verbesserung der Landwirtschaft und Gründung von Unternehmen, Banken und Aktiengesellschaften, landwirtschaftlichen Kreisen, Genossenschaftlichen Vereinen, Amateuren-Chören und Sportclubs, Verbreitung der Bildung, legale, halblegale und illegale: wissenschaftliche und kulturelle Organisationen“. Schon seit längerer Zeit ist die Mehrzahl der Forscher mit der Tatsache einverstanden, dass die organische Arbeit die Modernisierung der Wirtschaft und alle Formen der Verbreitung der Bildung umfasst. „Sollten wir dann also – wie es zutreffend Marek Czapliński feststellt – die sogenannte organische Arbeit“ nicht als einen unzertrennlichen Teil der uralten, und im Grunde genommen sich nicht so sehr von den woanders praktizierten, Maßnahmen betrachten, die zur wahren Europäisierung (zumindest nicht im Sinne des Forcierens des Kosmopolitismus und der Verwischung des nationalen Bewusstseins!) und zur Modernisierung Polens führen.

Die Strategie der Anhänger der organischen Arbeit – wie zutreffend Przemysław Matusik bemerkte – „leitete sich nicht aus irgendwelchen raffinierten Ideologien oder gesellschaftlichen her. Ihre Grundlagen wurden in unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten der Geschichte nach den Teilungen Polens formuliert; von Stanisław Staszic und von den Gründern der Gesellschaft der Freunde von Wissenschaften (Towarzystwo Przyjaciół Nauk) bis hin zu den Positivisten in der zweiten Hälfte des XIX. Jh”. Ihre größte Rolle spielte die organische Arbeit jedoch in der Geschichte Großpolens unter preußischer Herrschaft, wo sie ihre deutlichsten Spuren hinterließ, indem sie entscheidend zur Entwicklung des besonderen Ethos der Großpolen beitrug. Nach der Ansicht von Stanisław Filipowicz war das Programm der Posener Anhänger der organischen Arbeit ein offensives und kein defensives Kampf- und Expansionsprogramm, dem der Glaube an die mobilisierende Kraft des Polentums eigentümlich war. Die polnische Gesellschaft sollte diese Kraft nutzend sich stufenweise modernisieren, zu einer modernen Gesellschaft werden, die auf eiserner Disziplin der nationalen Ziele basiert, und die in der Lage ist, unter günstigen Umständen „für die Unabhängigkeit einzutreten“. Die Anhänger der organischen Arbeit wurden und werden oft den Romantikern und Insurgenten entgegengesetzt. In der historischen Wirklichkeit des preußischen Teilungsgebietes waren beide Haltungen: die romantisch-aufständische und die auf organischer Arbeit gründende keineswegs einander entgegengesetzt und kamen oft, je nach der sich verändernden Situation, bei denselben Personen zum Vorschein. Viele Anhänger der organischen Arbeit ließen sich in ihrer Jugend von ihrem Enthusiasmus leiten oder beteiligten sich, dem Ruf der autoritären Anführer folgend, aktiv an Aufständen und an konspirativer Bewegung (z.B. an geheimen Schüler- oder Studentenorganisationen).

Die organischen Arbeiten waren – wie Tadeusz Łepkowski schrieb – „[…] die richtige lokale Anpassung an konkrete, in jedem der Teilungsgebiete jeweils andere Bedingungen und Möglichkeiten“. Unterschiedlich waren auch die chronologischen Rahmen, innerhalb welcher ihre Entwicklung eintrat. Diese Rahmen kann man nur annäherungsweise beschreiben. Stefan Kieniewicz hat eine Anfangszäsur für die Gesamtheit der polnischen Gebiete um 1840 angenommen, aber Witold Jakóbczyk hat diese Zäsur in Bezug auf Großpolen sogar auf das Jahr 1828 verschoben, in welchem eine Gruppe aufgeklärter Gutsbesitzer den Versuch unternahm, in Posen eine Gesellschaft der Freunde der Landwirtschaft, der Industrie und der Bildung (Towarzystwo Przyjaciół Rolnictwa, Przemysłu i Oświaty) zu gründen. Die preußische Obrigkeit hat diese Gesellschaft nicht genehmigt, aber ihre Satzung enthielt das erste ausgebaute Programm konkreter Handlungen, die die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umwandlungen beschleunigen, und – was damit einhergeht – die Kräfte der polnischen Gesellschaft stärken sollten. Das Ende der Strömung der organischen Arbeiten datierten Witold Jakóbczyk, Stefan Kieniewicz und andere früheren Forscher einstimmig auf das Ende des XIX. Jh., indem sie das Jahr 1890 symbolisch als Schlusszäsur annahmen. Für die „besitzenden Klassen“ – wie Stefan Kieniewicz schrieb – öffneten sich damals die Möglichkeiten einer umfassenden Tätigkeit, die auf politischen Massenparteien basierte. Allerdings verzichtete man nicht auf diese Arbeiten. Die politischen Gruppierungen übernahmen weiterhin die Schirmherrschaft über unterschiedliche wirtschaftliche Organisationen, Bildungsorganisationen u.a., aber sie sind jetzt „zum Umbau der Hauptfront der politischen Aktion übergegangen“. Nach 1890 verlor die organische Arbeit zweifellos ihren Rang und Charakter eines selbständigen politischen Programms. Anders stellt sich die Sache jedoch aus der Sicht der Funktion der organischen Arbeiten im Prozess der Modernisierung der polnischen Gesellschaft im preußischen Teilungsgebiet dar. Ende XIX. Anfang XX. Jh. kam es hier zu einer dynamischen Entwicklung unterschiedlicher Organisationen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch die Anhänger der organischen Arbeit initiiert wurden (landwirtschaftliche Kreise, Industrieverbände, Spar- und Kreditgesellschaften usw.), deren Tätigkeit beträchtlich zum Anstieg der wirtschaftlichen Kraft und zur Entwicklung des nationalen Bewusstseins der polnischen Bevölkerung beitrug. Die „Früchte“ der organischen Arbeiten reiften damals vollständig, und die polnische Gesellschaft konnte Erfolge beim Kampf mit einem vielfach stärkeren Gegner aufnehmen: dem preußischen Staat und dem an diesem Kampf beteiligten Teil der deutschen Bevölkerung.

Ein besonders wichtiges Gebiet der organischen Arbeit stellte nach der Ansicht von Stefan Kiniewicz „die Verbreitung des nationalen Bewusstseins in den Massen und die Vervielfältigung der Zahl der Patrioten“. Diese Feststellung bezieht sich vollkommen auf das preußische Gebiet, wo die Handlungen, die das nationale Bewusstsein in den Massen des Kleinbürgertums, der Dorfbevölkerung und der Arbeiter entwickelten eine wichtige Stelle in den „organischen Arbeiten“ einnahmen. Die Schöpfer des Gedankens der organischen Arbeit waren der Meinung, dass Verbände der Kern der patriotischen Vorhaben werden sollten. Sie waren und sollten der Ort der patriotischen Bildung sein. Daher wurden im Rahmen der im preußischen Staat bestehenden rechtlichen Möglichkeiten stufenweise die Organisationsstrukturen der nationalen Bewegung ausgebaut. In Posen wurden die Richtungen der Tätigkeit des Lagers der organischen Arbeit anfänglich durch die landwirtschaftlichen Gutsbesitzer-Verbände festgelegt, die zur Tarnung vor der preußischen Obrigkeit sich – „Kasinos“ nannten; sie haben die Prüfung der Zeit nicht bestanden und erwiesen sich als ephemer. Das im Jahr 1835 gegründete Kasino in Gostyń war in den nächsten 6 Jahren die Heimat der Vorhaben der „organischen Arbeit“.

Im Jahr 1841 wurden jedoch in Posen zwei Filialen der organischen Arbeit eröffnet: das Hotel „Bazar“ und die Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Hilfe (Towarzystwo Pomocy Naukowej). Das im Zentrum von Posen gelegene Hotel „Bazar“ war eine eigentümliche Institution, es war nicht nur ein Hotel mit polnischen Handelsvertretungen und Handwerkerwerkstätten (in den Erdgeschossräumen), die mit ihren Aushängeschilden die Anwesenheit polnischer Kaufleute und polnischen Handwerks akzentuierten, sondern es war vor allem das polnische Zentrum der nationalen Bewegung (denn es war zugleich der Sitz polnischer Verbände, der Ort für Versammlungen, Kundgebungen und Treffen der führenden Persönlichkeiten), sowie auch das Zentrum des polnischen geselligen und kulturellen Lebens. Man kann sagen, dass es ein mehrfunktionales „nationales Haus“ war. In dieser „Mehrfunktionalität gründete sein Phänomen, zumal kein anderes ähnliches Objekt in Mitteleuropa so viele Funktionen gleichzeitig innehatte“. Dagegen war die Grundaufgabe der Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Hilfe das Sammeln der Fonds und die Erteilung der sich ausbildenden Jugend aus ärmeren Schichten finanzieller Hilfe. Von den von ihr gewährten Stipendien, einmaligen finanziellen Unterstützungen und Darlehen, machten Hunderte von Schülern und Studenten Gebrauch, die nach dem Erwerb der beruflichen Ausbildung die Zahl der Intelligenz und das stärker werdende Kleinbürgertum vergrößerten. Die Bedeutung der TPN bestand jedoch nicht nur in der Zuerkennung der Stipendien armen Schülern und Studenten, sondern auch in der Durchführung der patriotisch-erzieherischen Arbeit. Die Stipendiaten waren verpflichtet, Fortschritte in der Ausbildung nachzuweisen und an das Sekretariat der Gesellschaft schriftliche Arbeiten zu unterschiedlichen Themen zu schicken. Viele von ihnen fühlten tiefe Dankbarkeit für die erhaltene Hilfe, und bemühten sich darum, nachdem sie sich beruflich selbständig gemacht haben, die Schulden bei der Gesellschaft abzubezahlen, und, was damit einhergeht, sie engagierten sich für politisch-gesellschaftliche Vorhaben, indem sie oft eine hohe Qualifikationsstufe mit sozialer Ader vereinten. Aus ihren Reihen gingen die aktivsten Aktivisten der polnischen nationalen Bewegung hervor. TPN war die am längsten tätige polnische Gesellschaft. Trotz der Krisen, die während des langen Zeitraums ihrer Existenz unvermeidlich waren, dauerte sie vom Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 1841 bis zum Ende der Epoche der Teilungsgebiete fort und diente der polnischen Gesellschaft noch in den Zeiten der II. Rzeczpospolita. Die lange Dauer und die Vermeidung durch TPN einer Schließung durch die preußische Obrigkeit waren von wesentlicher Bedeutung für die später gegründeten unterschiedlichen polnischen Gesellschaften. Sie schöpften aus ihrem reichen Erfahrungsfundus und folgten ihrem Vorbild.

Die Möglichkeiten einer umfassenden Realisierung der Idee der Verbände öffneten sich vor den Posener Anhängern organischer Arbeit zur Zeit des Völkerfrühlings. Bereits am 25. Juni 1848 gründete eine Gruppe polnischer Abgeordneter auf die Initiative von August Cieszkowski in Berlin ein Verband unter dem Namen Liga Polska (Polnische Liga). Sie bediente sich legaler Mittel und sollte „die polnische Nationalität aufrichten“. Ihre Schöpfer beabsichtigten die Realisierung eines umfassenden bürgerlichen Programms der Bildung der Massen, um der preußischen Propaganda, die die angeblichen Wohltaten des Königs für das Volk propagierte, und um der revolutionären Emigrationspropaganda entgegenzuwirken. Schnell wurden die Organisatoren der Landkreis-Ligen einberufen, die dann die niedrigsten Glieder – die Pfarr-Ligen bilden sollten. Die Organisationsarbeiten an dieser neuen Form polnischer Aktivität gingen schnell voran; gegen Ende des Jahres 1848 funktionierten in Posen und in Westpreußen schon etwa 246 sog. Bezirks- und Orts-Ligen. Laut einem Bericht aus dem Jahr 1849 waren in der Polnischen Liga 37 271 Mitglieder vereint (es waren jedoch keine vollständigen Daten, zumal nicht alle lokalen Ligen ihre Berichte zur Zentrale schickten). Somit war sie eine der ersten Massenorganisationen in Europa. Eine vollständige Darstellung ihrer Tätigkeit würde hier zu viel Platz einnehmen und den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber ein paar Sätze sollen dennoch ihrer patriotisch-erzieherischen Arbeit gewidmet sein. Sie wurde nicht so groß, wie es die führenden Aktivisten mit August Cieszkowski an der Spitze erwartet hatten, zumal viele Gutsbesitzer sich schnell aus ihr zurückzogen. Einige Kreis-Ligen konnten jedoch große Errungenschaften vorweisen. Die von ihr erwählten ständigen Vortragenden versammelten wöchentlich das „Volk“ aus der Umgebung um sich (vorwiegend samstags nachmittags oder an den Sonntagen nach dem Gottesdienst), um Zeitungen zu lesen, Diskussionen über aktuelle politische Ereignisse und über die bürgerliche Erziehung zu führen. Sie regten die Bürger und Bauern dazu an, für nationale Ziele zu spenden. Wie aus den in „Gazeta Polska“ (Polnische Zeitung) publizierten Berichten resultiert, wurden diese Versammlungen durch große Volksmengen aus der gesamten Umgebung besucht. Man kann daher behaupten, dass zumindest in einigen Landkreisen die Tätigkeit der Liga wesentlich zur Entwicklung des nationalen Bewusstseins der polnischen Massen beigetragen hat. Leider hat das preußische Parlament Schon am 11. März 1850 ein Gesetz verabschiedet, das die Existenz politischer Verbände mit zentralen Leitungen und ausgebauten Organisationsstrukturen in dem Gebiet verbot, was das Ende der Existenz dieser Massenorganisation bedeutete.

Das Gesetz vom 11. März 1850 bewirkte nicht nur den Untergang der Polnischen Liga, sondern auch anderer polnischer Organisationen.

Die schwierige Zeit der reaktionären Regierung des Premiers Otto von Manteuffel (1850-1858) hat nur ein Teil von ihnen überdauert (die landwirtschaftliche Gesellschaft der Gutsbesitzer, die Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Hilfe). Als gegen Ende der fünfziger Jahre die preußische Obrigkeit im Rahmen der Liberalisierung des politischen Lebens die Unterdrückung seitens der Verwaltung lockerte, entstanden im Großherzogtum Posen stufenweise neue, schon polnische Organisationen. Zuerst sollte man die im Jahr 1861 gegründete Zentrale Wirtschaftsgesellschaft (Centralne Towarzystwo Gospodarcze) nennen, die die landwirtschaftlichen Landkreis-Gutsbesitzer-Gesellschaften unter sich vereinte. Sie konzentrierte sich auf wirtschaftliche Angelegenheiten, die mit den Interessen der Gutsbesitzer-Schicht verbunden waren. Langsam entwickelten sich, insbesondere außerhalb der großen Städte, bürgerliche Organisationen. In Wahrheit entstand in Posen bereits im Jahr 1849 die Industrie-Gesellschaft (Towarzystwo Przemysłowe), aber eine schnellere Entwicklung dieser Organisationen bewirkte erst die Welle der nationalen Unterdrückung. Zu ihnen gehörten hauptsächlich Pfarrer, Ärzte, Rechtsanwälte, die oft führende Funktionen innehatten. Sie beschäftigten sich mit der „Aufrichtung der Moralität, der Bildung und des Wohlstands“ des Kleinbürgertums, mit dem Organisieren von fachorientierten Kursen, Vorträgen, Tanzabenden, heimatkundlichen Ausflügen, mit der Gründung der Selbsthilfe-Darlehenskassen usw. Ende des XIX. Jh. kam in diesen verstreuten Gesellschaften die Tendenz zur Zentralisierung der Bewegung auf. Im Juli 1895 haben die in Posen versammelten Delegierten die Gründung des Verbandes der Industrievereine im Deutschen Reich (Związek Towarzystw Przemysłowych w Rzeszy Niemieckiej) verabschiedet, der die lokalen Gesellschaften bei der Tätigkeit „der Aufrichtung des Handwerks, der Industrie und der Erwerbstätigkeit“ unterstützen sollte. Anfänglich war die Entwicklung des Verbandes langsam, und nahm erst in den Jahren vor dem Ausbruch des I. Weltkrieges an Dynamik zu. Anfang des Jahres 1914 umfasste er 165 Gesellschaften, die gemeinsam fast 11 Tausend Mitglieder hatten.

Einer der wichtigen Schlüsselsegmente des Posener Organisationssystems waren die Erwerbsgenossenschaften. Als älteste von ihnen gilt die im Jahr 1850 in Śrem gegründete Spar- und Darlehensgesellschaft. Bekannter war die Darlehensgesellschaft für Industrielle der Stadt Posen, die im Jahr 1861 u.a. auf Initiative von Hipolit Cegielski gegründet wurde. Mit der Zeit wurden massenhaft Gesellschaften unter dem Namen der Volksbanken und Spar- und Darlehensgesellschaften gegründet, denen Kaufleute, Handwerker, Bauer, Pfarrer etc. angehörten. Sie sammelten die Spareinlagen und gewährten den Mitgliedern günstige Kredite, hauptsächlich für den Kauf der Rohstoffe und Werkzeuge. Zu ihrer Entwicklung trugen entschieden die Pfarrer Augustyn Szamarzewski und Piotr Wawrzyniak bei – die die Schirmherren des im Jahr 1871 gebildeten Verbandes der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften für das Großherzogtum Posen und Westpreußen (Związek Spółek Zarobkowych i Gospodarczych dla Wielkiego Księstwa Poznańskiego i Prus Zachodnich) waren. Im Jahr 1913 existierten im preußischen Teilungsgebiet 221 polnische Volksbanken mit 140 Tausend Mitgliedern.

Für die Bauern wurden Pfarrkreise gebildet. Die ersten von ihnen gründete im Jahr 1862 Julian Karasiewicz in Piaseczna in Westpreußen. Dieser wurde dann Vorbild für ähnliche Initiativen, auch in Posen. Die Schirmherrschaften über die Gesellschaften übernahmen die Gutsbesitzer und die Pfarrer, die bereits zur Zeit der Entstehung politischer Parteien, in gewissem Sinne das politische Reifen der Bauern hemmten. In der Provinz Posen war die schnelle Zunahme der Zahl der Kreise hauptsächlich der Verdienst ihres langjährigen Schirmherrn (bis 1901) Maksymilian Jackowski. Jeder der Kreise hatte 6-8 Versammlungen jährlich, an welchen 50-70% Mitglieder teilnahmen. Es wurden in ihnen hauptsächlich Themen berührt, die die Techniken des Ackerbaus, einer rationalen Viehzucht und der Schweinemast, landwirtschaftliche Buchführung, Gerichtsbarkeit, Imkerei u.ä. betrafen. Es wurden dort aber auch andere wichtige Fragen besprochen: die Erziehung der Kinder im nationalen und katholischen Geiste, die Wahlen zum preußischen Parlament usw. Zu Beginn des XX. Jh. existierte ein dichtes Netz an 395 landwirtschaftlichen Kreisen, denen etwa 14 500 Mitglieder angehörten. Die Teilnahme an ihnen lehrte die Organisationskultur sowie auch eine bestimmte Form öffentlicher Aktivität, und es war auch eine grundlegende Schule für ein umfassenderes Engagement der Bauern, denen Land übertragen wurde.

Einen Anreiz für die Gründung katholischer Arbeiter-Gesellschaften bildete die im Jahr 1891 durch den Papst Leo XIII. veröffentlichte Enzyklika Rerum novarum. In der Provinz Posen entstand zwar der erste Arbeiterverband erst im Jahr 1893 (bei der Pfarrei in Posen); allerdings entwickelte sich in den nächsten Jahren infolge eines großen Engagements der Geistlichkeit die katholische gesellschaftliche Bewegung hier sehr schnell. Schon im Jahr 1900 wurde der Verband der Katholischen Arbeitervereine (Związek Katolickich Towarzystw Robotników) gegründet, der 40 Vereine umfasste, und am Anfang des XX. Jh. kam noch ein weiterer beachtlicher Anstieg ihrer Zahl hinzu. Vor dem I. Weltkrieg (1913) gehörten dem Verband 276 Vereine an, denen etwa 31 Tausend Mitglieder angehörten. Die katholischen Vereine (oder die christlichen Arbeiter-Verbände) befassten sich hauptsächlich mit der Bekämpfung des Sozialismus und mit dem Propagieren beim Proletariat einer versöhnlichen Haltung gegenüber den Arbeitgebern, mit der Stärkung ihrer religiöser Überzeugungen und ihrer Bindung an die Kirche und mit der Ausübung der Erziehungstätigkeit unter den Arbeitern und ihrer Nachkommenschaft im national-katholischem Geiste, wovon noch die Rede sein wird.

Einen Massencharakter nahm mit der Zeit die nach dem Vorbild in Galizien gegründete Bewegung des „Falken“ („Sokół”) an. Der erste gymnasiale Kreis (Nest) des „Falken“ wurde im Jahr 1884 in Inowrocław gegründet. Die nächsten Neste entstanden langsam in anderen Städten Posens und Westpreußens, wobei es ihnen schwer fiel, Räumlichkeiten und Geräte für Übungen zu bekommen. Ihnen gehörten hauptsächlich junge Handwerker, kleinere Kaufleute, private Beamte und Arbeiter an. Im Jahr 1893 vereinigten sie sich zum Großpolnischen Verband der Falken (Związek Sokołów Wielkopolski), der zwei Jahre später zum Polnischen Verband der Falken (Związek Sokołów Polskich) im deutschen Staat umgestaltet wurde. Die Hauptrolle spielte darin die Verbandsabteilung (Wydział Związkowy), die geduldig und energisch seine Strukturen des Verbandes im Gebiet ausbaute und sich die einzelnen Neste unterordnete. Ein großes Tempo schlug die Entwicklung des Vereins nach 1904 ein, was sich im schnellen Zuwachs der Nester wiederspiegelte (von 90 auf 291 mit fast 12 Tausend Mitgliedern im Jahr 1913).

Durch eine ähnliche Dynamik zeichnete sich die Entwicklung der Gesangsvereine aus. Sie sind aus Kirchenchören, häuslichen Gesangskreisen, Gesangssektionen der Industrievereine und aus anderen Organisationen entstanden. Die ersten selbständigen Gesangsvereine sind Ende der sechziger Jahre entstanden (im Jahr 1867 „Cecylia“ in Thorn und im Jahr 1869 „Harmonia“ in Posen). Eine zahlenmäßig betrachtet schnellere Entwicklung der Gesangsvereine brachten dann die achtziger Jahre. Im Jahr 1892 haben die führenden Aktivisten auf einer Versammlung in Posen ein mehrfach vorgestelltes Projekt realisiert und den Verband der Polnischen Gesangskreise des Großherzogtums Posen (Związek Kół Śpiewaczych Polskich na Wielkie Księstwo Poznańskie) gegründet, dem 13 Chöre beitraten. Allerdings existierten schon im Jahr 1913 in Posen 123 Chöre, die sich oft auch mit anderen Formen der Kultur- und Bildungstätigkeit befassten. Ihre Mitglieder kamen hauptsächlich aus kleinbürgerlichen Kreisen, und weniger aus den Kreisen der Intelligenz und aus der bäuerlichen Schicht.

Die bildende Wirkung der Verbände und Vereine ergänzten die Volksbibliotheken, die mit großem finanziellem und organisatorischem Aufwand im gesamten preußischen Teilungsgebiet angelegt wurden. Die ersten Bibliotheken entstanden in Posen bereits in den vierziger Jahren des XIX. Jh., aber erst die im Jahr 1872 in Posen gegründete Gesellschaft für Volksbildung (Towarzystwo Oświaty Ludowej) fing an ihr Netz weiter auszubauen. Dank der Arbeit einer kleinen Gruppe von Aktivisten erzielte sie im Laufe von wenigen Jahren beachtliche Erfolge, sie versendete einige Tausende von Büchern und gründete mehr als 100 neue Pfarrbibliotheken. Im Jahr 1878 wurde die Gesellschaft durch die preußische Obrigkeit aufgelöst. Es sind jedoch zahlreiche Bibliotheken und erfahrene Aktivisten erhalten geblieben, die nach zwei Jahren (am 4. Oktober 1880) in einer Versammlung im Posener Hotel „Bazar“ eine neue Gesellschaft unter dem Namen Gesellschaft der Volksbüchereien (Towarzystwo Czytelni Ludowych) ins Leben gerufen haben. Diese entwickelte eine umfassende Tätigkeit, indem sie Dutzende von neuen Bibliotheken gründete und sie mit zahlreichen Ausgaben versorgte, und auch Handwerker, Bauern und Arbeiter als Bibliothekaren einstellte. Ende des Jahres 1906 waren in Posen 693 polnische Bibliotheken tätig. Es überwogen in ihnen Bücher religiös-moralischen Inhalts, Kalender, populäre Erzählungen für das Volk, Gesangsbücher usw.

Im Laufe der Zeit engagierten sich immer mehr Frauen für das Leben der polnischen Nation in den Gebieten unter preußischer Herrschaft. Aber erst Ende des XIX. Jh. entstanden dort erste polnische moderne Frauenvereine. Ende Mai 1894 gründeten etwa 50 Frauen aus Intelligenzkreisen und aus bürgerlichen Schichten in Posen einen Verein unter dem Namen „Warta“ (d.h. „Wache“), der – sich das Ziel setzte, eine ständige „Wache“ über die Bewahrung des Polentums unter den Kindern und Jugendlichen zu halten – und sich hauptsächlich mit deren privatem Unterrichten beschäftigte. Ein weiterer Anstieg der Zahl unterschiedlicher Frauenvereine fand in Posen ab dem Jahr 1900 statt. Unter den Großpolinnen entwickelte sich die Organisationsbewegung in zwei Richtungen. Die eine Richtung bildeten die Verbände, die Ziele im Bereich der Bildung, Erziehung und Kultur realisierten („Warta“, Frauenbibliotheken (Czytelnie dla Kobiet), Gesellschaft der Gutsbesitzerinnen (Towarzystwo Ziemianek), und die andere Richtung bildeten die beruflichen Selbsthilfeorganisationen, deren Hauptziel die Erledigung der beruflichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten im Einklang mit der gesellschaftlichen Ordnung war. Die Schirmherrschaft über diese Organisationen hatten die Pfarrer inne, und es gehörten ihnen hauptsächlich die Arbeiterinnen, Bäuerinnen, Verkäuferinnen usw. an. Im Jahr 1906 wurde der Verband der Katholischen Vereine der Arbeitenden Frauen (Związek Katolickich Stowarzyszeń Kobiet Pracujących) mit dem Sitz in Posen ins Leben gerufen, der schnell zu wachsen begann (im Jahr 1913 umfasste er 29 Frauenvereine).

Als die Zahl der polnischen Frauenverbände, die in den Gebieten unter preußischer Herrschaft tätig waren, zunahm, entstand der Gedanke der Gründung ihrer Föderation (eines Dachverbandes) nach dem Vorbild der zahlreichen männlichen Vereinigungen der Verbände. Nach der Bewältigung von zahlreichen Schwierigkeiten haben die Delegierten der großpolnischen, pommerschen und schlesischen Frauenverbände auf der Versammlung am 7. Februar 1909 in Posen die Vereinigung der Polnischen Frauengesellschaften des Deutschen Reiches (Zjednoczenie Polskich Kobiecych Towarzystw Oświatowych na Rzeszę Niemiecką) ins Leben gerufen. Es haben anfänglich nur 7 Verbände ihren Beitritt zu ihr erklärt, aber es folgten ihnen stufenweise weitere. Im Jahr 1913 gehörten ihr 30 Frauenorganisationen an (mit 3092 Mitgliederinnen), die in Posen, Westpreußen und im Exil in Deutschland tätig waren. Auf der Versammlung der Gründerinnen dominierten Ziele mit dringendem Charakter und die Bestrebungen der Delegierten der großpolnischen Verbände aus bürgerlichen und Intelligenzkreisen.

Im Laufe der Jahre wurde das Netzwerk der sich für die Wirtschaft, Bildung und den Beruf u.a. engagierenden Organisationen in Posen immer dichter, weitreichender und vielschichtiger (klassenübergreifender), und erfasste im immer höheren Maße alle Schichten der polnischen Bevölkerung: die Gutsbesitzer-Schicht, die Intelligenz, das Kleinbürgertum, die Landwirte und das städtische Proletariat. In vielen Städten und Städtchen funktionierten gleichzeitig mehrere oder sogar mehr als Dutzend polnische Verbände. Viele Einwohner dieser Zentren gehörten mehreren Verbänden gleichzeitig an und nahmen an den durch sie organisierten Versammlungen, Vorträgen, Weiterbildungskursen und an den Feierlichkeiten der nationalen Gedenktage teil usw. Die Reichweite dieser Organisationen und ihr Einflussbereich erweiterten sich systematisch, so dass diese polnische Bewegung zu Beginn des XX. Jh. eine hohe Stufe der Massenausbreitung erlangte, die damals eine der höchsten unter den nationalen Minderheiten auf dem europäischen Kontinent war. Die Zahl der am nationalen Leben teilnehmenden Personen lässt sich allerdings nur schwer bestimmen, zumal die bisherigen Informationen über die Größe der einzelnen Organisationen nicht nur ein Jahr, sondern unterschiedliche Jahre betreffen, zwischen welchen oft ein großer zeitlicher Abstand liegt. Marian Seyda – der Redakteur des vielgelesenen „Kurier Poznański” („Posener Kurier“) – hat die Zahl der sich vor dem I. Weltkrieg für die Bewegung der Verteidigung der polnischen Nationalität engagierenden Personen auf etwa 140 Tausend geschätzt.

Die Mehrzahl der polnischen Organisationen hatte – wie aus den obigen Erwägungen resultiert – ein bestimmtes gesellschaftliches Profil. Sie dienten jedoch vor allem der weit verstandenen nationalen Erziehung. Anders ausgedrückt, sie befassten sich hauptsächlich mit der Verbreitung der Bildung, mit der Organisation des geselligen Lebens, mit der Pflege der polnischen Sprache, mit dem Propagieren des Wissens über die Geschichte der polnischen Nation und über die polnische Kultur, und weniger mit wirtschaftlicher oder beruflicher Tätigkeit. In den Industrievereinen wurde die Lehre der beruflichen Fortbildung mit der allgemeinen Weiterbildung auf den Gebieten Geschichte, Kultur und nationale Pflichten verbunden. Es wurde auch das vorbildliche Modell eines polnischen Kaufmannes und Kleinunternehmers propagiert, der kompetent in seinem Beruf, ehrlich gegenüber seinen Kunden und seiner Konkurrenz ist, der seine Kinder und seine Unterstellten im nationalen Geiste erzieht, der polnische Zeitungen abonniert, in Vereinen tätig ist und aktiv die polnischen national-kulturellen Bedürfnisse unterstützt. Die Bauernkreise beschäftigten sich mit der Ankurbelung des landwirtschaftlichen Fortschritts im Dorf, übernahmen aber auch erzieherische und nationale Aufgaben. In ihren allmonatlichen Versammlungen, Vorträgen und Gesprächsrunden wurde die vielfältige Problematik im Bereich der Erziehung der Nachkommenschaft, des Kultivierens des Liedes und der Volksbräuche, der guten nachbarschaftlichen Verhältnisse usw. berücksichtigt. Es wurde gelehrt, dass ein guter Landwirt seine Kinder im nationalen Geiste erziehen, vorbildlich leben, die polnischen Volksbräuche pflegen, die polnische Zeitung abonnieren und die populären Geschichts- und Heimatkundebücher lesen, sich an den Spenden für nationale Ziele beteiligen und die polnischen Kandidaten für den preußischen Landtag und das deutsche Parlament wählen soll.

Bei der Verbreitung des polnischen Nationalbewusstseins spielten auch die katholischen Arbeitergesellschaften eine wichtige Rolle. Es waren keine typischen Berufsverbände, sondern vielmehr Organisationen, die der katholisch-nationalen Erziehung ihrer Mitglieder dienten. In den Zeitschriften und bei Versammlungen rief man den Arbeitern ständig ins Gedächtnis, dass das eigene Heim und die Familie die einzige Schule für die polnischen Kinder ist, so dass sie also ihrer Nachkommenschaft das Lesen und Schreiben in polnischer Sprache beibringen sollten.

Die nationale Tätigkeit der Arbeiterverbände wurde mit Unbehagen durch die preußische Obrigkeit beobachtet. In einem der Polizeiberichte (vom 10. Januar 1906) wurde die Rolle des Verbandes der Katholischen Arbeitervereine (Związek Katolickich Towarzystw Robotniczych) und seiner Kreise eingeschätzt: „[…] sie alle haben ein gemeinsames Ziel, die Erhaltung des polnischen Nationalbewusstseins ihrer Mitglieder. Sie sollen es durch die Pflege der polnischen Sprache, der polnischen Lieder, Gebräuche, durch das Kennenlernen der Geschichte der polnischen Nation und durch die Wahrung der nationalen Traditionen erreichen. Wenn in ihren Satzungen die Rede von Vorträgen ist, dann geht es dabei um die Aufklärung durch die polnische Lektüre und polnische Vorträge. Soziale Fragestellungen haben für sie eine zweitrangige Bedeutung, sie werden nur in der Propaganda eingesetzt, um neue Mitglieder aufzunehmen“.

Die Erziehung unter den Mitgliedern eines „wahrhaft bürgerlichen, nationalen Geistes, der in jedem Moment zur größten Aufopferungsbereitschaft bereit ist“ haben sich auch die Nester des „Falken“ („Sokół”) gesetzt. Nach der Ansicht von Witold Jakóbczyk, „überwogen“ in ihnen die Formen der kulturellen Tätigkeit die Gymnastikübungen. In den geselligen abendlichen Treffen wurden Lieder gesungen und patriotische Gedichte vorgetragen, und man organisierte die Feier der nationalen Gedenktage. Im Rahmen der sog. höheren Kurse wurden die jungen Kaufmänner, Handwerker und Arbeiter im Bereich der Literatur, Geschichte und Heimatkunde weitergebildet. Die Gesangsvereine beschränkten sich nicht nur auf das Realisieren von Konzerten, Amateurvorführungen und öffentlicher festlicher Veranstaltungen. Sie befassten sich auch mit der Erweiterung der polnischen Kultur, mit dem Unterrichten polnischer Sprache, mit der Organisation von Vorträgen über die polnische Geschichte, Literatur und Musik; und zu guter Letzt nahmen sie an den Feierlichkeiten historischer Gedenktage in den Städten und Städtchen teil, die durch andere Verbände organisiert wurden. Die Treffen der Gesangskreise aus dem gesamten Teilungsgebiet waren ein Ausdruck des Patriotismus, der das nationale Bewusstsein unter den Massen stärkte. Das letzte solche Treffen vor dem I. Weltkrieg, das in Posen (am 28.-29. Juni 1914) organisiert wurde, versammelte etwa 4 Tausend Teilnehmer. Der Höhepunkt seines reichen Programms war das Konzert der patriotischen Lieder in der Ausführung eines Mischchors, in dem fast 3100 Sänger aufgetreten sind.

In Anbetracht des Obigen kann gesagt werden, dass das in den Jahren vor dem Ausbruch des I. Weltkrieges stark ausgebaute System der polnischen Organisationen eine Krönung der Vereinsidee war, die durch die Anhänger der organischen Arbeit der vierziger Jahre des XIX. Jh. propagiert wurde. Es wurde in ihnen ein breit angelegter Prozess der Bildung und Aufklärung der Mittelschicht, und dann auch der Bauern und der Arbeiter realisiert. Eine große Rolle spielten dabei sicherlich auch die Zeitungen und Zeitschriften, die nationalen Feiertage und Kundgebungen, über die zu sprechen, den Rahmen des vorliegenden Artikels sprengen würde. Die unterschiedlichen Vereine und Verbände hatten allerdings eine Schlüsselfunktion inne. So wurde in den durch sie organisierten Versammlungen, Treffen usw. zum Lesen polnischer Zeitungen und zum Spenden für nationale Ziele angeregt, und es wurde zur Teilnahme an Wahlen und Kundgebungen aufgefordert. Man kann auch sagen, dass die organischen Arbeiten eine entscheidende Rolle beim Ausbau und bei der Aufrechterhaltung des nationalen Bewusstseins in der Gesellschaft spielten. In den Jahren am Vorabend des Ausbruches des I. Weltkrieges war dieses Bewusstsein in der Mehrzahl der polnischen Bevölkerung in Posen präsent. Es würde schwer fallen, ohne sie die zahlreiche Beteiligung der polnischen Gesellschaft, darunter auch der Kleinbürger, Bauern und Arbeiter an dem Großpolnischen Aufstand 1918-1919 vorzustellen, der nicht nur ein siegreicher Aufstand, sondern zugleich auch der „volkstümlichste“ und demokratischste von allen polnischen nationalen Aufständen war.