Kulissen des Großpolnischen Aufstandes

Großherzogtum Posen: Polen, Deutsche, preußische Politik 1815-1914

Przemysław Matusik

Das Großherzogtum Posen ging aus den Beratungen des Wiener Kongresses hervor, die Europa nach den Jahren der revolutionären und napoleonischen Unruhen ordnen sollten. Im Falle der polnischen Gebiete war die in Wien erörterte Frage das Territorium des Herzogtums Warschau, das im Jahr 1807 aus den Gebieten des II. und III. preußischen Teilungszone entstand und im Jahr 1809 um die bei der III. Teilung gewonnenen österreichischen Erwerbungen erweitert wurde. Obwohl es die einfachste Lösung wäre, die Herrschaft von Preußen und Österreich wiederherzustellen, stellten sich dieser Lösung die Interessen des russischen Imperiums entgegen. Die Russen haben nämlich, indem sie die Reste der in der Tiefe Russlands geschlagenen Grande Armée in den Westen drängten, zu Beginn des Jahres 1813 das Gebiet des Herzogtums Warschau besetzt, und hatten es damit nicht gerade eilig, dieses Gebiet ihren deutschen Verbündeten und Rivalen zurückzugeben, wobei sie übrigens geschickt die polnische Karte ausspielten.

Es wurde allerdings ein Kompromiss geschlossen und am 3. Mai 1815 haben Preußen, Russland und Österreich untereinander Verträge unterzeichnet, die die politische Ordnung in polnischen Gebieten neu regelten, und unter anderem dazu führten, dass die westlichen Departements des Herzogtums Warschau unter das Zepter der Hohenzollern zurückkehrten. Auf dieser Grundlage hat der König Friedrich Wilhelm III. ein Patent erlassen, das die Bildung einer neuen Provinz auf dem größten Teil dieses Gebiets bekanntgab, die den Namen Großherzogtum Posen tragen sollte. Ende Mai zogen sich also aus dem neuen Herzogtum die dort stationierenden Russen zurück, und an ihre Stelle kehrten die Preußen zurück; am Sonntag, den 28. Mai 1815 kam an der Spitze der Husaren und einer Infanterieabteilung der General Ludwig von Thümen (1757-1826) in Posen an, der im Namen des Königs die zu den Preußen gehörenden Gebiete übernehmen sollte. Ein paar Tage später kam ein Repräsentant der zivilen Verwaltung in die Stadt, der „königlich-preußische Oberpräsident des Großherzogtums Posen“ Joseph Zerboni di Sposetti (1766-1831), der am Donnerstag, den 8. Juni feierlich die Macht in der Provinz übernahm. Die polnischen Adler am Rathaus und am Präfektur-Sitz, dem ehemaligen Gebäude der Jesuiten in der Straße Gołębia, wurden durch die Wappen des Großherzogtums Posen ersetzt, die einen schwarzen preußischen Adler mit polnischem Wappen auf der Brust, einem weißen Adler auf rotem Hintergrund, darstellten. Beiden Seiten, den Polen und den Deutsche war eine gute Atmosphäre der feierlichen Begrüßung der neuen/alten Obrigkeit wichtig. Daher begleitete bei dem feierlichen Zug den General Ludwig von Thümen und Joseph Zerboni di Sposetti u.a. der Senator, Wojewode Józef Wybicki, der in den vergangenen Jahren der Hauptwerber für die napoleonische Option war, und bei dem anlässlich dieses Ereignisses veranstalteten Bankett sprach der Oberpräsident auf Polnisch Toasts zu Ehren des preußischen Königs aus. Das Großherzogtum Posen war ein einzigartiges Experiment der preußischen Macht, das die Bestimmungen der am 9. Juni 1815 unterzeichneten Schlussakte des Wiener Kongresses vorwegnahm, die den Polen die Erhaltung ihrer Nationalität garantierte, gleichwohl sie die Festlegung des Umfangs der polnischen Rechte den Monarchen als Repräsentanten der Teilungsmächte überließ. In den in Berlin ausgearbeiteten Lösungen wurden mit Sicherheit die nationalen Realien in Betracht gezogen, zumal in dem über 776 Tausend Einwohner zählendem Großherzogtum ganze 65,7% Polen, 27,7% Deutsche und 6,4% Juden waren. Wichtig war auch das Bewusstsein der Niederlage der bisherigen preußischen Politik in diesen Gebieten, die infolge der II. Teilung Polens im Jahr 1793 an den Staat der Hohenzollern angeschlossen wurden. Berlin wendete damals die einfachste Integrationslösung an, die neu aufgenommenen polnischen Gebiete wurden Provinz Südpreußen genannt, was einen ziemlich unverfrorenen Akt der historischen Politik darstellte; man führte ein preußisches Verwaltungs- und Rechtssystem ein, und in den Schulen unterrichtete man deutsche Sprache. Das Herumkommandieren der preußischen Beamten und Militärs stieß auf Widerstand nicht nur bei Polen, sondern auch bei der jüdischen Bevölkerung, und sogar bei den hiesigen Deutschen. Es nimmt also kein Wunder, dass das Einschreiten der Franzosen im Herbst 1806 hier mit aufrichtigem Enthusiasmus begrüßt wurde, welches eine starke Erschütterung für die preußische Obrigkeit sein musste. Aus der Sicht von Berlin bewiesen damit die Polen ein vollkommenes Fehlen an Loyalität gegenüber ihrem Monarchen und ihrem Staat, ja mehr noch, ihre adeligen Eliten, solche Herren wie Niegolewski oder Chłapowski vergossen lieber ihr Blut für Napoleon – das Kind der Revolution und den korsischen Usurpator, statt die Preußen zu verteidigen. Trotz aller Enttäuschungen brachte der staatliche Pragmatismus im Jahr 1815 eine Korrektur der früheren Politik, was durch das Motto der Einigung zum Ausdruck gebracht werden sollte, das expressis verbis im Aufruf des Königs Friedrich Wilhelm III., der jenem Patent vom 15. Mai beigefügt wurde, verkündet wurde. Der preußische Monarch erklärte darin seine Achtung vor der Nationalität und Religion seiner polnischen Untergebenen, und fügte dem großherzig in ziemlich schlechtem Polnisch bei: „Mein Wille, die Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen ist aufrichtig. Meine ausschließliche Fürsorge gilt der Zukunft“. Laut diesen Erklärungen sollte das Großherzogtum Posen ein Teil des preußischen Staates sein, und zugleich eine Reihe von Elementen rechtlicher Sonderstellung besitzen, und vor allem sollte eine völlige Gleichberechtigung der polnischen Sprache im öffentlichen Bereich, in den Ämtern, Gerichten und Schulen anerkannt werden. Von der Verwaltungsseite her wurde das Großherzogtum so wie die anderen preußischen Provinzen aufgestellt. An der Spitze der Provinz-Behörden stand der in Posen residierende Oberpräsident, und es gab zwei Einheiten auf niedrigerer Stufe – zwei Regierungsbezirke: Posen und Bromberg. Allerdings wurde neben dem die Verwaltungsgewalt ausübenden Oberpräsidenten auch das Amt eines Statthalters des Großherzogtums Posen eingerichtet, was ein wesentliches institutionelles Merkmal seiner besonderen Stellung war. Entgegen seiner Bezeichnung kamen dem Statthalter allerdings außer der repräsentativen Funktionen in Wirklichkeit die Rolle eines Bevollmächtigten des preußischen Königs für den Kontakt mit seinen polnischen Untergebenen zu, wobei er auch das Recht hatte, die gegen die Interessen der polnischen Gesellschaft gerichteten Verordnungen des Oberpräsidenten vorläufig abzulehnen und sie dem König zur endgültigen Entscheidung zu überlassen. Dem Statthalter-Amt wurde allerdings durch die es bekleidende Person ein höherer Rang verliehen, es war nämlich Herzog Antoni Radziwiłł, ein Aristokrat, der mit dem Haus der Hohenzoller über seine Ehefrau, die Herzogin Luiza, die Nichte von Friedrich dem Großen und die Tante des herrschenden Königs von Preußen verschwägert war. Die polnischen Eliten haben diese Lösungen mit Reserviertheit betrachtet, indem sie sich ständig nach Warschau umblickten und die Hoffnung nährten, dass die Zugehörigkeit zu Preußen einen vorübergehenden Charakter haben wird, und dass das Großherzogtum früher oder später einfach an Kongresspolen angeschlossen wird. Die Preußen haben auch keinen sonderlichen Enthusiasmus gezeigt, viele behandelten die Polen von oben herab, allerdings war es viel wichtiger, dass aus der Sicht des bürokratischen Apparates die polnische Sprache und die vorgefundene rechtliche Sonderstellung des Herzogtums eine zusätzliche Schwierigkeit darstellten, die die Verwaltung der neuen Provinz kompliziert gestalteten.

Das Bestreben nach einer stufenweisen Integration in den Rest der Monarchie war also nur allzu natürlich, wozu der erste Schritt die Einführung des preußischen Rechts und der preußischen Rechtsprechung im Jahr 1817 war, dem eine fortschreitende Germanisierung des Verwaltungsapparates folgte, die praktisch motiviert war – durch juristische Ausbildung und Sprachenkenntnis. Man bemühte sich auch darum, den Umfang des Deutschunterrichts in den Gymnasien und städtischen Sekundarschulen zu erweitern, was im Übrigen – wegen der Möglichkeit der polnischen Jugend, Ausbildung an den hervorragenden preußischen Universitäten zu erhalten – kein ausschließlich negativ zu bewertender Umstand war. Als Element der tatsächlichen Einschränkung der den Polen zuerkannten Rechte stieß es jedoch auf deutlichen Widerstand der polnischen Eliten, ähnlich wie der Zugang einer immer größeren Zahl deutscher Beamter, Lehrer und Militärs im Großherzogtum. Man sollte allerdings beachten, dass die preußische Obrigkeit eine Reihe von Lösungen einführte, die weitreichende Folgen nach sich zogen. Im Jahr 1820 hat der Heilige Stuhl unter dem Einfluss von Berlin die Posener Diözese in den Rang der Erzdiözese erhoben, was bezwecken sollte, den Primatsrang von Gniezno herabzusetzen; allerdings wurde auf diese Weise ganz Posen unter die Amtsgewalt eines Erzbischofs gestellt, der somit zum natürlichen Vertreter der polnischen, größtenteils katholischen Gesellschaft wurde. Eine Maßnahme mit weitreichenden Konsequenzen war die Einführung im Jahr 1825 der Schulpflicht, was in Zukunft das Großherzogtum (und überhaupt das preußische Teilungsgebiet) zu einem Gebiet machen sollte, das auf höchstem Niveau in Polen war, was die Alphabetisierung betrifft, wodurch es in deutlichem Kontrast zu den anderen Teilungsgebieten stand. Die schwierige finanzielle Situation der polnischen Gutsbesitzer verbesserte die Gründung des Landschaftlichen Kreditvereins im Großherzogtum Posen (Ziemstwo Kredytowe), dessen Startkapital der Staat sicherte, die Verwaltung aber – ähnlich wie in den anderen preußischen Provinzen – in den Händen der Gutsbesitzer blieb, was bewirkte, dass diese Institution über Jahre hinweg unter polnischer Leitung war. Auf entschieden weniger Enthusiasmus der Gutsbesitzer stieß das Regulierungs- oder Ablösungsgesetz von 1823, obwohl diese Lösungen, die nach dem Vorbild der preußischen Gesetzgebung vor sechzehn Jahren angenommen wurden, für den Großgrundbesitz sicherlich vorteilhaft waren. Der Ablösung unterlagen nur große Bauernhöfe, und der Prozess selbst war auf Jahre verteilt, allerdings sollten die Form und die Höhe der Entschädigung des Gutsbesitzers für den Verlust der Leibeigenen das Ergebnis einer beidseitigen Vereinbarung zwischen dem Gutsbesitzer und seinen Bauern sein. Die Rolle des Staates bestand nur in der Aufsicht über den korrekten Verlauf der Regelung und ihrer rechtlichen Legitimierung. Im Endeffekt sollte die Ablösung in Posen ein gesundes und effektives landwirtschaftliches System erschaffen, mit Aufrechterhaltung einer starken Position des Großgrundbesitzers und der wirtschaftlich starken Bauernhöfe, die im Unterschied zu den restlichen Teilungsgebieten nicht der Nachlassteilung unterlagen. Man sollte dabei unterstreichen, dass in Galizien die Bauernbefreiung ein Viertel Jahrhundert später, und in Kongresspolen erst vierzig Jahre nach dem Posener Regulierungsedikt verkündet wurde. Die Bauernbefreiung war – sozusagen – eine historische Notwendigkeit, die die Formierung einer modernen Gesellschaft initiierte, sie hatte aber aus der Sicht von Berlin auch eine wichtige politische Bedeutung. Den Polen begegnete man nämlich mit großem Misstrauen, was sowohl durch die geopolitische Lage motiviert war als auch aus dem Wunsch der Absicherung der östlichen Grenzen Preußens resultierte sowie mit der Bekämpfung potenzieller polnischer Aufstände zu tun hatte. Aus preußischer Perspektive war das Grundproblem der an der Spitze der polnischen Gesellschaft stehende und durch die Geistlichkeit unterstützte Adel, der Hauptträger des polnischen Nationalbewusstseins. Die Bauern, die die Mehrzahl der Gesellschaft bildeten, wurden als dunkel, passiv und von ihren Herren und den Pfarrern abhängig betrachtet, was enorme politische Konsequenzen haben konnte. Darauf machte während des Novemberaufstandes der über das V. Armeekorps, das seinen Sitz in Posen hatte, das Kommando innehabende General, Karl von Roeder, aufmerksam, der in seinem Bericht feststellte, dass der polnische Bauer in der Tat vollkommen passiv ist und leicht der Obrigkeit folgt, und dass wenn polnische Truppen von außerhalb eindringen würden, man mit feindlichen Aktionen der Bauern gegenüber der deutschen Bevölkerung und Obrigkeit rechnen müsste. Der Grund dafür sollte – laut Roeder – der uralte Hass der Bauern gegen die Deutschen sein, der durch die Vertreter der polnischen Bewegung leicht benutzt werden könnte. Roeders Befürchtungen hinsichtlich der Haltung der Polen waren nicht grundlos, zumal nach dem Ausbruch des Aufstandes in Warschau im Jahr 1830 ca. 3 Tausend Posener, darunter 200 Vertreter der bedeutendsten polnischen Gutsbesitzergeschlechter an die Prosna zogen, solche wie Dezydery Chłapowski, Tytus Działyński, Seweryn Mielżyński und Maciej Mielżyński und Gustaw Potworowski. Obwohl sich der Aufstand gegen Russland richtete, hat Berlin ihn dennoch als eine Demonstration fehlender Loyalität gedeutet, umso mehr als die preußische Obrigkeit bereits zu Beginn der polnischen Revolution ihren Untergebenen ein klares Verbot erteilte, nach Kongresspolen zu gehen. Nach dem Scheitern des Aufstandes wurden seine aus dem Herzogtum Warschau zurückkehrenden Teilnehmer Schikanen und Repressionen unterzogen, manche von ihnen wurden in Festungen gefangen gehalten, ihre Besitzungen wurden sequestriert, obwohl sie nach einiger Zeit zu ihren Eigentümern zurückkehrten. Viel wichtiger war zu dieser Zeit die Kursänderung gegenüber den Polen, wofür der neue Oberpräsident Eduard von Flottwell stand, der im Herbst 1830 sein Amt antrat. Gleichzeitig wurde aus Posen der Statthalter Radziwiłł abberufen, und ein paar Jahre später wurde diese Funktion überhaupt aufgehoben. Flottwell hatte nicht die Absicht, das Experiment der Suche nach einer Verständigung mit den Polen fortzusetzen, die in seinen Augen durch die Teilnahme an dem Novemberaustand kompromittiert waren. Die durch ihn eingeleiteten Maßnahmen hatten den Charakter einer bewussten Germanisierungspolitik, wodurch er gegen Ende des XIX. Jh. zum beliebten Helden der deutschen Nationalisten wurde.

Neben den Repressionen, denen die Teilnehmer des Aufstandes unterzogen wurden, leitete Flottwell eine Reorganisation der Gerichtsbarkeit und der Verwaltung ein, indem er die Zahl der deutschen Beamten vergrößerte und die letzten polnischen Landräte entfernte. Damit war der Anfang für die bis 1918 praktizierte Besetzung der Ämter im Großherzogtum ausschließlich mit Deutschen gesetzt und es war auch der Grund für die hier ausbleiende Entwicklung einer polnischen Beamtenschicht, die in den anderen Teilungsgebieten den zahlreichsten Teil der sich formierenden Intelligenz bildete. Im Geiste der preußischen, protestantischen Aufklärung erwirkte Flottwell eine endgültige Liquidation der katholischen Orden, und nach dem Ausbruch des sog. Streits um die Mischehen, zögerte er nicht, im Jahr 1839 den Erzbischof Marcin Dunin zu verhaften, der dann in der Festung Kolberg festgehalten wurde. Diese Maßnahmen begleiteten wichtige Modernisierungsfortschritte, so beschleunigte er in den 30er Jahren, nicht ohne einen Anstoß seitens des Staates, den Prozess der Bauernbefreiung, der sicherlich für unterschiedliche Spannungen und Konflikte sorgte, die den Gutshof und das Dorf trennten, wodurch die Obrigkeit für eine Lockerung der Bildung zwischen den polnischen Bauern und dem Adel sorgte und Grundlagen für eine neue preußische Loyalität legte. Es wurde ganz entschieden die Gründung der Grundschulen beschleunigt, und man fing auch mit dem Bau eines neuen Straßennetzes, sog. Kieswege an, was sicherlich auch eine militärische Bedeutung hatte. Die Effekte der Politik Flottwells waren eher ambivalent. Der Konflikt mit der Kirche hat im hohen Maße die erwarteten positiven Folgen der Bauernbefreiung für die Obrigkeit zunichte gemacht, er weckte vielmehr obrigkeitsfeindliche Stimmungen unter dem sich dem Katholizismus verbunden fühlenden Volk. Für die polnischen Eliten war diese Politik allerdings ein klares Signal, dass Passivität zur Integration der Provinz Posen in den preußischen Staat und zur Marginalisierung der polnischen Gemeinschaft führen würde. Es wurde zum Impuls für die ersten Initiativen im Geiste der organischen Arbeit, solcher wie das Kasino in Gostyń, das Posener Hotel „Bazar“ oder die Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Hilfe (Towarzystwo Naukowej Pomocy), wobei diese letzteren auf die Initiative der führenden Gestalt der damaligen polnischen Bewegung, Karol Marcinkowski, entstanden sind. Flottwells Kompromittierungen führten dazu, dass er einen Fonds gegründet hat, der polnische Landgüter aufkaufte und sie ausschließlich den Deutschen verkaufte, was sogar den preußischen Beamten in Berlin als eine grobe Verletzung der Grundsätze des Staates, der Rechte und der Gleichheit aller preußischen Untergebenen erschien. Das fiel mit einer Veränderung in der preußischen Thronfolge zusammen, als nach dem Tod von Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1840 sein Sohn, Friedrich Wilhelm IV. seinen Platz einnahm, was eine neue, liberalere Politik gegenüber den Polen versprach.

Diese endete im Jahr 1846 nach der Entdeckung der großen Verschwörung von Centralizacja Poznańska (Libelt-Komitee), was Massenverhaftungen nach sich zog, durch die die aktivsten Vertreter der polnischen Eliten betroffen waren, sowie die Auflösung des Großteils der polnischen Organisationen zur Folge hatte. Ein durch ganz Europa genau verfolgtes Ereignis war der große Prozess der Verschwörer im Jahr 1847, dessen Folgen die Welle der Revolutionen von 1848/1849 (Völkerfrühling) zunichtemachte, die im März des nachfolgenden Jahres Berlin, Preußen und auch das Großherzogtum Posen erfasste. Der Völkerfrühling eröffnete eine kurze aber sehr intensive Phase der Suche nach einer neuen Lösung für Posen. Für eine kurze Zeit schien die Welt gleichsam auf dem Kopf zu stehen, in Berlin wurden die aus dem Gefängnis in Moabit zum Tode verurteilten polnischen Verschwörer entlassen und in einem triumphalen Marsch durch die Straßen der preußischen Hauptstadt geführt, die polnischen Studenten bildeten – wie bei dem Novemberaufstand – eine akademische Legion, die unterstützt durch die Berliner Sympathisanten, unter den preußischen Amtsgebäuden Wache hielt und durch den dortigen Polizeipräsidenten, …Julius von Minutoli, denselben, der vor zwei Jahren die polnische Verschwörung in Posen niederschlug, mit Pallaschen ausgestattet wurden. In der Hauptstadt des Großherzogtums selbst bewirkte der freiheitliche Enthusiasmus, dass das hier am 20. März entstandene polnische Nationalkomitee die Forderung stellte, dass die Preußen auf die polnischen Gebiete verzichten sollen. Allerdings beschränkte sich die nach Berlin geschickte Deputation auf ein realistischeres Postulat, dem Großherzogtum eine breit verstandene Autonomie zu erteilen (sog. nationale Reorganisation). In der revolutionären Atmosphäre stimmte der König Friedrich Wilhelm IV. dieser Forderung nicht nur zu, sondern erlaubte auch die Formierung von polnischen militärischen Abteilungen in Posen, die gemeinsam mit der preußischen Armee die zu erwartende russische Intervention abwehren sollten, obwohl ihr Befehlshaber, Ludwik Mierosławski, in ihnen den Keim der polnischen Armee gesehen hat, die einen Teil der polnischen Gebiete befreien und das Wiedererstehen eines unabhängigen Staates erwirken wird. Die polnische Bewegung war also aufgeteilt, und zwar in diejenigen, die sich an das Programm der Reorganisation halten wollten, und in die Maximalisten, die den Konfliktherd nach Kongresspolen verlagern und einen Unabhängigkeitsaufstand auslösen wollten. Allerdings kam es nicht zu der erwarteten russischen Intervention, und die Bewertung der Bedeutung der freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland erwies sich als übertrieben; hinzu kam, dass der Widerstand der hiesigen Deutschen und Juden gegen das Projekt der Reorganisation immer stärker wurde, da sie nicht mit ihrer Position einer Minderheit in einer durch Polen verwalteten Provinz einverstanden waren. Nach gewisser Zeit fing der König an, sich von dem Versprechen einer nationalen Reorganisation des Großherzogtums zurückzuziehen, und schlug seine Teilung in einen polnischen und einen deutschen Teil vor, und die in Posen stationierende Armee beabsichtigte wiederum, die polnische Bewegung direkt niederzuschlagen.

Einen Anlass dafür boten die polnischen Militärlager – die Preußen attackierten das Lager in Książ und massakrierten seine Verteidiger, und die Polen mussten trotz der ehrenvollen Siege bei Miłosław und Sokołowo die Waffen niederlegen. Den Gefangengenommenen wurden verschiedene Erniedrigungen und Schikanen zuteil, auch seitens der deutschen Einwohner der Städtchen, durch die die polnischen Kriegsgefangenen geführt wurden, und ein Teil von ihnen wurde für einige Zeit in einer Festung festgehalten. Die stürmischen Ereignisse des Jahres 1848 und die Niederschlagung der polnischen Bewegung bestimmten eine neue Phase der preußischen Politik im Großherzogtum an, wofür eine amtliche Verordnung zum Symbol wurde, die anordnete, ausschließlich den Namen „Provinz Posen“ zu verwenden, obwohl der Name „Großherzogtum Posen“ in der Betitelung der preußischen Könige, und dann der deutschen Kaiser, bis zum Abdanken von Wilhelm II. erhalten blieb. Schließlich haben die Polen orientierungshalber diesen Namen verwendet, indem sie die Sonderstellung der Provinz Posen im Verhältnis zu den anderen Teilen der Monarchie der Hohenzollern akzentuierten. Obwohl die Bürgerrechte auch der polnischen Untergebenen in der preußischen Konstitution von 1848, und dann 1850 bestätigt wurden, so nutzte doch die Obrigkeit in der Provinz alle rechtlichen Möglichkeiten, um die polnische Aktivität einzuschränken. Im Jahr 1850 bereitete ein spezielles Gesetz über das Verbot der Tätigkeit mit lokalübergreifendem Charakter ein Ende der zwei Jahre früher ins Leben gerufenen Polnischen Liga, die nach einer ganzheitlichen polnischen gesellschaftlichen und politischen Aktivität strebte, und die amtliche Wegnahme des Vertriebsrechts für ausländische Druckerzeugnisse zerstörte die rege Entwicklung der polnischen Presse. Das Problem war jedoch nicht nur die feindliche Haltung der preußischen Verwaltung. Die Ereignisse des Völkerfrühlings haben den demokratischen Mythos, dass die polnische Frage in Preußen sich auf einen Konflikt der polnischen Gesellschaft mit der Obrigkeit und ihrem amtlichen Apparat zurückführen lässt, aufgelöst. Währenddessen fing das oben erwähnte feindliche Auftreten der deutschen und jüdischen Bevölkerung gegenüber Polen an, den Verhältnissen in Posen den Charakter eines nationalen Konflikts zu verleihen, in welchem die antipolnischen Fortschritte der Obrigkeit mit der Unterstützung in der Gemeinschaft rechnen konnten. Wichtig war die politische Wendung der deutschen liberalen Kreise, die seit der Zeit des Novemberaufstandes traditionell ihre Unterstützung der polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen zum Ausdruck brachten. Diese Wendung bekundete sich auch deutlich während der Sitzungen des allgemeindeutschen Parlaments in Frankfurt am Main (Frankfurter Nationalversammlung), als die neue Formel des Deutschen Bundes besprochen wurde, die die Einigung des politisch gespaltenen Deutschlands herbeiführen sollte. Damals hat ein polnischer Abgeordneter, Pfarrer Jan Janiszewski, appelliert, die Provinz Posen als historisch polnisches Gebiet nicht in diesen Bund aufzunehmen, indem er zugleich Deutschlands Recht zur Einigung zustimmte. Bei der Abstimmung am 27. Juli unterstützte die polnische Position nur eine kleine Zahl von 31 Linksradikalen und ein Teil der katholischen Abgeordneten, und die 342 Abgeordnete zählende Mehrheit, die nicht nur aus den Konservativen, sondern auch aus einer Großzahl der Liberalen bestand, lehnte sie ab, indem sie das historische Argument infrage stellte und betonte, dass die Deutschen ihr Recht auf diese Gebiete durch eine ein halbes Jahrhundert dauernde zivilisatorische Arbeit erworben hatten. Während der „Polendebatte” klassifizierte Moritz Arndt die deutschen Freunde Polens als „Ignoranten, Narren und Schelmen“, und das i-Tüpfelchen setzte ein anderer liberaler Abgeordneter, Wilhelm Jordan, der sagte, dass die Deutschen aus ihrer „verträumten Selbstvergessenheit“ erwachen und wieder einen „gesunden nationalen Egoismus“ annehmen sollten. Diese Erklärung sollte in immer höherem Grade die preußische Politik gegenüber dem Großherzogtum und den Polen definieren. Diese erlangten im Jahr 1848 eine neue Plattform nationaler Aktivität, die in der Eiberufung des Preußischen Landtages bestand. In Wirklichkeit war es ein gesetzgebendes Organ der Teilungsmacht, aber ein polnischer Abgeordneter, der durch die Stimmen der polnischen Wähler gewählt wurde, wurde zum natürlichen Vertreter seiner Gemeinschaft, was seine Aktivität in Berlin von dem Vorwurf einer Kollaboration mit der Teilungsmacht, die dem Ethos eines anständigen Polen widersprach, befreite. Zu einem Organ der polnischen Bestrebungen wurde der im Jahr 1849 ins Leben gerufene Polnische Kreis (Koło Polskie), dem sich im Jahr 1871 ein ähnlicher Kreis in dem neu entstandenen Parlament des vereinigten Reiches anschließen sollte, welches eine solidarische Stellung nur in solchen Angelegenheiten bezog, die mit polnischen Rechten verbunden waren, und welches nicht mit den deutschen Parteien verhandelte, sondern eine Stimme der polnischen Gemeinschaft war, ihre Absichten vertrat und ihre Rechte schützte. Oft glich er allerdings der Stimme eines in der Wüste Rufenden, aber manchmal gelang es tatsächlich, reale Effekte zu erzielen, so wie im Jahr 1859, als es dank den lauten Interpellationen der polnischen Abgeordneten gelang, den Widerstand der Provinzverwaltung zu brechen und in Posen das erste in den polnischen Gebieten existierende Denkmal des vor vier Jahren gestorbenen Adam Mickiewicz zu errichten. Das Ende der 50er Anfang der 60er Jahre brachte eine erneute Aktivierung der polnischen Bewegung, deren erstes Anzeichen die Entstehung der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften (Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk) war. Ein wichtiger allgemeinpolnischer Impuls waren die Ereignisse in Kongresspolen, insbesondere die sog. moralische Revolution, die durch die tragischen Ereignisse vom 27. Januar 1861 initiiert wurde, als während der Demonstration in Warschau fünf polnische Patrioten den Russen zum Opfer fielen. Die national-religiösen Demonstrationen umfassten auch Posen, und mehr noch, die patriotischen Emotionen kamen auch auf organisatorischer Ebene zum Ausdruck, man denke nur an die im Jahr 1861 in Posen entstandene Zentrale Wirtschaftsgesellschaft (Centralne Towarzystwo Gospodarcze), die Entsprechung der Warschauer Wirtschaftsgesellschaft, die in den nächsten Jahrzehnten die Hauptform der Aktivität der polnischen Gutsherrschaft bleiben sollte. Nach dem Ausbruch des Aufstandes eilten die Posener wieder nach Kongresspolen. In den ersten Monaten war die Provinz Posen auch eine wichtige Unterstützung der aufständischen Bewegung, obwohl es auch Gegenstand eines heißen Streits war, der die lokalen Eliten teilte, deren einer Teil sich gegen einen keine Aussichten auf Erfolg habenden Aufstand aussprach. Und es stellte sich heraus, dass diese letzteren Recht behalten sollten, da die rücksichtslose Niederschlagung des Januaraufstandes durch die Russen die größte polnische Niederlage des XIX. Jh. war, und auch einen riesigen Hieb für die Posener bedeutete. So schrieb „Dziennik Poznański” (Posener Tageszeitung) „Wir sind in der Lage eines Landwirts, dem das Feuer die Scheunen abbrannte, der Hagel das Getreide schlug und die Seuche das Vieh raubte“ (Nr. 230, 8.10.1865). Allerdings ist gerade in der Mitte der 60er Jahre die frühere Bewegung der organischen Arbeit nicht nur wiedererstanden, sondern hat sich auch intensiviert, was in der Entstehung einer Reihe von Organisationen zum Ausdruck kam, die, obwohl sie Lohngenossenschaften, Wirtschaftsgenossenschaften und landwirtschaftliche Kreise waren, in den nächsten Jahrzehnten doch eine Schlüsselrolle in der polnischen nationalen Aktivität spielen sollten. Zu derselben Zeit stellte sich den Polen ein gefährlicher Gegner entgegen, der geradezu zum Symbol der antipolnischen Politik des preußischen Staates in der zweiten Hälfte des XIX. Jh. werden sollte. Es war einer der größten europäischen Politiker dieser Zeit der Hauptschöpfer der Deutschen Einigung – Otto von Bismarck, der im Jahr 1862 das Amt des Premiers des preußischen Staates übernahm. Bismarck, der lange als ein unberechenbarer Politiker galt und daher nicht allzu ernst genommen wurde, hat bereits zu Beginn seiner Karriere seine eindeutig negative Einstellung zu der polnischen Sache geäußert. Mit Fleisch und Blut ein Junker betrachtete er mit Verachtung die frühere Unterstützung der Polen durch die städtischen Liberalen, und hielt sie für ein Zeichen ihrer politischen Dummheit. Mit eisernem Realismus wies er darauf hin, dass der Wiederaufbau des polnischen Staates bewirken müsste, dass die Polen nicht nur die in den Händen Preußens sich befindenden Gebiete, die einen wichtigen geopolitischen Bestandteil der Integrität des preußischen Staates bilden, zurückfordern würden, sondern auch Ostpreußen und Pommern. Er fand also, dass die Wiedererstehung des unabhängigen Polens im strukturellen Widerspruch zu den preußischen/deutschen staatlichen Interessen stehen würde. Schon als Premier hat er mit Besorgnis die Entwicklung der Situation in Kongresspolen beobachtet, insbesondere die Reformen von Aleksandr Wielkopolski, in welchen er eine enorme Gefahr erkannte, weshalb er mit Erleichterung den Ausbruch des Januaraufstandes und gleich danach – des Aufstandes vom 8. Februar 1863 – vernahm und mit Russland die sog. Alvensleben’sche Konvention abschloss. Man sollte die Tatsache beachten, dass die Situation im russischen Teilungsgebiet für die polnische Politik Berlins von Schlüsselbedeutung war. Die Stärkung der Position der Polen im russischen Staat würde nämlich die Anwendung eines strengeren Kurses gegenüber ihren Landsleuten in Preußen unmöglich machen, weil sie ihre zentrifugalen Bestrebungen stärken und sie gleichsam Russland in die Arme werfen würde. In dieser Situation gab die brutale Niederschlagung des Aufstandes und die Einschlagung durch Petersburg eines entschieden antipolnischen Kurses Berlin ein grünes Licht, um Maßnahmen einzuleiten, die die Marginalisierung der polnischen Gemeinschaft bezweckten. Bismarcks Rede vom 18. März 1867 wurde zu einer Art politischem Manifest in polnischer Sache. Sie war eine Antwort auf die Rede des polnischen Abgeordneten Kazimierz Kantak – in dem Parlament des nach dem Sieg über Österreich im Jahr 1866 ins Leben gerufenen Norddeutschen Bundes. Dabei ging es wiederum um die Zugehörigkeit der Provinz Posen zu diesem Bund, wogegen traditionell Kantak protestierte. Bismarck stellte das Recht des Posener Abgeordneten in Frage, sich im Namen der Polen zu dieser Sache zu äußern, indem er betonte, dass er durch die preußischen Untergebenen in das deutsche Parlament gewählt wurde. Vor allem hat Bismarck eine eigentümliche Dekonstruktion des Begriffes des polnischen Volkes vorgenommen, unter welchem Kantak die 17 Millionen Menschen verstand, die im Gebiet der Rzeczpospolita im Jahr 1772 lebten. Bismarck machte darauf aufmerksam, dass das gesamte Gebiet des ehemaligen östlichen Polens größtenteils durch die russische, russisch-orthodoxe Bevölkerung besiedelt sei, die näher der russischen Regierung stehe als dem polnischen Adeligen, der - seiner Meinung nach – „eines der reaktionärsten Wesen ist, die Gott jemals erschaffen hat“. Allein dieser Umstand reduziere die Zahl der ethnischen Polen auf 6,5 Millionen, wovon jedoch die meisten Bauern seien, die genau wie ihre russischen Landsleute, den polnischen Adel hassen und loyal gegenüber der Regierung seien, wofür der blutige Galizische Bauernaufstand von 1846 und die großpolnischen Ereignisse während des Völkerfrühlings der beste Beweis wären, als – nach Bismarcks Ansicht die polnische Bewegung nur die Landarbeiter unterstützten und die Bauernhofbesitzer sich von ihr fernhielten. Ein wichtiges Argument war auch die loyale Haltung der polnischen Soldaten hauptsächlich bäuerlicher Abstammung während der durch Preußen geführten Kriege gegen Dänemark und Österreich. Das polnische Problem schränke sich damit auf eine kleine Gruppe von adeligen Unruhestiftern und auf die sie unterstützende Geistlichkeit ein, die einen negativen Einfluss auf die im Grunde genommen loyalen und mit der preußischen Regierung zufriedenen Massen der polnischen Bauern habe. Diese klaren Ansichten, die wie es scheint repräsentativ für die preußischen Eliten waren, fanden Ausdruck in den nachfolgenden Phasen der preußischen Politik gegenüber Polen, die in den nächsten Jahrzehnten eingeleitet wurden. Die erste Phase war die nach der Gründung des deutschen Reiches begonnene Politik des Kulturkampfes, die gegen die katholische Kirche und gegen den politischen Katholizismus in Deutschland gerichtet war, aber auch ihren deutlichen polnischen Aspekt hatte. Den ersten Schritt bildete der sog. Kanzel-Paragraf, der es erlaubte, die Geistlichen für eine Predigt zu bestrafen, die durch die Obrigkeit als schädlich für die Rechtsordnung bewertet wurde, und die sog. Mai-Rechte von 1873 unterordneten die Bildung der Kleriker der staatlichen Aufsicht und erteilten der Regierung eine entscheidende Stimme in der Sache der Besetzung der geistlichen Stellen, und zwar samt den Pfarrstellen. Im Großherzogtum folgten diesen Verordnungen auch Gesetze, die die polnische Sprache aus dem Gymnasialunterricht entfernten, darunter auch aus dem Religionsunterricht, und die Deutsch als Unterrichtssprache auch in den Volksschulen einführten, die der Aufsicht des Staates unterzogen wurden, indem man dieses Vorrecht der Kirche wegnahm. Dem hat sich entschlossen der Gnesener Erzbischof Mieczysław Ledóchowski entgegengestellt, der im Februar 1874 verhaftet, und in zwei Jahren aus Preußen verbannt wurde. Im Gefängnis wurden auch viele andere Geistlichen festgehalten, die sich nicht den Anordnungen der Obrigkeit unterordneten, und die an einer geheimen Verwaltung der Erzdiözesen und an illegaler Seelsorgetätigkeit beteiligt waren, wofür sich eine konspirative Gruppe junger Pfarrer, sog. „braciszkowie” (Ordensbrüderchen) engagierte. In der Mitte der 80er Jahre war bereits zu sehen, dass Bismarcks Politik des Kulturkampfes scheiterte, zumal sie weder eine Unterordnung der Kirche dem Staat noch eine Einschränkung der Einflüsse der katholischen Zentrumspartei erreichte, was den Kanzler des Reiches dazu nötigte, sich heimlich von ihren Hauptansätzen zurückziehen und mit dem Heiligen Stuhl einen Kompromiss zu schließen. Eines der Elemente der Ablenkung der Aufmerksamkeit von dieser Frage war der Anfang einer neuen Phase der Germanisierungspolitik, die – mit einem kurzen Zwischenspiel während der Regierung des Kanzlers Leo Caprivi in den Jahren 1890-1894 – bis hin zum I. Weltkrieg realisiert werden sollte. Ihren Anfang bildeten die sog. „rugi pruskie“ (Polenausweisungen) – d.h. Ausweisung aus dem Hoheitsgebiet des preußischen Staates von ca. 30 Tausend der dort lebenden Personen ohne die preußische Staatbürgerschaft, wovon 2/3 die Polen und den Rest die Juden und die russischen und österreichischen Untergebenen bildeten. Das war der erste Schritt in der Politik, die das Aufhalten der aus Berliner Sicht ungünstigen Erscheinungen in den östlichen Gebieten Deutschlands beabsichtigte, aus welchen immer mehr Deutsche und Juden gen Westen zogen (sog. „Ostflucht“), wohingegen sich der Prozentsatz der polnischen Bevölkerung vergrößerte. Wenn nämlich im Jahr 1871 61 % der Provinzeinwohner Polen waren, so waren es im Jahr 1910 schon fast 65 % Polen von der Gesamtzahl der 2 100 in Posen lebenden Personen. Und außerdem, trotz der lauten Versicherungen der preußischen Politiker über die Verbundenheit des polnischen Volkes mit der Monarchie der Hohenzollern unterlagen die Polen zumindest nicht der „Preußifizierung“ und ihr besonderer nationaler Charakter ging nicht verloren. Dem sollte im Jahr 1886 die Gründung der Königlichen Preuβischen Ansiedlungskommission für Westpreuβen und Posen entgegenwirken, eines staatlichen Organs mit dem Sitz in Posen, das im Gebiet der Provinz Posen und in Westpreußen, welches ungefähr die heutigen Pommerellen erfasste, tätig war. Dank den riesigen staatlichen Zuwendungen, die bis zum Ende des Jahres 1912 fast 800 Millionen Mark betrugen, sollte diese Kommission die Landgüter, insbesondere polnische, abkaufen, um dort in kompakten Gruppen die deutschen Siedler anzusiedeln. Dabei ist zu beachten, dass die preußische Gesetzgebung zum ersten Mal eine der Idee eines Rechtsstaates widersprechende und offensichtlich diskriminierende Regel einer Unterstützung ausschließlich der Deutschen aus dem Budget, der sich doch aus den auch durch Polen gezahlten Steuern zusammensetzte, angewendet hat. Wichtig war die Begründung dieses Sachverhalts, es wurde nämlich auf die Rückständigkeit der östlichen Provinzen in Bezug auf die restlichen Teile des preußischen Staates hingewiesen, was mit dem in diesen Gebieten (zumindest im Großherzogtum) bestehenden demografischen Übergewicht der Polen zusammenhängen sollte, und was man nur durch die Ansiedlung der Deutschen, der natürlichen Träger der höheren Zivilisation ändern könnte. Diese „Hebungspolitik“ – d.h. die Politik der Aufrichtung der östlichen Provinzen fand auch in der Umgestaltung Posens, der Hauptstadt der Provinz, in eine Stadt der kaiserlichen Residenz, in welcher ein repräsentatives Stadtviertel mit einem über es emporragenden, monumentalen Schloss – dem Sitz von Wilhelm II. erbaut wurde, ihren Niederschlag. Eines der dort errichteten Gebäude war für die Ansiedlungskommission bestimmt, das Symbol der neuen Politik gegenüber den östlichen Provinzen. Trotz der Millionen von Mark, die wie in einen Fass ohne Boden fielen, als welches sich das Budget der Ansiedlungskommission erwies, war ihre Tätigkeit nicht zufriedenstellend, was weitere rechtliche Regelungen nach sich zog. Im Jahr 1904 überließ die Novellierung des Gesetzes über die Ansiedlungskommission das Recht zur Erteilung der Baugenehmigung für ein neu erworbenes Grundstück der willkürlichen Entscheidung der Verwaltungsbehörden; die Absage, die den Bauer Michał Drzymała traf, bewirkte, dass er in einem Zirkuswagen wohnte, was zu einer in ganz Europa bekannten Demonstration des Widerstandes gegen die diskriminierende preußische Politik wurde. Im Jahr 1908 wurde wiederum ein Enteignungsgesetz erlassen, der einen Zwangsaufkauf durch den Staat der heruntergekommenen Landgüter erlaubte, was als Verletzung des Eigentumsrechts, als eines der Fundamente der modernen Zivilisation auf eine allgemeine Verurteilung stieß.

Neben des Kampfes um die Gebiete strebte der deutsche Staat nach weiterer Eliminierung der polnischen Sprache aus dem öffentlichen Raum. Im Jahr 1901 führte die Entfernung der letzten Enklave des Polentums in den Schulen, des Gebets in polnischer Sprache, zu einem Streik der Schulkinder in der Schule in Września, der sich dann auf das gesamte Herzogtum ausbreitete; die nächste Welle der Schulstreiks fand im Jahr 1906 statt. Im Jahr 1908 wurde wiederum das sog. Maulkorbgesetz erlassen, welches – außer bei den Kundgebungen im Rahmen der Wahlen – die Verwendung der polnischen Sprache bei den Versammlungen der polnischen Organisationen in den Gemeinden, in welchen Polen weniger als 60% der Einwohner bildeten, verbot. Hinzu kamen noch unterschiedliche Einschränkungen und Schikanen seitens der Verwaltung, denen die polnische Aktivität nahezu auf jedem Gebiet ausgeliefert war; als sich herausstellte, dass ein polnischer Lehrer eines in Posen neu entstandenen Auguste-Viktoria-Gymnasiums seine Ersparnisse in einer polnischen Bank aufbewahrt, wurde dieser Umstand als eine unpassende Haltung für einen preußischen Beamten angesehen und es wurde der Wechsel zu einer deutschen Bank verlangt. Berlins Politik führte also zu einer eigentümlichen Privatisierung des Polentums, welches von Grund auf aus dem öffentlichen Raum verdrängt und in einem auf unterschiedlichste Arten eingeschränkten polnischen Reservat eingesperrt wurde. Diese Maßnahmen wurden durch den im Jahr 1894 entstandenen Deutschen Ostmarkenverein unterstützt, der ausgehend von den Initialbuchstaben der Nachnamen der drei Gründer „Hakata“ genannt wurde. Es war eine nationalistische Organisation, die die deutsche Gemeinschaft zum Kampf gegen die polnische Gefahr mobilisierte. Gleichzeitig wurde das Stereotyp des polnischen Versagertums, der kulturellen Zweitrangigkeit, der betrunkenen Bauern, der von der Kanzel die Politik steuernden Geistlichkeit und eines Adels, der bei Karten- und Roulettespielen seine Besitztümer verspielte, verbreitet. Als dann am 28. Januar 1886 Bismarck, der die Notwendigkeit des Erlassens eines Gesetzes über die Ansiedlungskommission begründete, bösartig bemerkte, dass der deutsche Staat dem polnischen Adel erlauben wird, sich der ihm lästigen Pflichten zu entledigen und sich in Monaco abzusetzen, wo er sich - in den dortigen Kasinos - am besten fühlen würde, lautete die polnische Antwort, die auf der ersten Titelseite des „Dziennik Poznański” (Posener Tageszeitung) gedruckt wurde: „Wir gehen nicht nach Monaco“ (Nr. 28, 5.02.1886). Und in der Tat kamen die Polen unerwartet gut mit der für sie immer bedrückender werdenden Situation zurecht. Sie testeten auch unterschiedliche Möglichkeiten, und nach der Amtsenthebung des Eisernen Kanzlers im Jahr 1890 unternahm ein Teil der konservativen Politiker sogar den Versuch, sich mit dem preußischen Staat zu verständigen, und erhielt dafür sogar bestimmte Zusagen, was allerdings mit einem Fiasko endete. Die Preußen ignorierten offensichtlich die Änderungen, die in der polnischen Gesellschaft stattfanden. Die Rolle eines Anführers der polnischen Gesellschaft übernahm anstelle des Adels, dessen Vermögenssituation und gesellschaftliche Situation systematisch immer schwächer wurde, die Intelligenz. Eine wichtige Rolle spielte die Geistlichkeit, die eine leitende Position im Kreise der polnischen nationalen Vorhaben übernahm, darunter z.B. in dem für den Aufbau der wirtschaftlichen Position sehr bedeutenden Verband der Erwerbsgesellschaften (Związek Spółek Zarobkowych), dessen Schirmherr der Pfarrer Augustyn Szamarewski war, und später das wirtschaftliche Naturtalent, der Pfarrer Piotr Wawrzyniak. Darüber hinaus spielte bei der Modernisierung der polnischen Gesellschaft die Auswanderung in die Industriegebiete Westdeutschlands, nach Westfalen und in das Ruhrgebiet eine Rolle, welche die dort erarbeiteten Vermögen nach Posen zurückbrachte. Daher erwies sich dann auch im Jahr 1914, dass die Polen insgesamt den Wettkampf mit der durch die Regierung dotierten Ansiedlungskommission gewannen, indem sie über 100 Tausend ha mehr Boden erwarben als sie. Die polnische Präsenz in den Städten, insbesondere in den kleineren, wo man immer effektiver mit den deutschen und jüdischen Nachbarn konkurrierte, wurde auch immer stärker.

Wenn im Jahr 1882 nur ein Viertel der Eigentümer der Handelsunternehmen Polen waren, dann stieg im Jahr 1907 ihr Prozentsatz auf über 43% an. Die polnische Aktivität und Wirksamkeit im Sich-Wiedersetzen der Politik des mächtigsten Staates in Europa wurde beobachtet und gab nicht nur den Politikern, sondern auch den deutschen Wissenschaftskreisen zu denken. Im Zusammenhang damit entstanden zu Beginn des XX. Jh. einige wirtschaftlich-gesellschaftliche Analysen zu diesem Thema. Der Autor einer von ihnen war Ludwig Bernhard, der kurzfristig in der im Jahr 1903 entstandenen Königlichen Akademie in Posen beschäftigt wurde, der Autor des im Jahr 1907 herausgegebenen Werkes „Das polnische Gemeinwesen im der Provinz Posen. Die Polenfrage”. Trotz der deutlich negativen Einstellung war die Arbeit von Bernhardt ein deutlicher Lob der polnischen Organisationsaktivität, wies auf die grundlegende Bedeutung der polnischen Geistlichkeit bei der Steuerung des Organisationssystems und auf die Geschicklichkeit der führenden Kreise bei der Nutzung des preußischen Gesetzes zur Erreichung der polnischen Ziele hin. Als Gegenmittel schlug Bernhard eine Intensivierung der deutschen Kolonisationsmaßnahmen vor, die die nationalen Verhältnisse im Großherzogtum ändern sollten. Zu anderen Schlussfolgerungen kam wiederum Moritz Jaffe, der Autor des im Jahr 1909 herausgegebenen Buches „Die Stadt Posen unter preußischer Herrschaft”, der skeptisch gegenüber der dörflichen Ansiedlung war und darauf hinwies, dass sich der Kampf um Posen in den Städten abspielen wird, in welchen die Polen immer mutiger auftraten. Somit herrschte im deutschen Diskurs keine Einigkeit im Diagnostizieren der Situation, und die in den offiziellen Situationen wiederholten lauten Erklärungen, dass diese Gebiete ewig in deutschen Händen bleiben würden, verdeckten ernsthafte Zweifel. Diesen Zweifeln verlieh der im Jahr 1911 in der Königlichen Bibliothek in der Hauptstadt der Provinz arbeitende Gotthold Schulz-Labischin Ausdruck, der in seiner poetischen Vision von dem deutschen Posen die Legende von den polnischen Rittern anführte, die „tief unter der Kathedrale und dem [bischöflichen] Schloss“ schlafen und nur auf einen Aufruf zum Kampf und zum Sieg warten. Und sieben Jahre später verlautete dieser Aufruf tatsächlich.