Nach dem Aufstand

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Großpolnischer Aufstand in der deutschen Erinnerungspolitik der Ostmark in den Jahren 1919-1945

Olgierd Kiec

Das Kultivieren der Erinnerung an den Großpolnischen Aufstand hatte und hat immer noch einen lokalen Charakter. Der Kult der gefallenen Helden, die den Veteranen der Kämpfe erwiesene Ehre, die Denkmale und Gedenktafeln, die Straßennamen, die Schirmherrn der Schulen und der militärischen Einheiten, professionelle historische Untersuchungen, die Szenen des Aufstandes in der bildenden Kunst, Literatur und im Film – das aller prägte vor allem das regionale Bewusstsein der Einwohner Großpolens. Diese Feststellung gilt für den Aufstand sowohl in der Erinnerung der Polen als auch in der Erinnerung der Deutschen, nur mit dem Unterschied, dass die polnische Erinnerung an den Aufstand sich schon seit hundert Jahren entwickelt und bis heute noch andauert, während die deutschen Erinnerung an dieses Ereignis nach 1945 plötzlich abbrach. Die Hauptursache dafür war die Veränderung der Grenzen nach dem zweiten Weltkrieg. Grundsätzlich war nämlich das Gebiet, in dem die Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen ein wesentliches Element der regionalen Erinnerungspolitik bildeten, die deutsche Ostmark, die im Jahr 1945 größtenteils durch den polnischen Staat übernommen wurde, der die lokale deutsche Bevölkerung aussiedelte; der verbleibende Teil der Ostmark fand sich in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein, was auch nicht der Pflege der Erinnerung an die Kämpfe gegen die Polen im zweiten Jahrzehnt des XX. Jh. förderlich war.

Die Ostmark ist ein Begriff, der an die mittelalterlichen deutschen Eroberungen und an die Kolonisierung anknüpft, mit dem die Grenzgebiete benannt wurden, die einer besonderen Behandlung wegen der Gefahr eines Angriffs von außen oder wegen des Anschlussstrebens der unterworfenen Bevölkerung bedurften. Er war in der Zeit der Gestaltung des modernen Nationalismus in der zweiten Hälfte des XIX. Jh. im allgemeinen Gebrauch, als man anfing, mit ihm alle östlichen Provinzen der preußischen Monarchie der Hohenzollern zu bezeichnen; und eine ähnliche Nomenklatur verwendete man auch in der österreichisch-ungarischen Monarchie und in Bayern. Die Haupteigenschaft, die es erlaubte, eine konkrete Provinz der Ostmark zuzurechnen, war ein beachtlicher Prozentsatz der nationalen Minderheiten. Im Falle der preußischen Monarchie stellten die Polen die größte Minderheit dar, die nicht nur zahlreich war, sondern – was am wichtigsten ist – auch ihren Widerwillen gegen die deutsche Regierung demonstrierte, wodurch sie ein Feld unaufhörlicher politischer Konfrontationen bildete. Wenn man demnach die Präsenz der Polen als wichtigste Eigenschaft der Ostmark ansieht, dann kann man ihre Reichweite auf das Gebiet der Provinz Posen, Provinz Westpreußen, Provinz Ostpreußen und Oberschlesien einschränken. Unter Ostmark wurde zwar eine größere Region verstanden, die auch Westpommern, Niederschlesien, Brandenburg, Mecklenburg und Sachsen umfasste, aber es waren nicht die hauptsächlichen Gebiete des polnisch-deutschen Nationalkampfes. Die informelle Hauptstadt der Ostmark konnte in dieser Situation nur Posen sein, das Hauptzentrum der polnischen nationalen Bewegung im preußischen Teilungsgebiet. Gerade hier entstand im Jahr 1894 der berühmte nationalistische Deutsche Ostmarkenverein, der durch die Polen „Hakata“ genannt wurde.

In den Jahren 1919-1920 wurden jedoch nicht alle Städte und Dörfer Großpolens und Pommerns an den wiedererstandenen polnischen Staat angeschlossen. Jenseits der Grenzen der Zweiten Rzeczpospolita blieben Piła (Schneidemühl), Złotów (Flatow), Wałcz (Deutsch Krone), Trzcianka (Schönlake), Międzyrzecz (Meseritz), Babimost (Bomst), Kargowa (Karge) und Wschowa (Fraustadt), die der vollkommen neuen preußischen Provinz Grenzmark-Posen-Westpreußen einverleibt wurden. Die Hauptaufgabe dieser neuen Verwaltungseinheit sollte die Bewahrung des Erbes zweier verlorener Provinzen und die Unterstützung der Identifikation der lokalen Deutschen mit den Traditionen der verlorenen Gebiete Großpolen und Pommern, und gleichzeitig die Demonstration der Missbilligung der territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages und Schaffen der Voraussetzungen für eine Revision der polnisch-deutschen Grenze sein. Die so formulierten Ziele der Bildung der Grenzmark bewirkten, dass man noch bis 1938 eine territoriale Struktur beibehielt, die recht unvernünftig war – die Provinz bestand aus drei voneinander entfernten Teilen, die von Norden, Westen und Süden an die polnische Woiwodschaft Posen grenzte. Als problematisch erwies sich auch die Festlegung der Hauptstadt der Grenzmark, zumal Piła (Schneidemühl), die knapp 20 Tausend Einwohner zählte, die einzige größere Stadt in ihrem Gebiet war.

Während der gesamten Zwischenkriegszeit hatte die Grenzmark mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Die künstlich festgelegten Grenzen, die kleine Bevölkerungszahl, die durch die Landwirtschaft dominierte Wirtschaft, ein beachtlicher Prozentsatz an Wäldern und das Fehlen großer städtischer Zentren – darunter insbesondere einer Universitätsstadt - bewirkten einen ständigen Abgang der Einwohner, die nicht nur Probleme hatten, eine Beschäftigung zu finden, sondern sich auch ungerne mit der künstlich erschaffenen Region identifizierten, die keine bedeutenden Denkmäler oder wichtige Ereignisse in der Vergangenheit vorzuweisen hatte. Eine zusätzliche Bedrohung der Position der Westmark stellte die konkurrierende Vision der an sie angrenzenden Region dar, die bereits im Jahr 1919 durch die Obrigkeit in Frankfurt an der Oder angekündigt wurde. Diese Stadt war die Hauptstadt einer der beiden Regierungsbezirke, die der Provinz Brandenburg angehörten (die zweite war der Regierungsbezirk Potsdam). Der Regierungsbezirk Frankfurt, der u.a. solche Städte wie Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski), Guben, Forst, Cottbus, Kostrzyn (Cüstrin) und Sulechów (Züllichau) umfasste, wurde nach dem Wiederaufbau der polnischen Staates und der Festlegung der neuen Grenze zu einem Grenzgebiet, das inoffiziell Mittlere Ostmark genannt wurde. Die Frankfurter Beamten hatten aber den Ehrgeiz, ihre Stadt zum Zentrum der gesamten polnisch-deutschen Mittleren Ostmark zu machen, die die Luke zwischen Westpommern und Niederschlesien füllen sollte. Frankfurt an der Oder hatte auch allen Grund, solche Ansprüche anzumelden: es war eine große Stadt, die zahlreiche repräsentative Gebäude besaß, die als Sitze für Ämter dienen konnten, es war ein wichtiger (Straßen-, Bahn-, See-) Verkehrsknotenpunkt, es besaß Sekundarschulen, ein Theater, eine Bibliothek, denkmalgeschützte Objekte und eine ins Mittelalter zurückreichende historische Tradition. In der Geschichte der Stadt spielte die Universität Viadrina (1506-1811) eine wichtige Rolle, die als eine Brücke zwischen dem Westen und dem Osten vorgestellt wurde und Studenten aus slawischen Ländern anzog.

Beide Städte, Piła und Frankfurt an der Oder waren jedoch grundverschieden, was ihre Erfahrungen in den Jahren 1918-1920 angeht. Piła war eine Stadt, die die Front, an der Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen stattfanden, versorgte und ein Ort der Rekrutierung vieler deutscher Soldaten des Grenzschutzes. Das Hauptzentrum des deutschen Widerstandes war in Wirklichkeit Bydgoszcz (Bromberg), aber gerade aus dieser Stadt, die im Januar 1920 der polnischen Obrigkeit übergeben wurde, stammte eine entscheidende Gruppe deutscher Beamten, die die Verwaltung der Provinz Grenzmark in Piła bildeten. Der Hauptbefürworter der Erschaffung jener Grenzmark war der Regierungspräsident von Bromberg Friedrich von Bülow, der, nachdem die polnischen Aufständischen Posen besetzt haben, auch die Pflichten des Regierungspräsidenten der gesamten Provinz Posen (bis Januar 1920) übernahm. Er war ein Beamter mit großer Erfahrung, der in der Vergangenheit u.a. in Schleswig arbeitete, wo die Deutschen mit der dänischen Minderheit konfrontiert waren. Bülow zog aus Bromberg nach Piła um, wo er eine neue Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen organisierte, die formal im Jahr 1922 ins Leben gerufen wurde. Damals hat er auch das höchste Amt in der Grenzmark übernommen, nämlich das Amt des Oberpräsidenten.

Im Juli 1926, als er Wszowa (Fraustadt) besuchte, d.h. den entferntesten Kreis seiner Provinz (Kreis Fraustadt), hat Bülow eine umfassend kommentierte Ansprache gehalten, in der er die Programmthesen seiner Tätigkeit präsentierte. Er betonte damals, dass die Einwohner der Grenzmark ihr Gebiet nicht durch Volksabstimmung, sondern mit „Flinte und Maschinengewehr“ erobert hatten, daher sei unter ihnen der „Ostmarkengeist“ lebendig, nach dem man vergeblich in anderen Provinzen suchen würde, darunter auch in Ostbrandenburg. Jener Geist im Grenzgebiet sei jedoch ein grundanderer als der in Nordschleswig herrschende Geist, wo die Deutschen mit den Dänen rivalisieren, behauptete Bülow, der sich auf seine vorkriegszeitlichen Erfahrungen als Beamter berief. An der nördlichen Grenze stehen nämlich zwei germanische, rassisch ebenbürtige Nationen einander gegenüber, während im Osten die Deutschen und die Polen zwei vollkommen fremde Welten darstellen, die eine unüberwindliche Kluft trennt. Wenn man über diese Worte nachdenkt, muss man beachten, dass Piła trotz ihres Status als Hauptstadt eine kleine Stadt an der Peripherie war, die wenig attraktiv für die lokalen Deutschen war; und die unnatürliche Lage und Gliederung Provinz erlaubte es nicht, sich auf eine gemeinsame historische Tradition als Grundlage der regionalen Identität zu berufen. Mit umso größerem Nachdruck bediente sich Bülow der Erinnerung an die kürzlich stattgefundenen Kämpfe gegen die Polen, worin er ein einfaches und bequemes Instrument für die Mobilisierung der Deutschen in dem ihm unterstehenden Gebiet erblickte.

Die Durchsetzung der regionalen Erinnerungspolitik auf der Grundlage der Erinnerungen an die Verteidigung des „kleinen Vaterlandes“ gegen die Polen war natürlich eine künstliche Konstruktion, die sich aber auf die weit verbreiteten Stereotypen berief, die es bereits früher gab, und die nach 1919 in der deutschen Literatur über den Großpolnischen Aufstand bestätigt wurden. Ein charakteristisches Beispiel war die erste ausführliche Publikation, die an die Kämpfe des deutschen Grenzschutz-Bataillons in Bydgoszcz (Bromberg) an der nördlichen Front an der Netze erinnerte. Ihr Verfasser war Kart Stephan, der sein Buch im Sommer 1919 in Bydgoszcz schrieb und es mit Unterstützung des Magistrats von Bydgoszcz herausgab; eine weitere Ausgabe erschien noch im selben Jahr in Piła. Allein schon der Titel „Der Todeskampf der Ostmark“ charakterisierte zur Genüge den Charakter des Kampfes gegen die polnischen Aufständischen als einen grausamen Krieg um die Erhaltung der Heimat, die durch langjährige Arbeit mehrerer Generationen der deutschen Siedler mühevoll aufgebaut wurde. Laut Staphan war allein schon die Auflehnung der Polen im Jahr 1918 eine Überraschung, weil die Deutschen sie nicht als eine vollständig ausgeformte, einheitliche Nation betrachteten, und mehrere Jahrzehnte des friedlichen Zusammenlebens mit den polnischen Untergebenen des preußischen Monarchen und vier Jahre ihres loyalen militärischen Dienstes in den Reihen der kaiserlichen Armee ließen nicht einen so gewaltsamen Ausbruch vermuten. Stephan war daher nicht um die Worte der Kritik verlegen, und warf den Polen vor, sie würden die verletzten Deutschen totschlagen, Kriegsgefangene foltern und seit Mitte Februar 1919 ständig gegen die Waffenstillstandsbestimmungen verstoßen. Im Kampf gegen einen so brutalen und hinterhältigen Gegner formte sich die Identität der Deutschen des nördlichen Teils der Provinz Posen, und die Publikation sollte eine Quelle des Wissens für die kommenden Generationen darstellen, denen die Überzeugung eingeschärft werden sollte, dass „ein Deutscher zu sein, soviel bedeutet wie ein Kämpfer zu sein“.

Die Publikationen der Erinnerungen an die Kämpe auf einzelnen Frontabschnitten erschienen auch in anderen, kleineren Orten der Grenzmark, die in den westlichen und südlichen Teilen der ehemaligen Provinz Posen gelegen waren. Kurze, ein paar Seiten lange Erinnerungen an die Jahre 1918-1920, die von unterschiedlichen Episoden der Kämpfe gegen die Aufständischen erzählten, wurden in den beiden Jahrzehnten der Zwischenkriegszeit in vielen lokalen Zeitschriften und regionalen Kalendern der Grenzmark Posen-Westpreußen publiziert. Es fehlte jedoch ausdrücklich eine Zentrale, die systematische historische Untersuchungen durchführen und die sich lebendig entwickelnde Erinnerung mit den nüchternen Daten der historischen Quellen konfrontieren würde. In Piła, der Hauptstadt der Provinz, gab es zwar keine Universität, die berufliche Historiker beschäftigen würde, aber seit 1925 existierte in dieser Stadt die Grenzmärkische Gesellschaft zur Erforschung und Pflege der Heimat, die mit den Akademikern aus Berlin und Königsberg zusammenarbeitete und die wissenschaftliche Zeitschrift „Grenzmärkische Heimblätter“ herausgab. Und gerade diese Gesellschaft wurde zu einer institutionellen Stütze für die professionelle Forschung auf dem Gebiet der Kämpfe gegen den polnischen Aufstand. Eine führende Gestalt, die die Untersuchung der „Kämpfe bei der Verteidigung der Grenze“ organisierte, war Hans Jakob Schmitz, ein Neuankömmling aus Rheinland, ehemaliger Lehrer in Posen, Leszno und Rawicz, der in den Jahren 1918-1919 auch ein Teilnehmer der Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen war. Im Jahr 1922 bekam er die Stelle eines Gymnasiallehrers in Piła, und nach der Gründung der oben genannten wissenschaftlichen Gesellschaft im Jahr 1925 wurde er ihr stellvertretender Vorstand und Leiter der historischen Abteilung. Im Jahr 1931 wurde er auch Herausgeber der Zeitschrift „Grenzmärkische Heimatblätter”, und ab diesem Moment begann die mehrjährige Phase intensiver Forschungsarbeiten, deren Ergebnis zahlreiche Publikationen waren.

Schmitz und seine Mitarbeiter gaben mehrfach zu, dass die Inspirationsquelle und das Vorbild für ihre rege Aktivität, polnische Initiativen waren, die mit der Dokumentation und der Bewahrung der Erinnerungen an die aufständischen Kämpfe zusammenhingen. Es wurde hier insbesondere auf die Tätigkeit der im Jahr 1927 entstandenen Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte des Großpolnischen Aufstandes (Towarzystwo dla Badań nad Historią Powstania Wielkopolskiego) hingewiesen. Somit fingen die deutschen Historiker aus Piła ähnlich wie die Forscher aus Posen damit an, Dokumente und Abhandlungen, die den Verlauf der Ereignisse auf den einzelnen Frontabschnitten darstellten, zu sammeln.

Obwohl die Entscheidung, mit der Erforschung zu beginnen, in Piła schon im Jahr 1930 getroffen wurde, so fällt es schwer, zu übersehen, dass die deutschen Historiker die günstige politische Konjunktur nach der Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten im Jahr 1930 nutzten. Die Nationalsozialisten schickten zwar Bülow in den Ruhestand, betonten aber gerne die Bedeutung der Grenzmark als einer Grenzfestung und eines Fensters zum Osten, indem sie gleichzeitig das Kultivieren der Erinnerung an die Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen unterstützten. Ab 1934 erschienen in den aufeinanderfolgenden Heften der Zeitschrift „Grenzmärkische Heimblätter“ jeweils zwei oder drei Texte, die unterschiedliche Aspekte der Kämpfe in der Region von Rawicz, Leszno, Kargowa und Babimost, Trzciel, Zbąszyn, Trzcianka, Piła, Wyrzysk, Inowrocław darstellten. Manche, umfangreichere Texte wurden gleichzeitig als gesonderte Publikationen angeboten. Das betraf insbesondere das Werk von Schmitz selbst sowie eines seiner engsten Mitarbeiter, Richard Perdelwitz, des ehemaligen Pastors in Połajewo und Śmigiel. Außer den Quellentexten und Abhandlungen wurden in den „Grenzmärkischen Heimblättern“ auch Rezensionen und Besprechungen der polnischen und deutschen Abhandlungen über die politischen und militärischen Ereignisse während des Aufstandes, die durch Autoren außerhalb von Piła verfasst wurden, gedruckt. Eine der populärsten Publikationen dieser Art war das Buch von Georg Cleinow über die Tätigkeit der Deutschen Volksräte in der Region Bydgoszcz in den Jahren 1918-1919, die im Jahr 1934 in Berlin herausgegeben wurde. Eine eigentümliche Krönung der Arbeiten der in Piła versammelten Forscher bildete die bündige Abhandlung von Schmitz über den „Großpolnischen Aufstand und über die Kämpfe um die Verteidigung der Grenze“, die im Jahr 1938 herausgegeben wurde.

Das gedruckte Wort, sowohl in wissenschaftlichen Publikationen als auch in den populären für den Massenleser bestimmten Publikationen hatte aber nicht dieselbe Wirkung wie andere Instrumente der Erinnerungspolitik, wie etwa der Kult der in den Kämpfen gegen die polnischen Aufständischen Gefallenen. In den Städten und Dörfern der Grenzmark fehlte es zwar nicht an Denkmälern und Friedhöfen der Soldaten, Freiwilligen und Zivilisten, die während der Kriegshandlungen in den Jahren 1918-1919 umgekommen sind, aber es waren nur lokale Erinnerungsstätten, die den in einem konkreten Ort oder auf nur einem Frontabschnitt Gefallenen und Gestorbenen gewidmet waren. Eine zentrale Gedenkstätte entstand währenddessen in Frankfurt an der Oder, in der mit Piła um den Titel der Hauptstadt der gesamten Ostmark, d.h. der Grenzregion zwischen Pommern und Schlesien, konkurrierenden Stadt. Die Obrigkeit in Frankfurt bemühte sich zwar darum, die Funktion ihrer Stadt als einer die deutschen wirtschaftlichen und kulturellen Errungenschaften zu den polnischen Nachbarn transportierenden Brücke zu betonen , musste aber gleichzeitig mit einer zahlreichen Gruppe der Umsiedler aus der Provinz Posen rechnen. In der Metropole an der Oder hatte bereits im Jahr 1919 der Deutsche Heimatbund Posener Flüchtlinge seinen Sitz, der im Jahr 1920 durch den Deutschen Ostbund, einen mächtigen Bund der Flüchtlingsgesellschaften aus dem deutschen Osten, übernommen wurde. Der Vorsitzende des Bundes war Alfred von Tilly, ehemaliger Landrat des Kreises Posen-West, und das Presseorgan des Bundes war die in Berlin herausgegebene Wochenzeitschrift „Ostland“. In dieser Zeitschrift wurden oft Erinnerungs- und Jahrestags-Artikel über den Großpolnischen Aufstand publiziert, und der populäre Charakter der Zeitschrift vereitelte die Entstehung eines Kreises professioneller künftiger Forscher. Ähnlich war es mit der Zeitschrift „Heilige Ostmark“, die seit 1924 in Frankfurt an der Oder herausgegeben wurde, und frei von jeglichen wissenschaftlichen Ambitionen war.

In Anbetracht dieser Situation übernahm der lokale Frankfurter Verband der Grenzschutz-Veteranen die Initiative. Seit 1921 war Friedrich Karl Kriebel, ehemaliger Magistratsbeamter in Chełmża (Culmsee) bei Thorn, der 1884 in Kępno im südlichen Großpolen geboren wurde, sein Vorsitzender. Dank seinen Bemühungen wurde bereits im Jahr 1923 eine Gedenktafel für alle gefallenen und umgekommenen Soldaten, die gegen die Polen kämpften, gestiftet, und, was am wichtigsten ist – es wurde auch sorgfältig der Ort gewählt, wo sie angebracht wurde. Die Gedenktafel wurde nämlich im Innenbereich der Marienkirche, eines mittelalterlichen Gotteshauses, das schon im XVI. Jh. durch die Lutheraner übernommen wurde und als inoffizielle Kathedrale der Ostmark galt, eingemauert.

Die Gedenktafel enthielt keine Familiennamen, weil die genaue Zahl der Opfer letztlich unbekannt war. Kriebel verbrachte somit mehrere Jahre damit, eine Liste der Gefallenen und Vermissten zusammenzustellen, indem er den Verlauf aller Kämpfe und Gefechte überprüfte und die Verwandten der Teilnehmer der Kämpfe aufsuchte. Das Ergebnis war „Der deutschen Ostmark Ehrenbuch”, das im Dezember 1936 veröffentlicht wurde, 1211 Familiennamen der Getöteten (darunter der in den Lazaretten und Krankenhäusern Verstorbenen) und 317 Vermissten enthielt. Im Buch wurden nicht nur die Freiwilligen des Grenzschutzes erwähnt, sondern auch die Soldaten der regulären militärischen Abteilungen, Mitglieder der Bürgerwehren und Zivilisten. Zu den zivilen Opfern wurde Johannes Blankertz, ein Lehrer aus Rheinland, gerechnet, der sich in Posen als ein während des Krieges in die Armee einberufener Unteroffizier aufhielt. Nach dem Ausbruch der Revolution in Deutschland engagierte er sich im Posener Arbeiter- und Soldatenrat, indem er als ihr Bevollmächtigter die Arbeit des Polizeipräsidiums beaufsichtigte. Er wurde durch die Aufständischen ein paar Tage nach der Entfesselung der Kämpfe in Posen verhaftet, und – nach offiziellen Mitteilungen – wurde er dann während eines Fluchtversuches Anfang Januar 1919 erschossen. Einen besonderen Platz unter den aufgeführten Opfern wurde auch für die sieben Kriegsgefangenen reserviert (darunter fünf Flieger), die während des Aufstandes, am 12. Januar 1919, in der Zitadelle erschossen wurden. Alle Namen, die Kriebel aufführte, erschienen auf den neuen Gedenktafeln, die in der Frankfurter Marienkirche angebracht wurden. Sie wurden entsprechend eingerahmt, und befanden sich vor allem an einem neuen, ehrenvolleren Ort als die alte Gedenktafel aus dem Jahr 1923. Die neuen Gedenktafeln wurden an einer gut beleuchteten Stelle, in der Nähe des Altars, in unmittelbarer Nähe zu den Gedenktafeln, die an die an den Fronten des ersten Weltkrieges gefallenen Einwohner Frankfurts erinnerten angebracht. Die Feierlichkeit der Enthüllung und der Weihe des neuen Denkmals fand am 4. Juli 1937 statt, und es nahm an ihr der Bürgermeister von Frankfurt an der Oder, Martin Albrecht teil.

Die Enthüllung der neuen Gedenktafeln in der Metropole an der Oder kündigte eine beachtliche Verschiebung der Akzente der regionalen Erinnerungspolitik in dieser Stadt an, welche die Funktion einer wirtschaftlichen und kulturellen Brücke zum Osten immer mehr durch die Idee eines Bollwerks des Germanentums zu ersetzen versuchte. Das wurde deutlich nach der Veränderung der Verwaltungsgrenzen im Jahr 1938. Die Grenzmark mit der Hauptstadt in Piła verlor damals den Status der Provinz und wurde zu einer der drei Regierungsbezirke der Provinz Pommern. Die Veränderung der Grenzen war auch mit einer Rationalisierung der Verwaltung verbunden, zumal von dem Regierungsbezirk Schneidemühl (Piła) die Kreise Skwierzyna (Schwerin (Warthe)), Międzyrzecz (Meseritz), Babimost (Bomst), und Wschowa (Fraustadt) abgetrennt wurden. Die beiden ersteren Kreise, ein Teil des Kreises Bomst und der Kreis Fraustadt fanden sich im Regierungsbezirk Liegnitz (Legnica) ein, der zur Provinz Schlesien gehörte. Durch die damals vollzogenen Veränderungen der Verwaltungsgrenzen wurde das Gebiet Ostbrandenburgs, das unmittelbar an die Woiwodschaft Posen angrenzte, vergrößert und vor allem wurden die ehemaligen großpolnischen Gebiete, in denen die Kämpfe gegen die Aufständischen im Jahr 1919 stattfanden, an das Regierungsbezirk Frankfurt angeschlossen. Auf diese Weise wurde der Status des Regierungsbezirks Frankfurt als eines Grenzgebietes gestärkt, was der Aufrechterhaltung des Anspruches der Stadt Frankfurt an der Oder, eine informelle Hauptstadt der gesamten Ostmark zu sein, zugutekam. Ein symbolischer Ausdruck der neuen Bollwerk-Funktion war das Schicksal der Gedenktafel, die an die Grenzschutz-Soldaten erinnerte und in der Marienkirche im Jahr 1923 eingemauert war. Nach der Enthüllung und Weihung der neuen Gedenktafeln im Jahr 1937 wurde die alte Gedenktafel im Juli 1939 in eine Kirche in Nowy Kramsk gebracht, die den Namen Kleistdorf trug. In diesem großen Dorf in der Nähe von Babimost lebten viele Polen, und der neue Name sollte nicht an den Frankfurter Dichter Heinrich von Kleist, sondern vielmehr an den Oberleutnant Feodor von Kleist, den im Jahr 1919 im Kampf gegen die polnischen Aufständischen und die sie unterstützenden Einwohner dieses Ortes gefallenen Offizier erinnern.

Die Veränderungen der Verwaltungsgrenzen und die Verschiebung der Akzente in der Erinnerungspolitik in Ostbrandenburg setzte jedoch keineswegs ein Ende der Rivalität zwischen Frankfurt und Piła. Die Grenzmark verlor zwar den Provinzstatus und wurde als Regierungsbezirk an die Provinz Pommern angeschlossen, aber behielt dabei den Namen Grenzmark Posen-Westpreußen. Das erlaubte Piła, ihren Anspruch auf den Status eines Depositars des Erbes der beiden verlorenen preußischen Provinzen, und somit einer informellen Hauptstadt der gesamten Ostmark, aufrechtzuerhalten. Somit war in Piła weiterhin die regionale wissenschaftliche Gesellschaft aktiv, deren Tätigkeit sich auf die ehemalige Grenzmark vor der Reorganisation im Jahr 1938 erstreckte, und in der Zeitschrift „Grenzmärkische Heimatblätter” wurden weiterhin Artikel über die Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen gedruckt. Im Jahr 1939 veröffentlichte Jakob Schmitz den Artikel über den „polnischen Überfall“ auf das Dorf Nowe Kramsko (welches durch den Autor selbstverständlich Kleistdorf genannt wurde), und in den Jahren 1941 und 1942 erschienen Texte mit Erinnerungen an die Kämpfe in der Umgebung von Leszno. Der Kriegsausbruch und die Verlagerung der Grenze weit in den Osten haben zwar die Mission der Ostmark beendet – im Jahr 1939 erhielt Österreich den offiziellen Namen Ostmark – aber die Tradition der Kämpfe gegen den polnischen Aufstand wurde weiter aufrechterhalten. Im Jahr 1941 veröffentlichte Schmitz das ausführliche Buch „Historia Kraju Noteci i Warty” („Geschichte der Region an der Netze und Warthe“) und vollführte dabei eine eigentümliche Synthese der Geschichte des nördlichen Netze-Teils der ehemaligen Provinz Posen mit dem durch die Nazis neu gebildeten Reichsgau Wartheland. Man muss wohl nicht hervorheben, dass einen wesentlichen Teil des Buches die Geschichte der Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen in den Jahren 1918-1918 bildet.

Nach 1945 hörten die Kämpfe der deutschen Einwohner der Ostmark gegen die Polen auf, ein Teil der deutschen Erinnerungspolitik zu sein. Grund dafür war sowohl die Liquidation der wichtigsten Institutionen und Gedenkstätten, die dieses Fragment des historischen Bewusstseins der Deutschen organisierten, verbreiteten und aufrechterhielten, als auch die Entfernung der regionalen Gemeinschaften, für die dieses Fragment der Vergangenheit ein Teil der kommunikativen Erinnerung war, die unmittelbar durch die an den beschriebenen Ereignissen teilnehmenden Personen weitergegeben wurde. Die Gebiete der Ostmark wurden fast vollständig durch die polnische Obrigkeiten übernommen, und jener Teil des Regierungsbezirks Frankfurt, der am westlichen Ufer der Oder liegt, wurde Teil der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), in der im Jahr 1952 eine vollkommen neue Verwaltungsaufteilung vollzogen wurde, welche frühere regionale historische Traditionen verwischte. Die Marienkirche in Frankfurt wurde während der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee im April 1945 ernsthaft beschädigt, und wurde sehr beschränkt genutzt. Umfassendere Renovierungsarbeiten wurden erst im XXI. Jh. unternommen, aber die Gedenktafel, die an die in den Kämpfen von 1918-1919 Gefallenen und Vermissten erinnerten, wurden nach wie vor nicht rekonstruiert.

Die Historiker aus Piła, die sich nach 1945 in Westdeutschland niederließen, kehrten offensichtlich sehr gerne zu den alten Themen zurück – Hans Jakob Schmitz, der nach dem Krieg im heimischen Rheinland lebte, wandte sich in den letzten Jahren seines Lebens (er starb im Jahr 1954) vor allem der Erforschung der regionalen Geschichte seiner rheinländischen „kleinen Heimat“ zu.

Die letzte solide deutsche Dokumentation, die das Thema des Großpolnischen Aufstandes aufgriff, erschien im Jahr 1980. Ihr Autor Dietrich Vogt (gest. 1968) war jedoch kein vorkriegszeitlicher Einwohner der Grenzprovinzen des Deutschen Reiches, sondern ein ehemaliger Direktor des Schiller-Gymnasiums in Posen. Vor dem Krieg war es für die in der Zweiten Rzeczpospolita lebenden Deutschen schwierig, Texte über den Aufstand zu publizieren und öffentlich das Gedenken an die Gefallenen zu kultivieren, daraus erklärt sich vielleicht dieser späte Versuch, die eigene Version der Ereignisse vorzustellen, die zwölf Jahre nach dem Tod des Autors durch den Historiker Gotthold Rhody, den Sohn eines bekannten Posener Pastors, überarbeitet und zum Druck vorbereitet wurde. Vogt nahm im Dezember 1918 als deutscher Offizier an den legendenumwobenen Ereignissen, die sich im Polizeipräsidium abspielten teil, und seine Abhandlung ist im Stil vorkriegszeitlicher Texte gehalten, die die Erinnerung an persönliche Erlebnisse mit dem systematisch erworbenen Quellenwissen verbanden. Seit 1980 schreitet das Erlöschen der deutschen Erinnerung an den Großpolnischen Aufstand fort, zumal dieses Thema noch nicht einmal in der ausführlichen Abhandlung über die polnisch-deutschen Gedenkstätten auftaucht, die zu Beginn der zweiten Dekade des XXI. Jh. erschien. Und es fällt schwer, sich zu wundern: wenn selbst die Großpolen bedauern, dass ihr Aufstand in den anderen Regionen Polens zu wenig bekannt und zu wenig geschätzt wird, dann fällt es noch schwerer, zu erwarten, dass die Kämpfe gegen die polnischen Aufständischen ein bedeutendes Teil der deutschen Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur sein sollen, weil es die Ostmark als eine deutsche Region, die unmittelbar an Großpolen angrenzt, nicht mehr gibt.