Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

Gesellschaftliche und nationale Struktur Großpolens am Vorabend des Großen Krieges

Tadeusz Janicki

Die großpolnische Gesellschaft hatte „am Vorabend des Großen Krieges“ eine ausgebaute, hierarchische Struktur, sowohl in gesellschaftlicher als auch in nationaler Hinsicht. An ihrer Spitze standen die Gutsbesitzer und die weniger zahlreiche, in der Regel deutsche und jüdische Bourgeoisie. Die nächste Stufe in der Hierarchie nahmen dann die Intelligenz, das Kleinbürgertum und die reichen Bauern ein, und auf der niedrigsten Stufe standen die kleinen Landwirte und die besonders zahlreichen Gruppen der Landwirtschafts- und Industriearbeiter.

Die obige Struktur resultierte aus der feudalen Vergangenheit, fortschreitender Industrialisierung und aus den Modernisierungsprozessen, die mit der Entwicklung der Massenbildung und -Kultur verbunden waren. Sie wurde auch durch die natürlichen Bevölkerungsbewegungen und Migrationsbewegungen der Bevölkerung und durch die Germanisierungspolitik der preußischen Teilungsmacht sowie durch die durch Polen unternommenen bewaffneten Aktionen beeinflusst1.

Trotz der fortschreitenden Modernisierungsprozesse entschied überwiegend immer noch die Geburt über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe und über die gesellschaftliche Position. In den letzten Dekaden vor dem Kriegsausbruch wurde das Phänomen der gesellschaftlichen Mobilität immer auffälliger, betraf aber besonders die mittleren und niedrigeren Sprossen der gesellschaftlichen Leiter. Im Endeffekt traten am Anfang des XX. Jahrhunderts in Großpolen immer noch tiefe soziale Gegensätze auf, und die einzelnen Gruppen unterschieden sich voneinander durch ihre rechtliche Position, ihren Wohlstand, die von ihnen übernommenen Funktionen, durch Lebensstil und sogar durch Kleidung.

Einer der wenigen Faktoren mit einem gruppenübergreifenden Charakter war der Glaube: katholischer Glaube im Falle der Polen, evangelischer Glaube im Falle der Deutschen und mosaischer Glaube in Bezug auf Juden. Trotz der fortschreitenden Urbanisierung lebte die Mehrzahl der Polen auf dem Lande oder in kleineren Städten.

 

Die Bevölkerungszahl – natürliche Bevölkerungsbewegung und Migrationsbewegung

 

Während des ganzen sog. langen XIX. Jahrhunderts stieg die Zahl der Einwohner im Großherzogtum Posen systematisch. In den Jahren 1890-1910 erreichte der natürliche Zuwachs die höchste Stufe und belief sich auf 35 bis zu 40 Tausend jährlich. Das resultierte aus der hohen Geburtenrate, die bis 1910 40 % jährlich überschritt, und aus der systematischen Senkung der Sterberate, die im Jahr 1875 – 31 %, und im Jahr 1911 nur noch 19,9 % betrug. Die bedeutende Senkung der Sterberate war das Resultat der gesellschaftlichen und zivilisatorischen Veränderungen, die zu besserer Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und zum beachtlichen Fortschritt auf dem Gebiet der Bildung, Hygiene und des medizinischen Wissens führten. Infolgedessen trat in Großpolen auch eine systematische Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung ein.

Abgesehen von dem natürlichen Zuwachs hing die Bevölkerungszahl Großpolens von dem Saldo der inneren Migrationsbewegungen ab, welcher Ende XIX. Anfang XX. Jh. (ähnlich wie im gesamten XIX. Jh.) negativ war. Unter den nach Großpolen Einreisenden überwogen die Deutschen, insbesondere die Militärs, Beamten, Kaufmänner, Bankiers, Handwerker, Landwirte und nur im geringen Umfang die Arbeiter. Die Zahl der anderen nach Großpolen einreisenden ethnischen Gruppen, darunter insbesondere der Juden und Polen aus den anderen Teilungsgebieten, war in der zweiten Hälfte des XIX. Jh. verhältnismäßig gering.

Das zweite Phänomen, welches über den Zustand des Saldos der äußeren Migrationsbewegungen entschied, war die Auswanderung aus Großpolen, die in den letzten Jahrzehnten des XIX. Jh. an Bedeutung gewann. Sie betraf alle in Großpolen lebenden ethnischen Gruppen, wobei angesichts der nationalen Struktur dieser Region die zahlreichste Gruppe unter den Auswandernden die Polen bildeten. Die Hauptursache der Emigration waren wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren, darunter insbesondere die Überbevölkerung der Dörfer, Armut, Hungersnot oder fehlende Perspektiven, eine Arbeit vor Ort zu finden und wirtschaftliche Selbständigkeit zu erreichen. Die Emigration und die Arbeit außerhalb der Landwirtschaft brachten hingegen höheres Einkommen ein und erlaubten es, einen höheren gesellschaftlichen Status zu erlangen. Die Einwohner Großpolens wanderten in der Suche nach Arbeit und besserem Leben in die Tiefe des Deutschen Reiches aus (insbesondere nach Rheinland und Westfalen, wo sich schnell die Industrialisierung vollzog) oder sie entschieden sich für eine überseeische Emigration, wobei Nordamerika ihr Hauptziel war.

Mit den Migrationsbewegungen waren negative und positive wirtschaftliche und gesellschaftliche Phänomene verbunden. Einerseits beraubte die Verdienst-Emigration die polnische Gesellschaft junger, dynamischer und unternehmerischer Leute, die auf der Suche nach besserem Leben Großpolen verließen, sehr oft entgegen der Antiemigrationspropaganda der polnischen Presse. Andererseits wurde das in Westdeutschland und in Amerika verdiente Geld in Großpolen ausgegeben und investiert, was wiederum zur Belebung seiner Wirtschaft beitrug. Außerdem konnten sich die im Westen lebenden und arbeitenden Emigranten mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen bekannt machen, die sich von den großpolnischen unterschieden, und ihre Teilnahme an dem Gewerkschaftsleben und an den Streiks bildete ihr Klassenbewusstsein aus. Viele von ihnen kehrten nach gewisser Zeit wieder nach Großpolen zurück, was dank ihrem erworbenen Wissen und dem neuen Bewusstsein zu einem wichtigen Faktor der Emanzipation der Kleinbauer und landwirtschaftlicher Arbeiter wurde und zur Demokratisierung der sozialen Verhältnisse auf dem Land und in der Stadt führte.

In den Jahren 1871-1913 haben ca. 440 Tausend Polen Großpolen verlassen, die sich hauptsächlich in Rheinland und in Westfalen niederließen. Im Jahr 1913 hielten sich in den besagten Regionen 105 Tausend Polen auf, und in der Hauptstadt Deutschlands – 80 Tausend. In demselben Zeitraum wanderten aus Großpolen auch Juden und Deutsche aus, obwohl sich die preußische Obrigkeit sich darum bemühte, den Abgang dieser letzten aufzuhalten, zumal dies den Zielen ihrer nationalen Politik in der Provinz Posen widersprach.

Der negative Saldo der inneren Migrationsbewegungen in den Jahren 1871-1913 war jedoch entschieden kleiner als der früher erwähnte natürliche Zuwachs. Im Endeffekt wuchs die Bevölkerungszahl in Großpolen von 1,6 Millionen im Jahr 1875 auf 2,1 Millionen im Jahr 1910 an.

 

Territoriale Struktur

 

Zu Beginn des XX. Jh. lebte die überwiegende Mehrheit der Einwohner Großpolens auf dem Lande. Allerdings reduzierte sich infolge der äußeren und inneren Migrationen der Prozentsatz der Dorfeinwohner von 71 % im Jahr 1890 auf 65,6 % im Jahr 1910; sie dominierten jedoch nach in der den Wohnort betreffenden Struktur. Die für viele Gebiete des Deutschen Reiches charakteristischen Urbanisierungsprozesse in Großpolen sind wegen der schwachen Industrieentwicklung nur in sehr eingeschränktem Umfang aufgetreten. Zwar stieg in den Jahren 1890-1910 das Tempo des Zuwachses der städtischen Bevölkerung systematisch an, das führte aber nicht zur Entstehung großer Städte. Die einzige Stadt, die über 100 Tausend Einwohner zählte war Posen, in dem die Zahl der Zivilbevölkerung von 73 Tausend im Jahr 1898 auf 110 Tausend im Jahr 1901 und auf 157 Tausend im Jahr 1910 anstieg, was größtenteils mit der Liquidation der Festung Posen und einer wesentlichen Vergrößerung des Stadtgebietes verbunden war. Die zweitgrößte Stadt, was die Einwohnerzahl angeht, war Bydgoszcz (Bromberg), die im Jahr 1910 nur 58 Tausend Personen zählte. Die restlichen Städte hatten von ein paar Tausend bis über zehntausend Einwohner, wobei u.a. Inowrocław, Krotoszyn, Ostrów Wlkp. und Rawicz über 10 tausend Einwohner zählten. Gleichzeitig registrierten ganze 31 großpolnische Städte in den Jahren 1895-1910 eine Senkung der Einwohnerzahl.

 

Berufliche Struktur

 

Die Industrielle Revolution des XIX. Jh. hat eine Reihe von Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur hervorgerufen und führte zur Entstehung einer neuen Gesellschaftsform, die als industrielle bezeichnet wurde, und die sich durch eine Senkung der Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft und den Anstieg der Beschäftigung in der Industrie, sowie durch die Erscheinung der Arbeiterklasse (des Proletariats), Urbanisierung und durch einen großen Anstieg der räumlichen und gesellschaftlichen Mobilität auszeichnete. Allerdings traten die für die westlichen Regionen des Deutschen Reiches charakteristischen Industrialisierungsprozesse nur in geringem Maße in Großpolen auf. In der beruflichen Struktur dieser Region dominierten immer noch die in der Landwirtschaft beschäftigten Personen, deren Zahl stieg, obwohl ihr Prozentsatz im Verhältnis zur Gesamtheit der Beschäftigten systematisch abnahm – von 64,1 % im Jahr 1882 bis 57,7 % im Jahr 1895 und 56 % im Jahr 1907.

Die Dominanz der Landwirtschaft in der Wirtschaft Großpolens resultierte aus den vor Ort fehlenden grundlegenden Rohstoffen der industriellen Epoche, darunter insbesondere der Steinkohle, aus der peripheren Lage der Provinz Posen, aus der schwach entwickelten Transportinfrastruktur und der langsamen Entwicklung der Städte.

Von der restlichen im Jahr 1907 beruflich tätigen Bevölkerung arbeiteten 8,5 % in der Industrie, im Handwerk und im Bausektor, 7,1 % im Handel, im Transport und in der Gastronomie, 5,8 % in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitsdienst und in freien Berufen, 1,4 % als Hausbedienstete, und zur Kategorie „kein Beruf und nicht näher bestimmter Beruf“ wurden 10,6 % gerechnet.

 

Gesellschaftliche Struktur

An der Spitze der großpolnischen gesellschaftlichen Hierarchie standen die Aristokratie und der Adel, die unter dem Einfluss der Agrarreformen und der Verbreitung der kapitalistischen Produktionsmethoden in der Landwirtschaft sich allmählich zu Gutsbesitzern umgestalteten. Leider führten die Verschuldung aus der Zeit der I. Rzeczpospolita, des Herzogtums Warschau, die regelmäßig sich wiederholenden wirtschaftlichen Krisen, die Unfähigkeit in den neuen Bedingungen zu wirtschaften und das oft angetroffene Leben über seine Verhältnisse zum Verlust der Landgüter und zur gesellschaftlichen Degradierung. Infolge dessen reduzierte sich die Zahl der Gutsbesitzer. Die obige Tendenz konnte ein geringer Zufluss von Personen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen, die im besagten Zeitraum zu Besitzern der Landgüter wurden, auch nicht ändern. Im Jahr 1907 belief sich die Zahl der beruflich aktiven Besitzer, Pächter und Verwalter der Landgüter auf 4108 Personen.

Zusammen mit den beruflich passiven Familienmitgliedern wird die Zahl der Gutsbesitzer in diesem Zeitraum auf ca. 10 Tausend Personen geschätzt. Bis zu den 70er Jahren des XIX. Jh. waren die Gutsbesitzer zahlenmäßig im Vorteil gegenüber den großen deutschen Gutsbesitzern. Allerdings kehrte sich das obige Verhältnis infolge eines unsachgemäßen Wirtschaftens und der Tätigkeit der Komisja Kolonizacyjna, sog. Ansiedlungskommission („Königlich Preußische Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen“) um, so dass im Jahr 1885 von den 1659 Gutsbesitzern in Großpolen ganze 1010 (60,9%) Deutsche und nur 649 (39,1%) Polen waren.

Trotz ihrer geringen Zahl bildeten die polnischen Gutsbesitzer in historischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht die Elite der großpolnischen Gesellschaft. Die für die Landwirtschaft ungünstige Marktsituation in der ersten Hälfte des XIX. Jh. und die Politik der Teilungsmächte ließen einen Modernisierungszwang aufkommen, und zwar als unerlässliche Bedingung für das Überleben der polnischen Landgüter. Nach dem Vorbild von Dezydery Chłapowski stieg systematisch die Zahl der modern wirtschaftenden Gutsbesitzer, die in ihrer Bemühung um die Erhaltung ihrer Besitztümer diese modernisierten und ihren Ertrag steigerten, und die Finanzüberschüsse in die Industrie und in Bankinstitutionen investierten.

In der zweiten Hälfte des XIX. Jh. initiierten und finanzierten die Gutsbesitzer zum Schutz des polnischen Besitzstandes und der Kultur sowie zur Aufrechterhaltung des Status der führenden Elite der polnischen Gesellschaft die Entstehung unterschiedlicher kultureller, wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Institutionen und nahmen leitende Positionen in der nationalen Bewegung ein. U.a. übte ein Teil der Gutsbesitzer im Rahmen ihres Kampfes um „rząd dusz” (d.h. die „Herrschaft über die Seelen“) der polnischen Bauern in der Dorfbevölkerung Bildungstätigkeit aus, bewarben die Anwendung der modernen Methoden des Wirtschaftens, und seit dem Ende der 60er Jahre des XIX. Jh. unterstützten sie die Erschaffung landwirtschaftlicher Kreise, in denen sie oft den Vorsitz übernahmen. Indem die Gutsbesitzer mit den Bauern zusammenarbeiteten, trugen sie nicht nur zur wirtschaftlichen Modernisierung des Dorfes und zur Entwicklung des nationalen Bewusstseins, darunter im gesellschaftlichen Umfeld, bei, sondern realisierten auch in der Praxis die Idee der gesellschaftlichen Solidarität, die zum eigentümlichen großpolnischen Phänomen wurde.

Im Endeffekt erfreuten sich die Gutsbesitzer großer gesellschaftlicher Autorität und engagierten sich gemeinsam mit einem Teil der Intelligenz, der Geistlichkeit und des gebildeten Bauerntums für den Schutz des polnischen Besitzstandes und die Entwicklung der polnischen Kultur unter preußischer Herrschaft.

 

Bourgeoisie

 

In Anbetracht des landwirtschaftlichen Charakters der Provinz und der schwachen Fortschritte in der Industrialisierung und Urbanisierung war die Gruppe der Kapitalbesitzer und selbständiger Unternehmer, die Betriebe mit kapitalistischem Charakter leiteten, die als Bourgeoisie bezeichnet wurde, in Großpolen nicht zahlreich und sehr differenziert, was ihre innere Struktur angeht. Weil in der Provinz Posen die Hauptquelle des Kapitals ein großer Landbesitz war, so überschritten die Gutsbesitzer oft die durch die Tradition festgelegten Rahmen des Wirtschaftens und übernahmen die Rolle der Bourgeoisie, indem sie in die Industrie und das Bankwesen investierten. Allerdings auch dann, als die Einnahmen aus der nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit ihre Gewinne aus der Landwirtschaft überschritten, identifizierten sie sich in gesellschaftlicher Hinsicht immer noch mit dem Gutsbesitzer-Stand.

Neben den Gutsbesitzern dominierten in einer kleinen Großunternehmer-Gruppe die Deutschen und die Juden, die oft nicht aus Großpolen stammten. Allerdings stiegen um die Jahrhundertwende immer öfter die dynamischeren Handwerker und Kaufleute polnischer Nationalität zu der Gruppe der Bourgeoisie auf, die wirtschaftlichen Erfolg genossen und es geschafft haben, ihre Firmen auszubauen.

In diesem Zeitraum stieg infolge der sich verbessernden wirtschaftlichen Konjunktur, der demografischen Entwicklung und der Urbanisierung die Zahl der Besitzer und Leiter der Betriebe, die mehr als 5 Personen beschäftigten von 1346 im Jahr 1882 bis zu 3944 im Jahr 1907. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder dieser Gruppe bildeten die Besitzer der Betriebe, die maximal bis zu 200 Personen beschäftigten, und die Eigentümer der größten Betriebe bildeten weniger als 1 % der ganzen Gruppe. Trotz der allgemeinen Schwäche dieser gesellschaftlichen Gruppe in Großpolen verdient ein Teil der polnischen Bourgeoisie eine positive Bewertung, zumal sie dank dem eigenen Unternehmertum und der Unterstützung durch das Kapital der Gutsbesitzer und der Genossenschaften den Konkurrenzkampf gewannen und ihre Besitzstand vergrößerten, indem sie u.a. die durch die Deutschen und Juden verlassenen Unternehmen übernahmen. Allerdings blieben sie immer noch in der Minderheit, zumal im Jahr 1911 unter den 423 größten Industrieunternehmen Posens ganze 270 (63,8%) den Deutschen gehörten, und nur 133 (31,4%) gehörten den Polen.

 

Kleinbürgertum

 

Eine weitere Gruppe in der gesellschaftlichen Hierarchie Großpolens war das Kleibürgertum, welches hauptsächlich aus Handwerkern und Kaufleuten bestand, deren Dienstleistungen auf die lokale Landwirtschaft und eine verhältnismäßig geringe Zahl der Stadtbevölkerung ausgerichtet waren. In der ersten Hälfte des XIX. Jh. überwogen in der obigen Gruppe zahlenmäßig und eigentumsmäßig die Deutschen und die Juden, und die Polen stellten ihren ärmeren und zahlenmäßig kleineren Teil dar. Im Zusammenhang damit war einer der Ziele der durch Karol Marcinkowski initiierten organischen Arbeit die Erschaffung des polnischen Kleinbürgertums.

Wegen der Prozesse der Industrialisierung und der für sie charakteristischen Massenproduktion und Vertriebsart wurde die wirtschaftliche Position des Handwerks zunehmend schwächer, und die Zahl der beruflich tätigen Handwerker sank in Großpolen von 42 Tausend im Jahr 1882 bis zu 38 Tausend im Jahr 1907. Außerdem mussten sich viele von ihnen umschulen lassen oder sich auf die Dienstleistungstätigkeit konzentrieren. Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, der stufenweise Anstieg der Kaufkraft der Gesellschaft und die sich vertiefende gesellschaftliche Arbeitsteilung hatten aber wiederum einen günstigen Einfluss auf die Entwicklung des Handels, der Gastronomie, des Hotelwesens, der Finanzinstitutionen und der Transport- und Kommunikationsdienstleistungen. In diesen Sektoren stieg die Zahl der beruflich tätigen Kleinunternehmer von 16,5 Tausend im Jahr 1882 auf 18 Tausend im Jahr 1907 an.

Im Endeffekt veränderte sich in den Jahren 1895-1907 die Gesamtzahl des Kleinbürgertums in Großpolen nur sehr geringfügig und betrug ca. 56 Tausend. Allerdings sank vor dem Hintergrund der zahlenmäßig zunehmenden Arbeiter- und Angestellten-Gruppe deutlich der Prozentsatz der Kaufleute und Handwerker in der Gesamtheit der Beschäftigten.

Gleichzeitig fanden um die Jahrhundertwende in dieser gesellschaftlichen Gruppe Veränderungen statt, die vorteilhaft für die Polen waren und ihre nationale Struktur betrafen. Die Städteentwicklung, der zunehmende gesellschaftliche Wohlstand und die durch die Gründer der organischen Arbeit eingeleiteten Maßnahmen zur Unterstützung des polnischen Handwerks, Handels und der Genossenschaften brachten positive Effekte und bewirkten, dass die Zahl der polnischen Handwerkswerkstätten und Handelsfilialen anstieg, die zu Beginn des XX. Jh. erfolgreich mit dem deutschen und jüdischen Kleinbürgertum konkurrierten. Vor dem Hintergrund anderer Teilungsgebiete kann man es als positiv bewerten, wobei es aber, was die wirtschaftliche Kraft und die Organisationsstufe angeht, nicht das Genossenschaftswesen erreichte, welches in Großpolen eine außerordentliche Position einnahm. Im Jahr 1910 gehörten nur zum Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Związek Spółek Zarobkowych i Gospodarczych) im Großherzogtum Posen und in Westpreußen 248 Genossenschaften, denen insgesamt 116 Tausend Mitglieder angehörten.

 

Die Bauern

 

Auf dem Lande übernahmen die reichen Bauern als Eigentümer der Arbeitsstätten, in denen fest angestellte Arbeiter und Gelegenheitsarbeiter und gleichzeitig Personen, die selbständige Erwerbsarbeit ausübten, beschäftigt wurden, eine ähnliche Rolle wie das städtische Kleinbürgertum. Im Jahr 1907 belief sich die Zahl der Grundbesitzer mit landwirtschaftlichen Flächen von 10 bis 100 ha verfügten, auf 37,2 tausend Personen, was 40 % ihrer Gesamtzahl bildete. In den Jahren 1895-1907 stieg infolge der Käufe der Familiengrundstücke die Zahl der Grundbesitzer mit landwirtschaftlichen Flächen von 10-20 ha um 26,2 % an, und die Zahl der Grundbesitzer mit landwirtschaftlichen Flächen von 50-100 ha nur um 2,2 %. Zur gleichen Zeit ging die Zahl der Grundbesitzer mit den größten landwirtschaftlichen Flächen von 50-100 ha um 143 Personen zurück. Die reichen Bauern dominierten in den ländlichen Gemeinschaften, sowohl in wirtschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht.

Neben den reichen Bauern traten in der ländlichen Struktur zahlreiche mittelgroße Bauern und Kleinbauern auf, die im Besitz einer landwirtschaftlichen Fläche von weniger als 1 ha bis 10 ha waren. Im Jahr 1907 gab es ca. 164 Tausend Landwirtschaften dieser Art in Großpolen. Die oben genannten Grundbesitzer beschäftigten keine Arbeitskräfte/Lohnarbeiter, sondern suchten oft selbst nach zusätzlichen Verdienstquellen, indem sie oft als Landarbeiter auf den Landgütern arbeiteten. Um die Jahrhundertwende stieg infolge der Bestimmung der Gelder, die aus nichtlandwirtschaftlichen Quellen stammten (oft aus der Arbeit mit Migrationshintergrund) für den Kauf des Bodens die Zahl der kleinen Landwirtschaften rasant an, insbesondere in der Gruppe der Landwirtschaften von 3 bis 5 ha, deren Zahl in den Jahren 1895-1907 von 8,8 Tausend auf 15 Tausend anstieg, und in der Gruppe 5-10 ha, in der die Zahl der Landwirtschaften zu derselben Zeit um 4,6 Tausend anstieg. Im Endeffekt stieg die Zahl der kleinen und mittelgroßen Grundbesitzer an, die um ihre Familien zu erhalten oft genötigt waren, nach zusätzlichen Verdienstquellen zu suchen.

 

Intelligenz

 

Eine besondere Stelle in der gesellschaftlichen Struktur nahm die in Großpolen zahlenmäßig geringe Gruppe der Intelligenz ein, deren Bedeutung nicht aus dem Besitz, sondern aus ihrer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Rolle resultierte. Aus formalrechtlichen Gründen wurden die Mitglieder der obigen Gruppe in den statistischen Aufstellungen als Angestellte bezeichnet. 

Das war eine ausgesprochen weite Kategorie, die einerseits die einfachen Kanzlisten, Sekretärinnen und andererseits hohe Beamte, Manager, Journalisten, Künstler und Geistliche umfasste. Aufgrund des oben Gesagten trennte die einzelnen Kategorien der zur Intelligenz gerechneten Personen ein riesiger wirtschaftlicher Gegensatz und fast unüberbrückbare gesellschaftliche Barrieren. In quantitativer Hinsicht durchlebte die Intelligenz in Großpolen um die Jahrhundertwende eine dynamische Entwicklung von 34 Tausend im Jahr 1895 bis zu 45 Tausend im Jahr 1907. In der Gruppe der Intelligenz dominierten in zahlenmäßiger Hinsicht die Beamten der niedrigeren Ränge, und die Vertreter der Intelligenz, die mindestens über einen Sekundarschulabschluss verfügten und die Künstler bildeten als Intelligenz dagegen eine eher kleine Gruppe. Eine besondere Rolle spielten die verhältnismäßig zahlreichen Lehrer, die jedoch im Dienst des preußischen Staates blieben und dessen Germanisierungsziele verwirklichten, die grundsätzlich den Interessen der Polen widersprachen.

 

Allerdings wird in einem Teil der historischen Abhandlungen das formalrechtliche Kriterium hinterfragt, und es werden nur diejenigen Personen als Intelligenz angesehen, die sich von geistiger Arbeit erhalten, die zumindest einen Sekundarschulabschluss erforderlich macht. Nach der Anwendung der obigen Definition würde die Zahl der zu dieser gesellschaftlichen Gruppe gehörenden Personen in Großpolen um einige Tausende gesenkt werden, wovon die polnische Intelligenz vor dem Kriegsausbruch nur 1400 Personen zählte, darunter 750 Pfarrer, 200 Ärzte, 70 Rechtsanwälte, 50 Apotheker, 40 Journalisten, 30 Künstler und 50 Architekten und Ingenieure.

Wenn man das formalrechtliche Kriterium anwendet, kann man feststellen, dass parallel zur Zunahme der Angestellten auch der Prozentsatz der zu ihnen gehörenden Frauen anstieg, der im Jahr 1907 die Stufe von ca. 14% erreichte. Die zunehmende Beschäftigung der Frauen als Angestellter war das Resultat der diese Gruppe erfassenden Emanzipationsprozesse, während noch um 1870 die Frauen zur körperlichen Arbeit Zugang hatten und alle Stellen mit geistigem Charakter für die Männer reserviert waren. Sie besaßen allerdings keinen Sekundarabschluss und schon gar keinen Hochschulabschluss, weshalb sie nach der obigen Definition, die das Kriterium der Ausbildung akzentuierte, nicht zur Intelligenz gehörten.

Infolgedessen war die Intelligenz in Großpolen nicht zahlreich, stellte aber neben dem Gutsbesitzer-Stand die Hauptkraft, die zivilisatorische und gesellschaftliche Veränderungen initiierte und kulturelle Werte setzte.

 

Die Arbeiter

 

Die unterste Stufe in der gesellschaftlichen Hierarchie Großpolens nahmen die Arbeiter ein, die gleichzeitig die stärkste gesellschaftliche Gruppe bildeten. In der preußischen Statistik umfasste der Begriff Arbeiter die Lohnarbeiter und als eine gesonderte Kategorie die helfenden Familienmitglieder.

In Großpolen dominierten während des ganzen XIX. Jh. zahlenmäßig die Landarbeiter, deren Zahl zusammen mit den helfenden Familienmitgliedern sich im Jahr 1907 auf ganze 392 tausend Personen belief (darunter 225 tausend Lohnarbeiter). Diese große Zahl der Landarbeiter resultierte aus dem kapitalistischen Charakter der landwirtschaftlichen Produktion in Großpolen und war entschieden höher als in den übrigen Teilungsgebieten. Seit den 80er Jahren des XIX. Jh. sank ihre Zahl systematisch unter dem Einfluss der Erscheinung alternativer und finanziell vorteilhafterer und angesehenerer Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft. Zugleich war zu Beginn des XX. Jh. in der Landwirtschaft die Tendenz, anstelle der festen Arbeiter, Saisonarbeiter zusammen mit deren Familienmitgliedern, die oft aus dem Ausland beschaffen wurden, zu beschäftigen immer deutlicher zu erkennen.

Um die Jahrhundertwende führte die langsame, aber systematische Entwicklung der Industrialisierung und Urbanisierung zur Entstehung neuer Arbeitsstellen in den nichtlandwirtschaftlichen Bereichen der Wirtschaft, die oft durch Personen angenommen wurden, die aus Gründen der Arbeitssuche von den Landgütern, Dörfern und kleinen Städten in die größeren städtischen Zentren migrierten. Infolgedessen ging die Zahl der Landarbeiter in Großpolen systematisch zurück (von 246 Tausend im Jahr 1895 bis zu 225 Tausend im Jahr 1907), und die Zahl der Arbeiter in nichtlandwirtschaftlichen Wirtschaftszweigen stieg von 149 Tausend im Jahr 1895 auf 187 Tausend im Jahr 1907 an, und erreichte direkt vor dem Kriegsausbruch nach den geschätzten Daten die Stufe von 225 Tausend. Besonders schnell wuchs die Beschäftigung in der Lebensmittel-, Holz-, Mineralindustrie und im Bausektor, sowie in unterschiedlichen handwerklichen Betrieben – von 22 Tausend im Jahr 1895 bis zu 26 Tausend im Jahr 1904, und 43 Tausend im Jahr 1913.

Die charakteristische Eigenschaft Großpolens hinsichtlich der Struktur der Landwirtschaft, in der die Landgüter und kleinere, über das gesamte Gebiet dieser Provinz zerstreuten Industriebetriebe dominierten, war der Umstand, dass die meisten Arbeiter auf dem Lande lebten. Erst um die Jahrhundertwende erfolgte ein schneller Zuwachs der Zahl der Arbeiter in den größten Städten, darunter insbesondere in Posen, wo deren Zahl von ca. 10 Tausend im Jahr 1882 auf 26,6 Tausend im Jahr 1907 anstieg.

Hinsichtlich ihrer Qualifikationen, der Beschäftigungsform und der Höhe der Verdienste waren die landwirtschaftlichen Arbeiter und Industriearbeiter eine innerlich stark differenzierte Schicht. Die Zugehörigkeit zu den einzelnen ihrer Gruppen spiegelte sich in der Höhe der Löhne, in der Stelle bei der gesellschaftlichen Arbeitsaufteilung, und was damit einherging, in der gesellschaftlichen Hierarchie. Ein besonders großer Prozentsatz der qualifizierten Arbeiter arbeitete in den Industrien: in der Metall-, Maschinen-, Bekleidungsindustrie und im Handel. Die größte Zahl der nicht qualifizierten Arbeiter arbeitete aber in der Landwirtschaft in der Mineralindustrie und im Bausektor.

Eine beachtliche Gruppe der Lohnarbeiter in Großpolen waren Hausbedienstete, die in der Regel im Haus des Arbeitgebers wohnten. Am Anfang des XX. Jh. überwogen die auf dem Lande arbeitenden Hausbediensteten, allerdings ging ihre Zahl mit der Erscheinung alternativer und attraktiverer Verdienstarten und mit der teilweisen Mechanisierung der landwirtschaftlichen Arbeit ihre gewaltig zurück, von 62 Tausend im Jahr 1882 auf 27 Tausend im Jahr 1907. Gleichzeitig hielt sich die Zahl der Hausbediensteten in den Städten fast auf derselben Stufe und betrug im Jahr 1907 - 37 Tausend Personen. Zu derselben Zeit stieg die Zahl der Hausbediensteten und der persönlichen Bediensteten, die nicht im Haus des Arbeitgebers lebten, von 12,5 im Jahr 1882 bis zu 15 Tausend im Jahr 1907 an.

 

Die nationale Struktur

 

In der nationalen Struktur Großpolens dominierten Polen und Deutsche, die insgesamt bis 1910 mehr als 98 % der Einwohner dieser Provinz bildeten. Die drittgrößte ethnische Gruppe waren die Juden (1,3 % im Jahr 1907), und die Zahl der Vertreter der übrigen Nationalitäten (darunter u.a. russischer, österreichischer, schweizerischer, italienischer, britischer, französischer und schwedischer Staatsbürger) wurde im Jahr 1910 auf ca. 11 Tausend geschätzt (d.h. etwas über 0,5 %).

In den Jahren 1890-1910 stieg infolge der zunehmenden natürlichen Bevölkerungsentwicklung die Zahl der Polen von 1,05 Millionen bis 1,27 Millionen an, und deren Prozentsatz stieg von 59,9 % auf 61,4 % an. Zu derselben Zeit nahm die Zahl der Deutschen auch beachtlich zu, von 692 Tausend auf 809 Tausend, aber ihr Prozentsatz fiel von 39,5 % auf 38,4 %.

Die obengenannten Veränderungen in der nationalen Struktur haben bei der deutschen Obrigkeit für Unzufriedenheit gesorgt, die sich darum bemühte, ihnen durch die Ansiedlung der Deutschen, Aussiedlung der Polen und durch Germanisierung zumindest eines Teils der polnischen Bevölkerung entgegenzuwirken. Ab der Mitte des XIX. Jh. sank auch die Zahl der in Großpolen lebenden Juden, wegen deren Auswanderung in die Tiefe Deutschlands oder über den Ozean.

In territorialer Hinsicht lebten die meisten Polen und Deutschen zu Beginn des XX. Jahrhunderts in Land- und Gutsbezirken, wobei allerdings zu derselben Zeit die Vertreter beider nationaler Gruppen zahlreich in die Städte auswanderten. Infolgedessen veränderte sich ihre nationale Struktur und der Prozentsatz der bislang in den Städten dominierenden deutschen Bevölkerung sank von 57,2 % im Jahr 1890 auf 50,7 % im Jahr 1910.

In Posen selbst lebten im Jahr 1910 unter dem Einfluss der schnellen natürlichen Bevölkerungsentwicklung und hoher Einwanderungszahl polnischer Arbeiter 89,5 Tausend Polen, die 57,1 % der Stadtpopulation bildeten. In den Städten lebte auch die überwiegende Mehrheit der Juden, und zwar ganze 95,4 % von 26,5 Tausend der im Jahr 1910 in Großpolen lebenden Juden.

Von den beiden Regierungsbezirken der Provinz Posen waren die Polen nur im Regierungsbezirk Posen in deutlicher Überzahl, wo sie 67,5 % der Gesamtheit der Bevölkerung bildeten. Zu derselben Zeit war im Regierungsbezirk Bromberg die Zahl der Polen und der Deutschen fast identisch und schwankte um die 50 %.

Auf niedrigerer Verwaltungsebene dominierten die Polen im Kreis Schroda, Kreis Kosten, Kreis Schildberg, Kreis Pleschen, Kreis Schrimm, allerdings waren im Kreis Wirsitz, im Stadtkreis und Landkreis Bromberg, Kreis Lissa, Kreis Fraustadt, Kreis Filehne, Kreis Czarnikau, Kreis Meseritz, Kreis Kolmar i. Posen und im Kreis Schwerin an der Warthe die Deutschen in der Überzahl.

Aus der Sicht der beruflichen Struktur arbeiteten die meisten Polen und Deutschen in der Landwirtschaft und in der Industrie. Die überwiegende Mehrzahl der großpolnischen Juden arbeitete im Handel und im Transport.

Infolge der nationalistischen Politik des preußischen Staates bildeten die Deutschen die Mehrzahl des Führungspersonals und der im öffentlichen Dienst Eingestellten, zu dem sie einen erleichterten Zugang hatten. Das Blockieren des gesellschaftlichen Aufstieges der Polen und die Privilegierung der Deutschen und eines Teils der sich mit dem deutschen Staat identifizierenden Juden vergrößerte die Vermögensunterschiede zwischen diesen nationalen Gruppen und vereinfachte es den beiden letzteren die für die Ausübung der freien Berufe erforderliche Ausbildung zu erhalten.

 

Abschluss

 

Die großpolnische Gesellschaft zeichnete sich am Vorabend des Großen Krieges durch das Auftreten deutlicher Klassengegensätze und nationaler Gegensätze, sowie durch eine geringe gesellschaftliche Mobilität, insbesondere auf den höheren Sprossen der gesellschaftlichen Leiter, aus.

Sie war traditionsgebunden und religiös und negativ gegenüber Maßnahmen eingestellt, die nicht in den durch diese beiden - Tradition und Religion - vorgezeichneten Rahmen passten. Sie akzeptierte ohne größeren Widerstand Veränderungen gesellschaftlichen und zivilisatorischen Charakters, wobei aber gesellschaftliche, politische und kulturelle Neuheiten auf Widerstand stießen. Nichtsdestotrotz trat ein langsamer Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung ein, und seine deutlichsten Anzeichen waren: die Formierung der großpolnischen Intelligenz, die sich aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten zusammensetzte, die Entwicklung der Massenkultur, die Emanzipation der Frauen, die gesellschaftliche und politische Aktivierung der gesellschaftlich niedrigerer Schichten und Beispiele für eine klassenüberschreitende gesellschaftliche Solidarität.

Eine die großpolnische Gesellschaft auszeichnende Erscheinung und ein wahrhaftiger Phänomen im Vergleich zu anderen Teilungsgebieten war die klassenüberschreitende Zusammenarbeit der Vertreter der Gutsbesitzer, der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums und der Bauern und Arbeiter, trotz der scharfen Gegensätze und der gesellschaftlichen Hierarchie in der Sphäre des Privatlebens.

Im Endeffekt waren gegen Ende des XIX. Anfang des XX. Jh. die organische Arbeit, die Gesetzestreue (bei gleichzeitigem Fehlen der Loyalität), die Selbstorganisation und die Selbstmodernisierung sowie die Solidarität und ständeübergreifende Zusammenarbeit die wichtigsten Faktoren, die die gesellschaftliche und politische Mentalität vieler Einwohner Großpolens prägten.

Es war das Ergebnis des in der ersten Hälfte des XIX. Jh. durch einen Teil der aufgeklärten und national bewussten Gutsbesitzer und der aufkommenden Intelligenz ins Leben gerufenen Programms der organischen Arbeit (die durch die Historiker gegenwärtig auch als das Programm der gesellschaftlichen Selbstmodernisierung bezeichnet wird), welches die Verteidigung des Polnischen Besitzstandes und der polnischen Kultur gegen die preußische Herrschaft zum Ziel hatte.

Basierend auf den obigen Ideen sind in Großpolen in der zweiten Hälfte des XIX. Jh. Hunderte von Institutionen entstanden (landwirtschaftliche Kreise, Genossenschaften, Volksbüchereien und Chöre), die unter der Leitung oder unter der Schirmherrschaft der Gutsbesitzer, der Geistlichen, der Intelligenz und der national bewussten Bauern konsequent den Aufbau einer modernen Wirtschaft und einer Gesellschaft, die sich gegen die wirtschaftliche und kulturelle Expansion der Deutschen stellen konnte, verfolgten. Der Kulturkampf und die Tätigkeit der Ansiedlungskommission trugen noch zusätzlich zur Vertiefung dieser Zusammenarbeit und zur Festigung der polnischen Gesellschaft bei. Insbesondere als sich herausstellte, dass die Übernahme des polnischen Grundes und Bodens durch die Deutschen in der Regel den Verlust der Arbeit und damit der Existenzgrundlage der polnischen Lohnarbeiter (insbesondere der Arbeiter in der landwirtschaftlichen Verwaltung) und den Verlust der Bestellungen der polnischen Kaufleute und Handwerker bedeutete, was deutlich demonstrierte, wie eng das gesellschaftliche und nationale Interesse mit dem individuellen verbunden ist.

Die Idee der Verteidigung nationaler und religiöser Interessen durch wirtschaftliche Modernisierung (im geringeren Grade durch gesellschaftliche und kulturelle Modernisierung), die durch die von unten kommenden, ständeübergreifenden und unter sich eine innere Demokratie pflegenden Organisationen realisiert wurde, bewirkte, dass sich in der politischen Mentalität dieser Region Überzeugungen von den aus der Solidarität und gemeinsamer Zusammenarbeit (durch einen Zusammenschluss der Stände) fließenden Vorteilen und von einer positiven Einflussnahme der Vertreter der katholischen Kirche auf das gesellschaftlich-wirtschaftliche Leben festsetzten.

1 Die Begriffe: Großpolen, Provinz Posen und Großherzogtum Posen werden im vorliegenden Text abwechselnd verwendet. Die Grundquellen der statistischen Daten sind die preußischen Statistiken, darunter insbesondere: Statistisches Jahrbuch für Preuβischen Staat i Statistik des Deutsches Reiches. Weil die Daten, die die Bevölkerungsphänomene in Großpolen nach 1910 betreffen, einen unvollständigen Charakter haben, beruft sich der vorliegende Text auf die Daten von 1907, die Vergleiche mit früheren Zeiträumen ermöglichen.